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Und während er weinte, ertönte der wunderbare Klang -wenn mit dem Wort „ertönen“, so hatte er seither oft gedacht, ein so gewaltiger Klang angemessen beschrieben werden konnte. Es war ein so süßer Klang, wie er ihn nie zuvor gehört hatte. Er war so unermeßlich, von so mächtiger Resonanz, daß er aus der metallenen Kehle eines Ungeheuers hätte stammen können. Und dennoch war ihm, als gelte der Ruf ihm in dieser endlos weiten Savanne, und er war eine Wohltat für seine leidende und vom Schmerz gemarterte Seele.

Er dachte daran, wie er dort im Gras gelegen hatte, mit feuchten Wangen, obwohl er nicht mehr weinte, sondern dem Klang lauschte und sich darüber wunderte, daß er ihn an der Küste von Ringmanu hören konnte. Eine Anomalie von Luftdruckzonen und Luftströmungen hatte es möglich gemacht, so räsonierte er, daß der Klang so weit getragen wurde. Solche Bedingungen würde es in tausend und aber tausend Tagen nicht wieder geben; der eine Tag, an dem sie eingetreten waren, war der Tag, an dem er für ein paar Sammelstunden von der Nari gekommen war. Er war speziell auf der Suche nach dem berühmten Urwaldschmetterling mit einer Flügelbreite von einem Fuß und, da gänzlich ohne Farbe, so samtdunkel wie ein Laubdach. Er lebte in den luftigen Höhen der Bäume und fand im Laubdach seine Zuflucht, von wo er einzig mit ein paar Schüssen heruntergeholt werden konnte. Zu diesem Zweck hatte Sagawa das zwanzigkalibrige Gewehr geschleppt.

Zwei Tage und zwei Nächte war er quer durch den Savannengürtel gekrochen. Er hatte viel gelitten, aber die Verfolgung hatte am Urwaldrand ein Ende. Er wäre verdurstet, hätte ihn nicht ein schweres Gewitter am zweiten Tag belebt.

Und dann war Baiatta gekommen. In dem ersten Schatten, den er fand, dort, wo die Savanne dem dichten Bergdschungel wich, war er, zum Sterben verurteilt, zusammengebrochen. Zuerst hatte sie angesichts seiner Hilflosigkeit vor Freude gequiekt, und dann war sie drauf und dran gewesen, ihm seinen Geist mit einem Knüppel auszuprügeln. Vielleicht hatte sie seine völlige Hilflosigkeit gerührt, und vielleicht war es ihre menschliche Neugier, die sie davon abbrachte. Wie dem auch sei, er öffnete seine Augen angesichts des drohenden Schlages und sah, wie sie ihn ausgiebig musterte. Besonders seine blauen Augen und seine weiße Haut hatten es ihr angetan. Gelassen setzte sie sich auf ihren Hintern und spuckte ihm auf den Arm, mit den Fingerspitzen schrubbte sie die mehrere Tage und Nächte alte Schmutzschicht aus Kot und Urwalddreck ab, die das Weiß seiner Haut besudelt hatte.

Er hatte an ihr alles bemerkenswert gefunden, nichts an ihr entsprach den Konventionen. Er lächelte schwach bei dieser Erinnerung, denn ihre Kleidung war von der unschuldigen Art wie die Evas vor dem Abenteuer mit dem Feigenblatt. Gedrungen und zugleich mager, mit asymmetrischen Gliedern und Muskelsehnen wie Tauenden, mit der schon von Kindheit an festgebackenen Dreckkruste, die, abgesehen von gelegentlichen Regenschauern, kein Wasser abbekommen hatte, war sie ein so häßlicher Prototyp von Frau, wie ihn sein Wissenschaftlerauge noch nie erblickt hatte. Ihre Brüste kündeten sowohl von ihrer Reife als auch ihrer Jugend. Und wenn durch nichts anderes, so wäre ihr Geschlecht doch ausreichend gekennzeichnet gewesen durch den einzigen Schmuckgegenstand, den sie trug, nämlich einen Schweineschwanz, der durch ein Loch im linken Ohrläppchen gezogen war. Dieser Schweineschwanz war erst vor so kurzer Zeit abgetrennt worden, daß aus der Trennstelle noch Blut sickerte und ihr wie Kerzenwachs auf die Schulter tropfte. Und erst das Gesicht: verzerrt und verhutzelt, mit äffischen Zügen, durchbrochen von mongolischen himmelwärts gerichteten Nasenlöchern und einem Mund, dessen gewaltige Oberlippe herunterhing und der plötzlich im fliehenden Kinn verschwand, mit spähenden, mürrisch blickenden Augen, die wie die Augen von Affen im Käfig blinzelten. Auch das Wasser, das sie ihm in einem Blatt brachte, und der alte steinharte Klumpen Schweinebraten konnten ihre groteske Häßlichkeit nicht mildern. Während er aß, schloß er seine Augen, um sie nicht sehen zu müssen, wobei sie seine Lider immer wieder auseinanderzog, um auf seine blauen Augen zu starren. Dann kam der Klang. Näher, viel näher mußte er jetzt sein, aber er wußte, daß er trotz des schlimmen Weges, den er hinter sich hatte, noch Stunden von ihm entfernt war. Die Wirkung auf das Mädchen war bestürzend. Sie krümmte sich zusammen, mit abgewandtem Gesicht, wehklagend und zitternd. Nachdem der Klang seine volle Zeit von einer Stunde gewährt hatte, schloß Bassett die Augen und schlief ein, Baiatta verjagte ihm die Fliegen.

Als er wach wurde, war es Nacht, und sie war fort. Aber er fühlte neue Kraft, dann schloß er seine Augen wieder und schlief ununterbrochen bis Sonnenaufgang. Er war zu jener Zeit viel zu sehr mit Moskitogift vollgepumpt, als daß er noch an einer Entzündung hätte leiden können. Kurze Zeit später war Baiatta zurückgekommen und hatte ein halbes Dutzend Frauen mitgebracht, die bei all ihrer Häßlichkeit nicht ganz so unansehnlich waren wie Baiatta. Diese machte durch Gesten deutlich, daß sie ihn als ihren Fund, als ihr Eigentum betrachtete, und der Stolz, mit dem sie mit ihm protzte, hätte etwas Lächerliches gehabt, wäre seine Lage nicht so verzweifelt gewesen.

Als er dann nach einem Marsch, der ihm schrecklich lang erschien, im Schatten des Brotbaumes vor dem Teufel-TeufelHaus zusammengebrochen war, hatte sie sehr lebhaft Vorstellungen darüber geäußert, wie sie ihn wieder in ihren Besitz bringen könnte. Ngurn, den Bassett später als den TeufelTeufel-Doktor, Priester oder Medizinmann des Dorfes kennenlernen würde, hatte seinen Kopf haben wollen. Einige der grinsenden und schwatzenden Affenmänner, die alle nur spärlich bekleidet waren und das gleiche tierische Aussehen wie Baiatta hatten, hatten seinen Körper haben wollen, um ihn in ihren Öfen zu rösten. Damals hatte er ihre Sprache noch nicht verstanden, wenn mit dem Wort Sprache die plumpen Laute, mit deren Hilfe sie ihre Gedanken ausdrückten, benannt werden konnten. Aber den Gegenstand ihrer Debatten hatte Bassett genau verstanden, vor allem als die Männer sein Fleisch drückten, knufften und befühlten, gerade so, als wäre er ein Stück Ware beim Fleischer.

Baiatta war schon am Verlieren, als der Unfall geschah. Einem der Männer, die Bassetts Gewehr prüften, war es gelungen, es zu spannen und abzufeuern. Der Rückschlag des Gewehrkolbens in die Magengrube des betreffenden Mannes war nicht das schlimmste, aber der Schuß hatte in einer Entfernung von über einem Yard den Kopf eines der Streitenden zerschmettert.

Selbst Baiatta floh mit den anderen. Bevor sie zurückkamen, hatte Bassett, dessen Sinne sich angesichts der bevorstehenden Fieberattacke schon wieder zu trüben begannen, das Gewehr in seine Gewalt gebracht. Und obwohl seine Zähne klapperten und seine trüben Augen kaum noch sehen konnten, versuchte er, das schwindende Bewußtsein so lange zu halten, bis er die Buschmänner mit den einfachen Zaubermitteln Kompaß, Uhr, Brennglas und Streichhölzer eingeschüchtert hatte. Zum Schluß hatte er mit gebührender Feierlichkeit und Würde ein Ferkel erschossen, worauf er selbst in völlige Bewußtlosigkeit fiel.

Bassett bewegte seine Armmuskeln, um zu prüfen, welche Kraft in solcher Schwäche noch stecken konnte, und er richtete sich langsam und torkelnd auf. Es war erschreckend, wie ausgezehrt er war; aber in den verschiedenen Phasen der Genesung während der monatelangen Krankheit hatte er wenigstens etwas Kraft wiedererlangt. Er fürchtete einen erneuten Rückfall, wie er ihn schon mehrmals erlebt hatte. Ohne Tabletten, ja sogar ohne Chinin hatte er es doch so weit gebracht, daß er das besonders üble und bösartige kombinierte Auftreten von Malaria und Schwarzfieber überstanden hatte. Aber würde er es weiterhin überstehen? Diese Frage bewegte ihn ständig. Denn als wahrer Wissenschaftler würde er nicht sterben können, ehe er das Geheimnis des Klanges gelüftet hatte.