„Ich will dir etwas sagen“, Bassett hatte eine neue Idee und unterbrach ihn. „Wenn ich sterbe, überlasse ich dir meinen Kopf zum Räuchern, aber erst führst du mich zu. dem Roten.“
„Ich bekomme deinen Kopf sowieso, wenn du tot bist.“ Ngurn lehnte den Vorschlag ab. Er fügte mit der brutalen Offenheit der Wilden hinzu: „Außerdem hast du sowieso nicht mehr lange zu leben. Du bist schon fast ein toter Mann. Du wirst immer schwächer. In wenigen Monaten habe ich dich hier und drehe deinen Kopf im Rauch. Es ist angenehm, an den langen Nachmittagen den Kopf von jemandem zu drehen, den man so gut kannte wie ich dich. Und ich werde mit dir sprechen und dir die vielen Geheimnisse anvertrauen, die du erfahren möchtest, was dann keine Rolle mehr spielt, denn du wirst ja tot sein.“
„Ngurn“, drohte Bassett in plötzlichem Zorn, „du kennst den Kleinen Gewittermacher in dem Eisen, das mir gehört.“ (Damit bezog er sich auf sein allmächtiges und ehrfurchtgebietendes Gewehr.) „Ich kann dich jederzeit töten, und dann bekommst du meinen Kopf nicht.“
„Ist auch egal, dann wird Gngngn oder jemand anders aus meinem Volk ihn kriegen“, versicherte Ngurn ihm gelassen. „Und derjenige wird dich ebenso unaufhörlich hier im Rauch des Teufel-Teufel-Hauses drehen. Je eher du mich mit deinem Kleinen Gewittermacher tötest, desto eher wird sich dein Kopf im Rauch drehen.“
Bassett wußte, daß er sich geschlagen geben mußte.
Was war der Rote - das fragte sich Bassett tausendmal im Verlauf der folgenden Woche, während er wieder Kraft zu sammeln schien. Was war der Ursprung des wundervollen Klanges? Was war dieser Sonnensänger, dieser Ster-nengeborene, diese geheimnisvolle Gottheit, die ebenso bestialisch war wie die schwarzen affenähnlichen Menschentiere mit ihrem Kräuselhaar, die ihn verehrten. Was war er, dessen silberhelles und zugleich stierisches Singen und Gebieten er aus der Tabuentfernung schon so lange vernahm?
Ngurn hatte er nicht bestechen können, da sein Kopf nach seinem Tode sowieso geräuchert würde. Gngngn war zu schwachsinnig und als Häuptling zu sehr unter der Fuchtel von Ngurn, als daß er in Frage käme. Blieb also Balatta, die, seit sie ihn gefunden und seine blauen Augen aufgedrückt hatte, so daß er ihre groteske weibliche Häßlichkeit wahrnehmen mußte, seine Verehrerin geblieben war. Sie war, wie Frauen nun einmal waren, und so hatte er lange schon gewußt, daß der Weg, sie zum Verrat an ihrem Stamm zu bewegen, durch ihr Frauenherz führen würde.
Bassett war ein sehr wählerischer Mann. Er hatte sich nie von dem ersten Grauen erholt, das Balattas weibliche Schrecklichkeit in ihm erregt hatte. In England hatte weiblicher Charme selbst im günstigsten Falle kaum eine stärkere Wirkung auf ihn. Jetzt aber, entschlossen, wie nur ein Mann sein kann, der fähig ist, sich für die Wissenschaft zu opfern, ging er daran, das Feine und Zarte seiner Natur zu vergewaltigen, indem er eine Liebesbeziehung zu der ekelerregenden Buschfrau anknüpfte.
Es schauderte ihn, er wandte sein widerwilliges Gesicht ab und schluckte, als er den Arm um ihre schmutzverkrustete Schulter legte und spürte, wie ihr ranzig-öliges Kräuselhaar seinen Hals und sein Kinn berührte. Aber er schrie fast, als sie schon beim erstenmal unter seiner Zärtlichkeit gefügig wurde und Grimassen schnitt, Kauderwelsch redete und kleine schweinsartige Gluckslaute der Wonne hervorbrachte. Das war zuviel. Der nächste Schritt in dieser seltsamen Werbung um eine Frau bestand darin, daß er sie zum Fluß schleppte und sie kräftig abschrubbte.
Von da an widmete er sich ihr wie ein echter Liebhaber so oft und so lange, wie sein Wille seinen Widerwillen überstimmen konnte. Aber Heirat, die sie eingedenk der Stammessitten eifrig vorschlug, lehnte er ab. Glücklicherweise spielten Taburegeln in dem Stamm eine große Rolle. So durfte Ngurn niemals Knochen, Fleisch oder Haut vom Krokodil berühren. Das war bei seiner Geburt verfügt worden. Gngngn war es auf ewig untersagt, mit Frauen in Berührung zu kommen. Eine solche Verunreinigung konnte, sollte sie doch einmal geschehen, nur durch den Tod der Frau gesühnt werden, die sich eines solchen Verstoßes schuldig gemacht hatte. Es war einmal seit Bassetts Ankunft vorgekommen, daß ein neunjähriges Mädchen beim Spielen rannte und stolperte und schließlich gegen den geweihten Häuptling fiel. Das Mädchen war nie wieder gesehen worden. Flüsternd erzählte Baiatta ihm, daß sie seit drei Tagen und Nächten vor dem Roten im Sterben begriffen war. Für Baiatta war die Brotfrucht tabu. Darüber war Bassett froh, denn es hätte auch Wasser sein können.
Für sich selbst dachte er sich ein ganz besonderes Tabu aus. Er könne nur heiraten, wenn das Kreuz des Südens seine höchste Stelle am Himmel erreicht habe. In Kenntnis der Astronomie erhoffte er auf diese Weise einen Aufschub von fast neun Monaten; und er war überzeugt, daß er im Verlauf dieser Zeit entweder tot oder mit allen Informationen über den Roten und die Herkunft seiner wunderbaren Stimme zur Küste entkommen sein würde. Zuerst hatte er sich den Roten als kolossale Statue vorgestellt wie die Memnonstatue, die unter einer bestimmten Sonnenlichteinstrahlung und Temperatur zu klingen begann. Aber als nach einem kriegerischen Überfall ein Trupp Gefangener bei Nacht, und zwar bei Regen geopfert wurde, die Sonne also keine Rolle spielen konnte und der Klang des Roten noch stärker als gewöhnlich erschallt war, hatte Bassett diese Hypothese fallenlassen.
In der Gesellschaft von Baiatta, manchmal gemeinsam mit Männern und Gruppen von Frauen, war es ihm erlaubt, drei Viertel des Dschungels zu durchstreifen. Aber das letzte Viertel, in dem sich der Rote befand, war tabu. Er verkehrte häufiger mit Baiatta, sorgte auch dafür, daß sie sich häufiger abschrubbte. Das Ewigweibliche war auch ihr eigen, und im Namen der Liebe war sie jedes Verrats fähig. Und obwohl ihr
Anblick zum Erbrechen reizte und obwohl sie ihn in Alpträumen verfolgte, erkannte er die kosmische Wahrheit des Geschlechtlichen, die sie beseelte und sie das eigene Leben geringer schätzen ließ als das Glück des Geliebten, mit dem sie sich zu vereinigen hoffte. Juliet oder Baiatta? Wo war da der Unterschied? Das sanfte, zarte Produkt der Überzivilisiertheit oder dessen tierischer Prototyp hunderttausend Jahre zuvor - es gab keinen Unterschied.
Bassett war in erster Linie Wissenschaftler, Humanist erst an zweiter Stelle. Im Herzen des Dschungels von Gua-dalcanal testete er eine Liebesaffäre, wie er eine chemische Reaktion im Labor testen würde. Er verstärkte seine vorgetäuschte Begeisterung für die Buschfrau und gleichzeitig seinen Willen, von ihr zu dem Roten geführt zu werden, um ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Es war die alte Geschichte, stellte er fest, daß die Frau diejenige war, die zahlen mußte, und der Zeitpunkt dazu war gekommen, als sie eines Tages beide den noch nicht klassifizierten und benannten kleinen schwarzen Fisch fingen, einen Zoll lang, halb Aal, halb geschuppt, mit lachsgoldenem Rogen, rund von Gestalt, der im Süßwasser lebte und der roh und frisch oder bereits verwesend als Delikatesse geschätzt wurde. Baiatta wälzte sich bäuchlings auf dem verfaulenden Urwaldboden, umklammerte seine Gelenke, küßte seine Füße und gab wabernde und schmatzende Geräusche von sich, daß es ihm heiß und kalt den Rücken runterlief. Sie flehte ihn an, sie lieber zu töten, als diesen äußersten Liebesbeweis zu fordern. Sie erzählte ihm, welche Strafe für das Brechen des Tabus drohte - eine Woche Folter bei lebendigem Leibe, deren Einzelheiten von ihrem Gesicht in der Tiefe des Schlammes abzulesen waren. Er erkannte, daß er noch ein blutiger Neuling war, was das Wissen um die Greuel betraf, die Menschen anderen Menschen anzutun fähig waren.
Dennoch bestand Bassett darauf, seinen männlichen Willen zu Lasten der Frau durchzusetzen, um das Geheimnis des Gesangs des Roten entschlüsseln zu können, auch wenn Baiatta langsam, grauenvoll und entsetzlich schreiend würde sterben müssen. Baiatta war ganz und gar Frau und fügte sich. Sie führte ihn in das verbotene Gebiet. Ein schroffer Berg, der sich vom Norden hervorschob und sich mit einem ähnlichen Eindringling vom Süden her traf, zwängte den Fluß, in dem sie gefischt hatten, in eine tiefe dunkle Schlucht. Nach einer Meile Wegs an der Schlucht entlang verlief der Pfad ganz steil aufwärts, bis sie einen Sattel von rohem Kalkstein überquerten, der das Interesse seines Geologenauges erregte. Sie kletterten weiter, wobei er aus reiner physischer Schwäche oft pausierte, und erklommen waldige Höhen, bis sie auf einem kahlen Tafelland herauskamen, dessen Zusammensetzung Bassett unschwer als schwarzen vulkanischen Sand identifizierte, ein Taschenmagnet würde eine ganze Ladung dieser scharfkantigen Körner, auf denen sie wanderten, aufnehmen.