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Es gab keinen Weißen und noch viel weniger einen Fremden aus einem der anderen Buschvölker, der den Roten je gesehen hätte und noch am Leben wäre. So hatte Ngurn das Gesetz Bassett gegenüber ausgelegt. Es gäbe so etwas wie Blutsbrüderschaft, hatte Bassett früher häufig eingewandt. Auch durch Blutsbrüderschaft könne man nicht die Gunst des Roten genießen. Nur einem Mann, der in dem Stamm geboren war, war es erlaubt, des Roten ansichtig zu werden und weiterzuleben. Aber nun war die Situation eine andere, sein schuldhaftes Geheimnis war nur Balatta bekannt, deren Angst, den Opfertod vor dem Roten sterben zu müssen, ihr die Lippen fest verschlossen halten würde. Er mußte sich nur noch von dem fürchterlichen Fieber erholen und wieder in die Zivilisation gelangen. Dann würde er eine Expedition hierher zurückfuhren und dem Herzen des Roten die Botschaft aus den anderen Welten entnehmen, selbst wenn dabei die gesamte Bevölkerung von Guadalcanal vernichtet würde.

Aber Bassetts Rückfälle traten immer häufiger auf, seine kurzen Genesungsphasen wurden immer seltener, die Komaphasen länger, bis ihm entgegen den Eingebungen des Optimismus, der einer so starken Natur wie der seinen eigen war, klar wurde, daß er nie mehr das Weideland durchqueren, den gefährlichen Küstendschungel durchstoßen und die See würde erreichen können. Er versank in Bewußtlosigkeit, als das Kreuz des Südens höher stieg, und auch Baiatta wußte, daß er tot sein würde, bevor der von seinem Tabu bestimmte Zeitpunkt der Hochzeit gekommen wäre. Ngurn ging selbst auf Wanderschaft und suchte das Material zum Räuchern von Bassetts Kopf, er verkündete stolz, er wolle künstlerische Vollkommenheit anstreben, wenn Bassett nur erst tot wäre. Bassett war darüber nicht einmal erschrocken. Sein Leben war schon zu lange und zu stark am Versiegen, als daß ihn noch Furcht vor dem nahenden Ende hätte packen können. Er harrte weiter aus, wobei Phasen der Bewußtlosigkeit mit Phasen wechselten, in denen er halb bei Bewußtsein war, quasi träumte und ihm alles unwirklich erschien und er sich benommen fragte, ob er den Roten tatsächlich gesehen hatte oder ob es eine Traumphantasie im Delirium gewesen war.

Es kam der Tag, an dem sich alle Nebel und Gespinste auflösten und sein Kopf klar wie eine Glocke war; er schätzte die Kraft seines Körpers ab. Weder Hand noch Fuß konnte er heben. Er hatte so wenig Gewalt über seinen Körper, daß er seiner kaum gewahr wurde. In der Tat lastete das Fleisch seines Körpers wenig auf seiner Seele, und seine Seele wußte in dem kurzen Augenblick der Klarheit, daß das Dunkel des Endes nahe war. Er wußte, daß bald alles aufhören würde; er wußte, daß er den Roten tatsächlich mit eigenen Augen gesehen hatte, den Botschafter zwischen den Welten, wußte, daß er der Welt diese Botschaft nie mehr würde bringen können, diese Botschaft, die vielleicht schon zehntausend Jahre im Herzen von Guadalcanal darauf wartete, daß der Mensch sie vernahm. Mit Entschlossenheit rief Bassett Ngurn zu sich unter den Brotbaum, um mit dem alten Teufel-Teufel-Doktor die Bedingungen und Vorkehrungen für seine allerletzte Lebensanstrengung, sein letztes Abenteuer in der Vergänglichkeit des Fleisches zu besprechen.

„Ich kenne das Gesetz, Ngurn“, schloß er die Angelegenheit ab. „Wer nicht aus dem Volk stammt, darf den Roten nicht anschauen, ohne zu sterben. Ich werde sowieso nicht mehr leben. Deine jungen Männer sollen mich vor das Angesicht des Roten tragen, und ich werde ihn ansehen, seine Stimme hören und dann von deiner Hand sterben, Ngurn. Dann sind alle drei Dinge erfüllt: das Gesetz, mein Verlangen, und du kommst schneller in den Besitz meines Kopfes, für den schon alle Vorbereitungen getroffen sind.“

Ngurn stimmte dem zu, wobei er hinzufügte:

„Es ist besser so, es ist töricht, wenn ein kranker Mann, der nicht gesund werden kann, noch eine kurze Zeit weiterleben will. Auch für die Lebenden ist es besser, wenn er geht. Du warst uns in der letzten Zeit oft im Wege. Nicht daß es für mich nicht gut gewesen wäre, mit einem so weisen Mann zu sprechen. Aber schon mehrere Monate lang haben wir nur noch wenig miteinander geredet. Statt dessen hast du im Haus der Köpfe Platz belegt, hast Geräusche verursacht wie ein sterbendes Schwein oder hast viel und laut in deiner Sprache geredet, die ich nicht verstehe. Du hast mich gestört, denn ich denke gern über die großen Dinge des Lichts und der Dunkelheit nach, während ich die Köpfe im Rauch drehe. Und dein Lärm hat mich beim Begreifen und Bedenken der letzten Weisheit gestört, die mir gehören wird, bevor ich sterbe. Über dir hat ohnehin schon lange die Dunkelheit gelastet, und so ist es gut, daß du jetzt stirbst. Und ich verspreche dir, daß in den vielen, vielen Tagen, an denen ich deinen Kopf im Rauch drehen werde, niemand hereinkommen und uns stören wird. Ich werde dir viele Geheimnisse erzählen, denn ich bin ein alter und sehr weiser Mann, und ich werde immer mehr Weisheit sammeln, während ich deinen Kopf im Rauch drehe.“

Es wurde also eine Trage gebaut, auf der Bassett auf den Schultern von einem halben Dutzend Männern zu seinem letzten Abenteuer aufbrach, das das Abenteuer seines gesamten Lebens übertreffen sollte. Mit einem Körper, den er kaum spürte, denn selbst der Schmerz war aus ihm gewichen, und mit einem glasklaren Kopf, der ihm die stille Ekstase der reinen Geisteserleuchtung bereitete, lag er auf der schaukelnden Trage und beobachtete die scheidende Welt, sah zum letztenmal den Brotbaum vor dem Teufel-Teufel-Haus, den trüben Tag über dem Dschungelgeflecht, die düstere Schlucht zwischen den Bergvorsprüngen, den Sattel aus rohem Kalkstein und das Tafelland aus schwarzem vulkanischem Sand. Sie trugen ihn auf dem gewundenen Pfad den Abgrund hinunter und umkreisten dabei den Roten in seinem Glanz und seiner Glut. Es schien, als würde sein Färb- und Lichterspiel jeden Augenblick in einen süßen Gesang und gewaltigen Donner übergehen. Über die Knochen geopferter Menschen und die Bruchstücke von Göttern hinweg trugen sie ihn, vorbei an den Schrecknissen der noch lebenden Opfer zu der Holzsäule mit dem Dreifuß und dem mächtigen Klöppel.

Hier richtete sich Bassett mit Ngurns und Balattas Hilfe leicht auf, wobei er in den Hüften etwas schwankte, und schaute mit klaren, entschlossenen, alles erfassenden Augen auf den Roten.

„Einmal, Ngurn“, sagte er, ohne die Augen von der leuchtenden, vibrierenden Oberfläche zu nehmen, auf und hinter der alle Schattierungen von Kirschrot unaufhörlich spielten, ein ewiges Beben, das im Begriff, war, in einen Klang überzugehen, ein seidenes Rascheln, silbernes Flüstern, ein goldenes Saitenzupfen, ein samtenes Flöten aus dem Elfenland, ein sanftes fernes Grollen.

„Ich warte“, erwiderte Ngurn nach einer langen Pause, den langstieligen Tomahawk unauffällig in der Hand.

„Einmal nur, Ngurn“, wiederholte Bassett, „laß den Roten sprechen, so daß ich sehen und hören kann, wie er spricht.

Dann schlag zu, denn wenn ich meine Hand hebe, lasse ich meinen Kopf nach vorn fallen, um meinen Hals für den Schlag freizugeben. Aber, Ngurn, ich, der ich im Begriff bin, für immer aus dem Tageslicht zu scheiden, würde gern mit der Wunderstimme des Roten im Ohr scheiden.“

„Und ich versichere dir, daß niemals ein Kopf so gut geräuchert werden wird wie der deine“, sagte Ngurn ihm und gab ein Zeichen, worauf Männer an die vom Klöppel herunterhängenden Seile geschickt wurden. „Dein Kopf soll mein größtes Werk werden.“

Bassett lächelte still über die Eitelkeit des Alten, als der große geschnitzte Klotz, der um zwei Dutzend Fuß zurückgezogen worden war, losgelassen wurde. Im nächsten Augenblick verlor er sich angesichts der plötzlichen und dröhnenden Befreiung des Klanges in Ekstase. Ein solcher Donner! Die Weichheit der kostbarsten klingenden Metalle. So sprachen Erzengel, er war von großartiger Schönheit, schöner als alle anderen Klänge; er war mit der Intelligenz der Übermenschen von Planeten anderer Sonnen ausgestattet; er war die Stimme Gottes, zum Zuhören verlockend und zugleich befehlend. Und - das ewige Wunder jenes interstellaren Metalls! Bassett sah mit eigenen Augen, wie sich Farbe um Farbe in Klang verwandelte, bis die gesamte sichtbare Oberfläche der Riesenkugel ein Erzittern, ein Erregtsein, ein Dunstgebilde war, so daß er nicht mehr zwischen Farbe und Klang unterscheiden konnte. In diesem Augenblick gehörten ihm jene Zwischenstadien der Materie wie auch das Sichdurchdringen und Ineinanderübergehen von Materie und Kraft.