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Vivana streichelte Ruac über den Kopf. »Wo seid ihr eben gewesen?«

»Wir sind vor dem Erdbeben auf den Hügel geflohen. Als es vorbei war, sind wir zurückgegangen. Wir hatten Angst, euch in dem Durcheinander zu verlieren, und dachten uns, dass ihr früher oder später zum Wasserturm kommen werdet. Nedjo hielt es für klüger, dass wir uns auf der anderen Straßenseite verstecken und abwarten, was passiert. Dort ist eine Ruine, von der aus man den Turm beobachten kann. Das haben wir gemacht – bis Ruac euch gewittert hat.«

Alle waren einverstanden mit Luciens Vorschlag, das Versteck zu verlassen, und sie sammelten ihre Habseligkeiten und die restlichen Vorräte ein. Liam war froh, wieder mit seinen Freunden vereint zu sein. Das linderte die Verzweiflung, die er angesichts all des Grauens empfand, wenigstens ein bisschen.

Ein paar Minuten später waren sie abmarschbereit.

»Wir haben noch nicht geklärt, wohin wir gehen«, sagte Quindal.

»Am besten nach Süden, zum Hafenviertel«, schlug Liam vor. »Das ist weit genug weg vom Riss und den Dämonen. Vielleicht nimmt Vorod Khoroj uns auf.«

»Gute Idee«, sagte Vivana. »In Vorods Haus sind wir vermutlich sicherer als sonst irgendwo in der Stadt. Was meinst du, Paps?«

»Fragen wir ihn einfach«, erwiderte der Wissenschaftler. »Schließlich hat er uns seine Hilfe angeboten.«

Sie schulterten ihr Gepäck und machten sich auf den Weg. Als sie draußen die Straße überquerten, fiel Liam auf, dass einer von ihnen fehlte. »Wartet mal«, sagte er. »Wo ist Godfrey?«

Die Gefährten wandten sich zum Wasserturm um. Der Aethermann erschien in der Tür und schloss im Laufschritt zu ihnen auf.

»Da ist er doch«, sagte Lucien ungeduldig. »Kommt jetzt. Je eher wir bei eurem Freund sind, desto besser.«

22

Ein fragwürdiger Befehl

»Bitte, Herr, hilf uns«, flehte die dicke Frau. »Mein Mann liegt unter den Trümmern. Und meine Schwester. Bitte, bei der Gnade Tessarions...« Tränen strömten ihr über die Wangen.

Amander schüttelte ihre Hände ab. »Verschwinde, du Abschaum«, knurrte er und klopfte sich mit finsterer Miene den Staub vom Ärmel, während er zu Umbra stapfte. »Was machen wir jetzt?«

»Du hast Corvas doch gehört. Wir sollen hier warten.«

»Und die Verräter? Lassen wir sie einfach laufen?«

»Vergiss die Verräter. In diesem Chaos finden wir sie nie.«

Amander murmelte einen Fluch, setzte sich auf einen Trümmerbrocken und lud seine Pistole nach. Umbra blickte die verwüstete Hauptstraße von Scotia hinunter und presste die Lippen aufeinander.

Ein Erdbeben in ihrer Heimatstadt. Unfassbar.

Eine Krähe durchbrach die Staubschwaden, die zwischen den Häusern hingen.

»Da ist er.«

Amander und sie eilten zur Gasse, in der die Krähe verschwunden war. Aus den Schatten kam ihnen Corvas entgegen, in Menschengestalt. Er zupfte sein schwarzes Wams zurecht.

»Wie schlimm ist es?«, erkundigte sich Umbra.

»Der Kessel ist völlig zerstört. Auch die Grambeuge und der Süden der Altstadt sind betroffen. Zwischen der Kupferstraße und dem Fluss ist eine Erdspalte aufgerissen.« Der Bleiche zögerte kaum merklich. »Wesen klettern darin empor. Ich fürchte, es sind Dämonen.«

Umbra blinzelte. »Hast du gerade Dämonen gesagt?«

»Bring uns zum Palast«, sagte Corvas.

Umbra schwirrte der Kopf, und sie brauchte einige Minuten, bis es ihr gelang, ihre Kräfte zu sammeln und im Schatten der Gasse ein Portal zu öffnen. Im Palastgarten, im Eingang des Heckenlabyrinths, verließen sie den Tunnel. Umbra trat durch den Torbogen in der grünen Wand und blickte zum Anwesen auf. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung war es unversehrt. Auf einem Balkon am Ostflügel standen Cedric und die anderen Bediensteten und gafften Richtung Kessel.

»Wo ist die Herrin?«, rief Umbra zu ihnen hinauf.

»Ich glaube, in ihrem Labor«, antwortete Cedric.

»Du glaubst? Habt ihr Trottel es nicht für nötig gehalten, nach ihr zu sehen?«

»Uns ist es doch verboten...«

Umbra vergeudete keine Zeit damit, sich Cedrics Ausflüchte anzuhören. Sie öffnete ein neues Tor und betrat kurz darauf mit Corvas und Amander die Glashöhlen. Beißende Dämpfe waberten durch die Tunnel. Von Lady Sarka keine Spur.

Wachsende Besorgnis erfüllte Umbra, als sie den Palast nach ihr absuchten. Schließlich fanden sie die Herrin in einem Erkertürmchen in der Nähe ihrer Gemächer. Sie schien unverletzt zu sein. Umbra atmete auf.

Lady Sarka stand vollkommen reglos am Fenster, in ihren Schutzanzug gekleidet. Sie schien ihre Leibwächter nicht zu bemerken, nicht einmal dann, als Umbra neben sie trat. Stumm betrachtete sie das Bild der Verwüstung, das der Kessel bot.

Nun sah es auch Umbra. Feuer, Rauch und eine Spalte, die wie eine gewaltige Wunde im Fundament der Stadt klaffte. Und am Himmel... geflügelte Schatten, die über den Ruinen kreisten. Vögel? Nein. Viel zu groß für Vögel.

Ihr Mund wurde trocken. Das kann nicht sein. Das ist einfach nicht möglich.

»Habt ihr die Verräter gefasst?«, fragte die Herrin unvermittelt.

»Wir mussten die Suche abbrechen, als das Erdbeben angefangen hat«, antwortete Umbra. »Wir wollten uns vergewissern, dass Euch nichts zugestoßen ist.«

Lady Sarkas Blick glitt zu dem Trümmerfeld im Herzen der Stadt zurück. Ihre Miene glich einer Maske aus Porzellan.

»Diese Wesen«, begann Umbra. »Sind das wirklich...«

»Ja. Dämonen. Ungeheuer aus dem Pandæmonium. Tief unter der Stadt ist ein Tor aufgebrochen.«

»Wie konnte das geschehen?«

Die Herrin gab keine Antwort. Sie wandte sich vom Fenster ab, und plötzlich war ihre Stimme voller Schärfe.

»Ich werde nicht zulassen, dass meine Stadt zerstört wird. Ruft alle verfügbaren Soldaten zusammen. Sie sollen die Dämonen in das Höllenloch zurücktreiben, aus dem sie gekrochen sind.«

Corvas trat vor. »Ich fürchte, das ist nicht so einfach, Lordkanzlerin. Die Garnison der Alten Festung dürfte kaum noch einsatzfähig sein, und die Regimenter, die außerhalb der Stadt liegen, werden...«

»Du hast meinen Befehl gehört, Corvas.«

Der Bleiche neigte andeutungsweise den Kopf. »Gewiss, Herrin.«

»Amander, du wirst das Kommando übernehmen. Die Soldaten sollen den Kessel abriegeln. Kein Dämon darf ihn verlassen. Kein einziger, verstanden? Was ist los, Umbra? Missfällt dir meine Anordnung?«

»Bei allem Respekt, Herrin, aber in der Vergangenheit hat es sich bewährt, dass Corvas und ich militärische Einsätze leiten.«

»Seit wann verteilen wir Aufgaben nach persönlichen Vorlieben? Amander macht das. Ihr beide sucht weiter nach den Verrätern!«

Dass Amander die Regimenter anführte, konnte Umbra gerade noch akzeptieren. Aber dieser Befehl war schlichtweg absurd. Sie räusperte sich und sagte zögernd: »Wäre es nicht besser, wir würden all unsere Kräfte darauf konzentrieren, die Dämonen zurückzuschlagen? Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist schließlich ungleich größer als die Bedrohung durch ein paar...«

»Ach ja, meinst du?«, fiel Lady Sarka ihr ins Wort. »Darf ich dich daran erinnern, dass Quindal und seine Bande danach trachten, mich zu vernichten? Du magst das ja für nebensächlich halten, aber ich hänge sehr an meinem Leben. Ihr benachrichtigt die Regimenter, und anschließend bringt ihr mir die Verräter. War das jetzt verständlich genug? Oder soll ich es noch einmal wiederholen?«

Umbra wusste, wann es klüger war einzulenken. »Nicht nötig, Herrin. Eure Befehle sind klar und eindeutig.« Sie verneigte sich demütig.

»Das freut mich zu hören«, erwiderte Lady Sarka beißend. Sie klatschte zweimal in die Hände. »Worauf wartet ihr? An die Arbeit, na los.«