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Dann hatte die Jagd begonnen. Er lief vor seinen Verfolgern, die zwischen ihm und der Küste waren, den Schweinepfad zurück. Wie viele es waren, konnte er nicht sagen. Es konnte einer sein, aber genausogut hundert, denn er sah niemanden. Er war sich jedoch im klaren darüber, daß einige von ihnen auf die Bäume geklettert waren und durch das Dschungeldach schlichen, aber das Äußerste, was er wahrnahm, war ein gelegentlich vorüberhuschender Schatten. Er hörte kein Schwirren von Bogensaiten, und dennoch zischten winzige Pfeile, von denen er nicht wußte, wo sie abgeschossen wurden, hinter ihm oder trafen auf Baumstämme und fielen dann neben ihm auf die Erde. Sie hatten eine Spitze aus Knochen und Federn am Schaft, diese Federn stammten vom Brustteil des Kolibris und schillerten wie Juwelen.

Einmal hatte er - jetzt, da so viel Zeit vergangen war, konnte er bei der Erinnerung daran fröhlich vor sich hin lächeln - einen Schatten über sich gesehen, der sofort reglos verharrte, als er seinen Blick nach oben wandte. Er konnte nichts erspähen, entschloß sich aber, es darauf ankommen zu lassen, und feuerte aus dem Gewehrlauf Nummer fünf eine kräftige Ladung ab. Mit dem Schrei einer wild gewordenen Katze stürzte der Schatten durch Baumfarne und Orchideen herunter und kam auf den Füßen auf; vor Schmerz und Zorn immer noch schreiend, stieß er seine Zähne in den Knöchelschutz von Bassetts derben Laufstiefeln. Der war nicht müßig, und mit seinem freien Fuß erledigte er, was nötig war, um das Schreien abzuwürgen. Bassett hatte sich seit damals an die Wildheit gewöhnt, daß er bei dem Gedanken daran wieder vor sich hin lächelte.

Was für eine Nacht hatte er dann durchgemacht! Es war kein Wunder, daß er so viele schlimme Fieberattacken hinter sich hatte, dachte er in der Erinnerung an jene qualvolle schlaflose Nacht, als das Puckern der Wunden nichtig war im Vergleich zu den Myriaden von Moskitostichen. Es hatte kein Entkommen gegeben; ein Feuer anzuzünden hatte er nicht gewagt. Sein Körper war buchstäblich mit Gift vollgepumpt worden, und als er bei Tagesanbruch mit fast zugequollenen Augen blind herumstolperte, hätte es ihm kaum noch etwas ausgemacht, wenn man seinen Kopf abgehackt und sich sein Leichnam dem Sa-gawas auf dem Weg ins Feuer zugesellt hätte. Vierundzwanzig Stunden hatten aus ihm ein Wrack gemacht - sowohl psychisch als auch physisch. Er war gar nicht wieder ganz zu sich gekommen, so irre hatte ihn die enorme Giftmenge gemacht, der er ausgesetzt gewesen war. Mehrere Male feuerte er mit Erfolg in die Schatten, die ihm nachspürten. Stechende Eintagsfliegen und Mücken verschlimmerten seine Qualen, während seine blutigen Wunden Scharen von lästigen Fliegen anzogen, die sich träge auf sein Fleisch setzten und abgeschüttelt und zerquetscht werden mußten.

Einmal hörte er an jenem Tag wieder den wunderbaren Klang, der weiter weg zu sein schien, sich aber beherrschend über die näher gelegenen Kriegstrommeln im Busch erhob. Und da hatte er seinen Fehler begangen. In der Annahme, daß er schon an der Klangquelle vorbei war und daß sie also zwischen ihm und der Küste von Ringmanu liegen mußte, hatte er sich zurückgearbeitet, scheinbar auf sie zu, in Wirklichkeit jedoch drang er immer tiefer in das geheimnisvolle Herz der unerforschten Insel. In der Nacht war er schließlich, nachdem er zwischen den gewundenen Wurzeln des Banianbaumes umhergekrochen war, vor Erschöpfung eingeschlafen, wobei die Moskitos ungestört ihre Freude an seinem Körper hatten.

Es folgten Tage und Nächte, die in seiner Erinnerung so vage wie Alpträume waren. Klar in seinem Gedächtnis war aber das Bild, wie er sich plötzlich mitten in einem Buschdorf wiederfand und die alten Männer und Kinder in den Dschungel flüchten sah. Alle außer einem waren geflüchtet. Ganz dicht neben oder über ihm hatte ihn das Wimmern wie von einem Schmerz und Angst leidenden Tier aufgeschreckt. Als er hochschaute, sah er sie - ein Mädchen oder wohl eher eine junge Frau, in der prallen Sonne an einem Arm aufgehängt. Vielleicht hatte sie schon seit Tagen so gehangen. Ihre geschwollene heraushängende Zunge deutete darauf hin. Immer noch am Leben, starrte sie ihn mit Augen des Schreckens an. Alle Hilfe kam zu spät, befand er, als er die geschwollenen Beine sah, was vermuten ließ, daß ihre Gelenke zerschmettert und die großen Knochen gebrochen worden waren. Er beschloß, sie zu erschießen, und da hörte seine Erinnerung auf. Er wußte nicht mehr, ob er geschossen hatte, genausowenig konnte er sich erinnern, wie er in dieses Dorf gekommen war und wie es ihm gelungen war, sich wieder davonzumachen.

Viele zusammenhanglose Bilder tauchten auf und verschwanden wieder aus Bassetts Sinn, als er auf jene Zeit der schrecklichen Wanderungen zurückschaute. Er sah vor sich, wie er in ein anderes Dorf mit einem Dutzend Häusern eindrang und mit seinem Gewehr alle Bewohner vor sich her trieb bis auf einen alten Mann, der zu schwach war zu fliehen, der ihn anspuckte, jammerte und knurrte, während er einen Erdofen freischaufelte und aus den heißen Steinen ein gebratenes Schwein hervorzerrte, das durch die Garnierung aus grünen Blättern seinen köstlichen Duft verströmte. An diesem Ort hatte Bassett das geile Vergnügen an der Wildheit gepackt. Nachdem er geschmaust hatte und mit dem hinteren Viertel des Schweins in der Hand gehen wollte, legte er mit seinem Brennglas aus Übermut Feuer an das Grasdach eines Hauses.

Aber am tiefsten hatte sich der dumpf-feuchte Dschungel in Bassetts Seele eingebrannt. Er stank regelrecht nach Verderbtheit, und ständig herrschte Zwielicht in diesem Dschungel. Selten drang ein Sonnenstrahl durch das Dach aus Flechtwerk hundert Fuß über ihm. Unter diesem Dach lastete eine dicke Luftschicht, in der eine Vegetation monströser, parasitärer und entarteter Lebensformen wucherte, die im- Tode wurzelte und vom Tode lebte. Und durch diese Welt trieb er, stets und ständig von den vorüberhuschenden Schatten der Menschenfresser verfolgt, die selber Geister des Bösen waren und nicht wagten, ihm im offenen Kampf gegenüberzutreten, die aber wußten, daß sie früher oder später von ihm essen würden. Bassett erinnerte sich, daß er sich in lichten Momenten mit einem verwundeten Stier verglich, der von Präriekojoten verfolgt wurde, die zu feige waren, mit ihm um sein Fleisch offen zu kämpfen, jedoch die Gewißheit hatten, daß sein Ende unvermeidlich war und daß sie sich dann an ihm vollfressen würden. Wie die Hörner und stampfenden Hufe des Stiers die Kojoten fernhielten, so hielt sein Gewehr diese Bewohner der Salomoninseln fern, diese zwielichtigen Schatten von Buschmenschen der Insel Guadalcanal.

Eines Tages hatte er das Weideland erreicht. Wie vom Schwert Gottes in der Hand Gottes abgetrennt, hörte der Urwald ganz plötzlich auf. Der Urwaldrand erstreckte sich steil und schwarz wie der Wald selbst über hundert Fuß. Und gleich an seinem Rand wuchs Gras - süßes, weiches, zartes Weidegras, das jeden Viehzüchter und dessen Vieh begeistert hätte; dieses samtige frische Grün erstreckte sich über endlose Kilometer bis hin zum Rückgrat der großen Insel, den sich hoch auftürmenden Bergen, die durch ewig zurückliegende Erderschütterungen dort hingeschleudert und vom ätzenden Tropenregen zwar angefressen und zerfurcht, aber noch nicht ganz vernichtet waren. Das Gras! Er kroch ein Stück ins Weideland hinein, vergrub sein Gesicht im Gras, roch es und brach in einem Anfall unfreiwilligen Weinens zusammen.