Ich sah, wie sie die Zähne zusammenbiß, und die Glut der Empörung überzog ihr Gesicht. Er hob seine knorrige Faust, um sie zu schlagen, und ich ängstigte mich und war tief betrübt. Ich konnte nichts tun, um mich ihm gegenüber durchzusetzen. So erhob ich mich, um zu gehen und nicht Zeuge solch einer schimpflichen Behandlung zu werden. Aber der Chauffeur lachte und drohte mir Schläge an, wenn ich nicht bliebe und zuschaute. So saß ich notgedrungen dort am Lagerfeuer am Ufer des Lake Temescal und sah Vesta, Vesta van Warden, wie sie niederkniete und dem grinsenden, behaarten, affenartigen menschlichen Scheusal die Mokkasins auszog.
Oh, ihr begreift das nicht, meine Enkel. Ihr habt nie etwas anderes gekannt, und ihr versteht es nicht.
,Das Halfter um, aber die Nase hochtragen’, sagte der Chauffeur und starrte sie an, während sie sich dieser niedrigen Aufgabe unterzog. ,Bißchen störrisch zuweilen, bißchen störrisch, aber ‘n Schlag übers Maul macht sie zahm und freundlich wie ‘n Lamm.!’
Und ein anderes Mal sagte er: ,Wir müssen völlig neu anfangen und die Erde wieder auffüllen, uns vermehren. Sie sind da benachteiligt, Professor. Sie haben keine Frau,* und wir stehen vor einem regelrechten Garten-Eden-Unternehmen. Aber ich bin gar nicht so. Ich sage Ihnen was, Professor.’ Er zeigte auf ihr kleines Kind, kaum ein Jahr alt. ,Da ist Ihre Frau, obgleich Sie erst warten müssen, bis sie groß ist. Ist das nicht prächtig hier? Wir sind alle gleich, und ich bin die größte Kröte im Teich. Aber ich bin nicht hochmütig, nein, ich nicht. Ich erweise Ihnen die Ehre, Professor Smith, sich mit meiner und Vesta van Wardens Tochter zu verloben. Ist das nicht verflucht schade, daß van Warden nicht hier ist, um das mitzuerleben?’
Ich durchlebte drei Wochen grenzenloser Qual dort in Chauffeurs Lager. Eines Tages dann, als er meiner überdrüssig war oder dessen, was er für meinen schlechten Einfluß auf Vesta hielt, erzählte er mir, er habe ein Jahr zuvor, als er die Contra Costa Hills bis zu der Meerenge von Carquinez durchstreifte, Rauch gesehen. Das bedeutete, daß es da noch andere menschliche Wesen gab, und daß er mir diese unschätzbar wertvolle Information drei Wochen lang vorenthalten hatte. Ich schied sofort von ihnen und zog mit meinen Hunden und meinen Pferden über die Contra Costa Hills in die Ebene. Ich sah keinen Rauch auf der anderen Seite, aber am Port Costa entdeckte ich eine kleine Barke, auf die ich meine Tiere verladen konnte. Ein Stück alte Leinwand, die ich gefunden hatte, diente mir als Segel, und eine südliche Brise fächelte mich über die Meerenge bis zu den Ruinen von Vallejo. Hier, an der Peripherie der Stadt, fand ich Hinweise auf ein kürzlich noch bewohntes Lager. Viele Schalen eßbarer Muscheln zeigten mir an, warum diese Menschen an die Ufer der Bucht gekommen waren. Das war der Santa-Rosa-Stamm, und ich folgte seinen Spuren die alte Bahnlinie entlang, immer dem Weg nach über die Salzsümpfe zum Sonoma Valley. Hier, an der alten Ziegelei von Glen Ellen stieß ich auf das Lager. Insgesamt waren es achtzehn Seelen. Zwei waren alte Männer - einer von ihnen Jones, ein Bankier. Der andere war Harrison, ein Pfandleiher, der sich bereits zur Ruhe gesetzt hatte. Er hatte die Oberin des Staatskrankenhauses für Geisteskranke in Napa zur Frau genommen.
Von allen Einwohnern der Stadt Napa und von allen anderen Städten und Dörfern in diesem pächtigen und reich bevölkerten Tal war sie die einzige Überlebende. Weiter waren da noch drei junge Männer - Cardiff und Haie, die beide Farmer gewesen waren und Wainwright, ein einfacher Tagelöhner. Alle drei hatten eine Frau gefunden. Haie, einem groben und ungebildeten Farmer, war Isadora zugefallen - von allen Frauen, die durch die Pest gekommen waren, war sie nächst Vesta der größte Gewinn. Sie war eine der berühmtesten Sängerinnen der Welt, und die Pest hatte sie in San Francisco überrascht. Einmal redete sie stundenlang mit mir, erzählte mir ihre Abenteuer, bis sie endlich im Mendo-eino Forest Reserve Von Haie gerettet wurde; da blieb ihr nichts weiter übrig, als seine Frau zu werden. Aber Haie war ein guter Kamerad, trotz seiner Unwissenheit. Er hatte einen starken Gerechtigkeitssinn und war rechtschaffen, und sie war weitaus glücklicher mit ihm, als Vesta es mit dem Chauffeur war.
Die Frauen von Wainwright und Cardiff waren ganz gewöhnliche Frauen, mit kräftigem Körperbau und daran gewöhnt, sich mit schweren Arbeiten abzumühen - genau der richtige Typ für das unzivilisierte neue Leben, zu dem sie nun gezwungen waren. Hinzu kamen noch zwei Erwachsene - Schwachsinnige aus dem Heim für Geistesgestörte in Eldredge - und fünf oder sechs Kinder und Säuglinge, die geboren waren, nachdem sich der Santa-Rosa-Stamm formiert hatte. Da war auch noch Bertha. Sie war eine gute Frau, Hare-Lip, trotz der Verhöhnung durch deinen Vater. Ich nahm sie zur Frau. Sie war die Mutter eures Vaters, Edwin und Hoo-Hoo. Und“ es war unsere Tochter Vera, Hare-Lip, die deinen Vater heiratete, Sandow, der der älteste Sohn von Vesta van Warden und dem Chauffeur war.
So kam es, daß ich das neunzehnte Mitglied des Santa-Rosa-Stammes wurde. Außer mir kamen noch zwei Fremde hinzu.
Einer war Mungerson, der allein acht Jahre lang in der Wildnis von North California herumgeirrt war, ehe er in den Süden kam und sich uns zugesellte. Er wartete zwölf Jahre, ehe er meine Tochter Mary heiraten konnte. Der andere war Johnson, der Mann, der den Utah-Stamm gründete. Von dorther kam er, aus Utah, eine Gegend, die sehr weit entfernt von hier liegt, hinter den großen Wüsten, gen Osten. Nicht eher als siebenundzwanzig Jahre nach der Pest erreichte Johnson California. Er konnte nur von drei Überlebenden in der gesamten Utah-Region berichten, alles Männer, und einer davon war er selbst. Jahrelang lebten und jagten diese drei Männer zusammen, bis sie schließlich, verzweifelt und voller Furcht, daß mit ihnen die menschliche Rasse völlig von unserem Planeten verschwinden würde, westwärts eilten, auf die Möglichkeit hoffend, in California Frauen zu finden, die überlebt hatten. Allein Johnson kam durch die große Wüste: seine beiden Gefährten starben. Er war sechsundvierzig Jahre alt, als er uns fand, und er heiratete die vierte Tochter von Isadora und Haie, und sein ältester Sohn heiratete deine Tante, Hare-Lip, die die dritte Tochter von Vesta und dem Chauffeur war. Johnson war ein kräftiger Mann mit einem eigenen Willen. Deswegen trennte er sich auch von den Santa Rosas und bildete den Utah-Stamm in San Jose. Es ist ein kleiner Stamm - nur neun Mitglieder hat er. Obwohl Johnson inzwischen tot ist, waren sein Einfluß und die Widerstandskraft seiner Rasse solcherart, daß sich daraus ein kräftiger Stamm herausbilden konnte, der eine führende’ Rolle bei der Rezivilisierung des Planeten spielen wird.
Es gibt nur noch zwei weitere Stämme, von denen wir Kenntnis haben - die Los Angelitos und die Carmelitos, Letzterer hatte seinen Ursprung in einem Mann und einer Frau. Ihn nannte man Lopez, und er stammte von den alten Mexikanern ab und war sehr dunkel. Er war ein Kuhhirte auf den Weiden hinter Carmel, und seine Frau war ein Dienstmädchen in dem großen Del Monte Hotel gewesen. Es vergingen sieben Jahre, ehe wir die erste Begegnung mit den Los Angelitos hatten. Sie haben eine gute Gegend da unten, aber zu warm.
Ich schätze die gegenwärtige Weltbevölkerung auf dreihundertfünfzig bis vierhundert Menschen - vorausgesetzt natürlich, daß es keine verstreuten kleinen Stämme anderswo in der Welt gibt. Wenn es sie geben sollte, so haben wir jedenfalls noch nichts von ihnen gehört. Seit Johnson die Wüste von Utah aus durchquert hat, ist keine Nachricht und kein Zeichen mehr aus dem Osten oder von anderswo gekommen. Die große Welt, die ich in meiner Jugend und in meinen frühen Mannesjahren kannte, ist dahin. Sie hat aufgehört zu existieren. Ich bin der letzte Mensch, der die Tage der Pest noch miterlebt hat und der die Wunder jener fernen Zeit kennt. Wir, die wir den Planeten beherrschten, seine Erde, seine Meere und den Himmel, und die wir wie Götter waren, leben nun entlang den Wasserläufen des Landes California in einem primitiven Urzustand.