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In den ländlichen Gebieten hatte es weniger Plünderer und Banditen gegeben, das war ganz auffällig, denn ich fand viele Dörfer und Städte vom Feuer unberührt. Aber sie waren überfüllt von Pesttoten, und ich ging vorüber, ohne sie näher in Augenschein zu nehmen. Es war in der Nähe von Lathrop, da griff ich in meiner Einsamkeit ein paar Collies auf, die sich noch nicht an ihre Freiheit gewöhnt hatten und deshalb unbedingt in den Status eines treuen Untertanen des Menschen zurückkehren wollten. Die Collies begleiteten mich viele Jahre, und ihre Art lebt in den wenigen Hunden fort, die ihr Jungs heute habt. Aber in sechzig Jahren ist der Charakter der Collies verblaßt. Die Bestien sind eher gezähmte Wölfe als alles andere.“

Hare-Lip stand auf, warf einen Blick auf die Ziegen, um sich zu vergewissern, daß ihnen auch keine Gefahr drohte, dann schaute er nach dem Stand der Sonne an dem Nachmittagshimmel und brachte seinen Unmut über die Weitschweifigkeit der Erzählung des alten Mannes zum Ausdruck. Von Edwin gedrängt, sich etwas mehr zu beeilen, fuhr Granser fort: „Es gibt jetzt nicht mehr viel zu erzählen. Auf einem Pferd reitend, war es mir gelungen, mit meinen beiden Hunden und meinem Pony zu entkommen. Ich durchquerte San Joaquin Valley und zog weiter zu einem wunderschönen Tal in den Sierras, das man Yosemite nannte. In einem großen Hotel dort fand ich einen gewaltigen Vorrat an Nahrung in Büchsen. Das Weideland war üppig, auch Wild gab es im Überfluß, und der Fluß, der sich durch das Tal schlängelte, war voller Forellen. Ich blieb dort drei Jahre in absoluter Einsamkeit, die nur ein Mensch, der in einer hochzivilisierten Gesellschaft gelebt hat, fassen kann. Dann ertrug ich es nicht länger. Ich fühlte, daß ich drauf und dran war, den Verstand zu verlieren. Wie der Hund war auch ich ein soziales Wesen, und ich brauchte meine Artgenossen. Da ich die Pest überlebt hatte, vermutete ich, es wäre möglich, daß auch andere sie überstanden hatten. Weiterhin nahm ich an, daß es nach drei Jahren keine Pestbazillen mehr geben würde und das Land wieder rein sei.

Mit meinem Pferd, meinen Hunden und meinem Pony brach ich auf. Wieder durchwanderte ich San Joaquin Valley, ließ die Berge hinter mir und kam hinunter nach Livermore Valley. Die Veränderungen, die in den drei Jahren vor sich gegangen waren, erstaunten mich. Das gesamte Land war ausgezeichnet bewirtschaftet gewesen, und jetzt konnte ich es kaum wiedererkennen, solcherart war das Meer der dort wuchernden Vegetation. Dieses Meer hatte das landwirtschaftliche Werk der Menschen überschwemmt. Wißt ihr, der Mensch hat sich immer um das Getreide, das Gemüse und die Obstbäume gekümmert, hat sie gepflegt, für sie gesorgt, so daß sie zart und zerbrechlich geworden waren. Im Gegensatz dazu hatte der Mensch das Unkraut, das wilde Gestrüpp und solche Dinge bekämpft, und so waren diese Pflanzen fest und widerstandsfähig. Als die Hand des Menschen den zarten Gewächsen entzogen wurde, war das Ergebnis, daß der wilde Pflanzenwuchs praktisch alle kultivierten Pflanzen erstickte und zerstörte.

Die Anzahl der Kojoten hatte sich enorm vergrößert. Zu jener Zeit hatte auch ich meine erste Begegnung mit Wölfen, die zu zweien, dreien oder in kleinen Rudeln her- umstächen. Sie kamen aus den Gebieten, in denen sie von jeher gehaust hatten.

Am Lake Temescal, unweit der einstigen Stadt Oakland, stieß ich auf die ersten menschlichen Lebewesen. meine Enkel, wie kann ich euch nur meine Erregung beschreiben, als ich zu Pferd, den Berg hinab unterwegs zu einem See, den Rauch eines Lagerfeuers durch die Bäume hindurch aufsteigen sah. Fast hörte mein Herz auf zu schlagen. Ich fühlte, daß mein Verstand schwand. Dann hörte ich das Weinen eines Säuglings, eines Menschenbabys. Dann bellten Hunde, und meine Hunde antworteten darauf. Ich wußte nichts anderes, als daß ich das einzige menschliche Wesen auf der Welt war. Es konnte nicht sein, daß es hier noch andere gab - doch hier war Rauch, das Weinen eines Babys.

Als ich am See unten ankam, da sah ich vor meinen Augen, keine hundert Yard entfernt, einen Mann, einen großen Mann. Er stand auf einem vorspringenden Felsen und angelte. Ich war überwältigt. Ich hielt mein Pferd an. Ich versuchte zu rufen, aber ich vermochte es nicht. Ich winkte mit der Hand. Es schien mir, als sähe der Mann zu mir her, aber er winkte nicht. Dann barg ich meinen Kopf in den auf den Sattel gestützten Armen. Ich fürchtete mich, noch einmal hinzuschauen, denn ich wußte, es war eine Halluzination, und mir war klar, daß, wenn ich aufsah, der Mann verschwunden sein würde. Aber diese Halluzination war so wunderschön. daß ich wollte, sie solle noch eine Weile andauern. Ich wußte, daß sie, solange ich nicht hinsah, weiterbestehen würde.

So verharrte ich, bis ich meine Hunde knurren hörte und die Stimme eines Mannes vernahm. Was glaubt ihr wohl, was diese Stimme sagte? Ich werde es euch erzählen. Sie sagte: ,Wo, zum Teufel, kommst du her?’ So lauteten die Worte - ganz genau so. Das war es, was dein alter Großvater zu mir sagte, Hare-Lip, als er mich dort am Lake Temescal vor siebenundfünfzig Jahren be- grüßte. Es waren die unbeschreiblichsten Worte, die ich je in meinem Leben gehört habe. Ich öffnete meine Augen, und da stand er vor mir, ein großer, dunkelhaariger Mann mit breitem Kiefer, schräger Stirn und bösen Augen. Wie ich von meinem Pferd herunterkam, weiß ich nicht mehr. Das nächste, woran ich mich wieder erinnerte, war wohl, daß ich mit meinen beiden Händen seine Hand umklammerte und weinte. Ich würde ihn umarmt haben, aber er war von jeher ein engstirniger, mißtrauischer Mann, und er wich vor mir zurück. Dennoch hielt ich seine Hand fest und weinte.“

Gransers Stimme wurde brüchig und versagte schließlich angesichts der Erinnerung, und die Tränen strömten seine Wangen hinab, indessen die Jungen ihn im Blick behielten und kicherten.

„Noch immer weinte ich“, fuhr er fort, „und hatte den Wunsch, ihn zu umarmen, obwohl Chauffeur ein Scheusal war, ein absolut seelenloser Mensch - der widerlichste Mann, den ich je kennengelernt habe. Sein Name war. eigenartig, wie ich seinen Namen vergessen konnte. Jeder nannte ihn Chauffeur - das war die Bezeichnung seines Berufes, und sie blieb an ihm haften. Deshalb wird der Stamm, den er begründete, bis zum heutigen Tage der Chauffeur-Stamm genannt.

Er war ein gewalttätiger, ungerechter Mensch. Weshalb die Pestbazillen ihn verschont hatten, konnte ich nicht begreifen. Es hatte den Anschein, daß entgegen unseren alten metaphysischen Begriffen von absoluter Gerechtigkeit überhaupt keine Gerechtigkeit im Universum herrschte. Wieso war er am Leben? Boshaft, moralisch ein Ungeheuer, ein Schandfleck auf dem Antlitz der Natur und noch dazu ein grausamer, unbarmherziger Betrüger. Alles, worüber er sprechen konnte, waren Autos, Benzin, Getriebe und Garagen, und mit besonderer Genugtuung erzählte er von seinen gemeinen Gaunereien und seinem schmutzigen Betrug an den Personen, die ihn in den Zeiten vor der Pest angestellt hatten. Doch er war verschont geblieben, während hunderte Millionen, ja Milliarden besserer Menschen vernichtet wurden.

Ich ging mit ihm zu seinem Lager, und dort sah ich sie - Vesta, diese einzigartige Frau. Es war wunderbar und. mitleiderregend. Sie, Vesta van Warden, die junge Gemahlin des John van Warden, in Lumpen gekleidet, mit verschrammten, von der Arbeit schwieligen Händen, über das Lagerfeuer gebeugt und die Arbeit einer Küchenmagd verrichtend, sie, Vesta, die in den größten Geldadel, den die Welt je gekannt hat, hineingeboren war. John van Warden, ihr Ehemann, eine Milliarde schwer und Präsident des Rates der Industriemagnaten, war der Herrscher über Amerika gewesen. Darüber hinaus saß er im Internationalen Kontrollausschuß und war einer der führenden Männer der Welt. Sie ihrerseits war von ähnlich vornehmer Herkunft. Ihr Vater, Philip Saxon, war bis zu seinem Tode Präsident des Rates der Industriemagnaten gewesen. Dieses Amt war vererbbar, und hätte Philip Saxon einen Sohn gehabt, so hätte dieser seine Nachfolge angetreten. Aber sein einziges Kind war Vesta, die vollkommene Zierde der Generationen mit der höchsten Kultur, die dieser Planet je hervorgebracht hat. Erst als die Verlobung zwischen Vesta und van Warden stattgefunden hatte, bestimmte Saxon letzteren zu seinem Nachfolger. Ich bin ganz sicher, daß es eine politische Heirat war. Ich habe Grund anzunehmen, daß Vesta ihren Mann nie mit solcher Leidenschaft geliebt hat, wie sie die Dichter zu besingen pflegten. Es war eher eine der Ehen, wie sie zwischen gekrönten Häuptern zustande kamen, ehe diese durch die Magnaten ersetzt wurden.