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Mungerson war zum Zeitpunkt der Pest elf Jahre alt. Sein Vater war einer der Industriemagnaten, ein sehr reicher, mächtiger Mann. In seinem Luftschiff, der Condor, flohen sie mit der ganzen Familie in die unbewohnten Gebiete von British Columbia, was von hier aus sehr weit im Norden liegt. Aber es gab ein Unglück, und sie stürzten in der Nähe des Mount Sha-sta ab. Ihr habt schon von diesem Berg gehört. Er liegt weit im Norden. Unter ihnen brach die Pest aus. Acht Jahre lang war er ganz allein, durchwanderte ein verwüstetes Land und hielt vergeblich nach Menschen Ausschau. Und zuletzt, als er gen Süden zog, stieß er auf uns, die Santa Rosas.

Aber ich greife in meiner Geschichte vor. Als die große Auswanderung aus den Städten um die San Francisco Bay begann, die Telefone aber noch funktionierten, sprach ich mit meinem Bruder. Ich sagte ihm, daß diese Flucht aus den Städten ein Wahnsinn sei und daß sich bei mir keine Symptome der Krankheit zeigten. Was für uns nun zu tun bliebe, sei, uns und unsere Verwandten an einen sicheren Ort zu bringen. Wir entschieden uns für das Chemiegebäude auf dem Gelände der Universität, und wir planten, uns einen Lebensmittelvorrat anzulegen und mit Waffengewalt jede Person daran zu hindern, uns ihre Gesellschaft aufzudrängen, wenn wir uns erst in unsere Zufluchtsstätte zurückgezogen hatten.

Als das so weit arrangiert war, bat mich mein Bruder, ich solle wegen der Möglichkeit, daß sich die Pest in mir eingenistet hatte, noch weitere vierundzwanzig Stunden in meinem Haus bleiben. Ich war einverstanden, und er versprach, mich am nächsten Tag abzuholen. Wir besprachen noch die Details, wie wir uns mit Lebensmitteln eindecken und das Chemiegebäude verteidigen wollten, als das Telefon erstarb. Mitten in unserer Unterhaltung. An jenem Abend gab es kein elektrisches Licht, und ich war in meinem Haus allein in der Dunkelheit. Es wurden keine Zeitungen mehr gedruckt, und so hatte ich keine Ahnung, was draußen vorging. Ich hörte Geräusche von Tumulten und Pistolenschüssen, und von meinem Fenster aus konnte ich sehen, wie der Himmel widerschien von einem gewaltigen Feuer aus Richtung Oakland. Es war eine Nacht des Schrek-kens. Ich tat kein Auge zu. Ein Mann - ich weiß nicht wie und warum - wurde auf dem Bürgersteig vor dem Haus getötet. Ich hörte die rasch aufeinanderfolgenden Schüsse einer automatischen Pistole, und einige Minuten später kroch der verwundete arme Teufel auf meine Tür zu, stöhnend und um Hilfe schreiend. Ich bewaffnete mich mit zwei Automatics und ging zu ihm. Beim Schein eines Streichholzes stellte ich fest, daß er an den Wunden, die die Kugeln ihm zugefügt hatten, starb, gleichzeitig aber auch an der Pest. Ich flüchtete ins Haus, von wo ich ihn noch eine halbe Stunde lang stöhnen und schreien hörte.

Am Morgen kam mein Bruder zu mir. Ich hatte in eine Tasche all die Wertsachen gepackt, die ich mitzunehmen gedachte, aber als ich sein Gesicht sah, war mir klar, daß er mich niemals zum Chemiegebäude begleiten würde. Er hatte die Pest. Er wollte mir die Hand geben, aber ich wich hastig vor ihm zurück.

,Sieh dich im Spiegel an’, forderte ich ihn auf.

Das tat er auch, und beim Anblick seines scharlachroten Gesichts - das sich noch dunkler färbte, als er es erblickte - sank er kraftlos in einen Sessel.

,Mein Gott’, sagte er, ,ich hab sie auch. Komm mir nicht nahe. Ich bin ein toter Mann.’

Dann packten ihn die Krämpfe. Zwei Stunden lag er im Sterben, und er war bis zum Schluß bei Bewußtsein, klagte über die Kälte und das Absterben des Gefühls in seinen Füßen, seinen Waden, seinen Schenkeln, bis schließlich das Herz an der Reihe war und er starb.

Auf diese Weise ging der Scharlachrote Tod vor. Ich griff meine Tasche und lief davon. Überall stolperte man über menschliche Körper.’ Einige waren noch nicht tot. Wo man auch hinsah, konnte man Menschen niedersinken sehen, auf die es der Tod abgesehen hatte. Unzählige Feuer loderten in Berkeley, während anscheinend über Oakland und San Francisco verheerende Feuerstürme hinwegfegten. Der Rauch von Verbranntem erfüllte den Himmel, so daß man mitten am Tage den Eindruck verhangener Dämmerung hatte, und manchmal, wenn der Wind sich drehte, schien matt die Sonne durch - eine träge, rote Kugel. Wahrhaftig, meine Enkel, es war so, als seien die letzten Tage der Welt angebrochen.

Es gab auch jede Menge stehengelassene Autos, was zeigte, daß es kein Benzin in den Werkstätten und keine Ersatzteile mehr gab. Ich erinnere mich an ein solches Auto. Ein Mann und eine Frau lagen tot auf den Sitzen, und auf dem Bürgersteig dicht dabei lagen noch zwei Frauen und ein Kind. Befremdliche und schreckliche Schauspiele boten sich einem allerorten. Leute huschten schweigend und verstohlen vorbei wie Geister. Weißgesichtige Frauen, die Säuglinge im Arm trugen; Väter, die ihre Kinder an der Hand führten - einzeln, zu Paaren oder in Familien, alle flohen aus der Stadt des Todes. Einige trugen Nahrungsvorräte bei sich, andere wiederum Decken und Wertgegenstände, und viele gab es, die gar nichts bei sich trugen.

Es gab da einen Lebensmittelladen - dort wurden Eßwaren verkauft. Der Mann, dem der Laden gehörte - ich kannte ihn gut - , ein stiller, ernsthafter und starrsinniger Kumpan, verteidigte ihn. Die Fenster und Türen waren eingeschlagen worden, aber er dort drin, hinter dem Ladentisch versteckt, feuerte seine Pistole auf etliche Leute draußen auf dem Gehsteig ab, die im Begriff standen hereinzustürmen. Im Eingang lagen mehrere Leichen - Menschen, nahm ich an, die er schon getötet hatte. Gerade, als ich das alles aus einiger Entfernung beobachtete, sah ich, wie einer der Plünderer die Fenster des angrenzenden Ladens einschlug - ein Schuhladen - und ihn vorsätzlich in Brand setzte. Ich tat nichts, um dem Lebensmittelhändler beizustehen. Die Zeit für so etwas war bereits vorbei. Die Zivilisation zerbröckelte, und jeder sorgte nur für sich.“

„Ich eilte hastig weiter, eine Nebenstraße entlang, und an der nächsten Straßenecke wurde ich schon wieder Zeuge einer Tragödie.

Zwei Arbeiter hatten einen Mann, eine Frau und deren beide Kinder ergriffen und raubten sie aus. Ich kannte den Mann vom Sehen, wenn man mich ihm auch nicht vorgestellt hatte. Er war ein Dichter, dessen Verse ich schon lange bewunderte. Dennoch kam ich ihm nicht zu Hilfe, denn in dem Augenblick, als ich auf der Bildfläche erschien, knallte ein Schuß, und ich sah ihn zu Boden sinken. Die Frau schrie auf und wurde durch einen Faustschlag von einem der beiden Scheusale zu Boden gestreckt. Ich rief etwas, um ihnen zu drohen, woraufhin sie auf mich schössen, und so lief ich um die Ecke davon. Hier wurde mir der Weg durch eine vorrückende Feuersbrunst versperrt. Zu beiden Seiten der Straße brannten die Häuser, und alles war voller Rauch und Flammen. Von irgendwo in diesem düsteren Gewölk kam der schrille Hilfeschrei einer Frau. Ich lief jedoch nicht zu ihr. Das Herz eines Menschen wurde zu Eisen unter dem Eindruck solcher Szenen, und man hörte viel zu viele Bitten um Hilfe.

Als ich zu der Straßenecke zurückkehrte, stellte ich fest, daß die beiden Straßenräuber fort waren. Der Dichter und seine Frau lagen tot auf dem Bürgersteig. Es war ein schockierender Anblick. Die zwei Kinder waren verschwunden - wohin, wußte ich nicht. Aber mir war jetzt klar, warum die Menschen, denen ich begegnete, so geduckt und bleichgesichtig dahinhuschten. Mitten in unseren Slums und Arbeitervierteln hatten wir ein Geschlecht von Barbaren, von Wilden herangezogen, und nun, in unserem Unglück, wandten sich die wilden Bestien, die sie waren, gegen uns und vernichteten uns. Und sie vernichteten auch sich selbst. Sie heizten sich mit starken Getränken an und begingen tausend Abscheulichkeiten, stritten und töteten sich gegenseitig in dem allgemeinen Wahnsinn. Ich sah eine Gruppe Arbeitsleute - welche von den besser gestellten - , die sich zusammengeschart hatten. Frauen und Kinder in ihrer Mitte, die Kranken und Alten auf Tragbahren, bahnten sie sich mit einigen Pferden, die eine Hängerladung Vorräte zogen, ihren Weg aus der Stadt heraus. Sie boten einen vortrefflichen Anblick, wie sie da durch den dahin-driftenden Rauch die Straße herunterkamen, obwohl sie mich fast erschossen hätten, als ich auf ihrem Weg auftauchte. Als sie vorüberzogen, rief einer ihrer Führer mir entschuldigend eine Erklärung für ihr Verhalten zu. Er sagte, sie würden die Straßenräuber und Plünderer töten, die ihnen vor die Augen kämen, und sie hätten sich zusammengetan, weil dies der einzige Weg sei, diesen Wegelagerern zu entkommen.