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Das Monster, das die Soldaten im Ministerium angegriffen hat! Angenommen, sie haben es sich nicht eingebildet. Sie spann diesen Gedanken weiter. Das Ungeheuer oder was auch immer schlägt den zweiten Trupp in die Flucht, und Jackon, Godfrey und der Manusch können fliehen.

War diese Theorie plausibel? Oder machte sie sich nur etwas vor, weil sie die Vorstellung nicht ertrug, Jackon könnte genau wie Corvas' Männer unter Tonnen von Schutt begraben liegen?

Hör auf mit der Gefühlsduselei und konzentrier dich! Die entscheidende Frage war jetzt: Wo steckten die anderen vier? Waren sie gleich nach ihrer Flucht aus Scotia hierher zurückgekehrt und hatten sich auf die Suche nach ihren Freunden gemacht? Hatte das Erdbeben sie aufgehalten, sodass sie erst in ein paar Stunden auftauchten? Oder kamen sie gar nicht, weil sie ahnten, dass sie im Wasserturm in eine Falle laufen würden?

Corvas rief nach ihr.

Sie fand den Bleichen im Treppenraum.

»Der Informant hat uns eine Nachricht hinterlassen«, sagte er und hielt die Lampe an die Wand.

Die Botschaft war mit Kohlestift und offenbar in großer Eile geschrieben worden. Es fiel Umbra nicht leicht, das Gekrakel auf dem Mauerwerk zu entziffern.

SIND BEI VOROD KHOROJ, stand da.

»Vorod Khoroj? Ist das nicht der Kerl mit dem schwimmenden Haus? Der Aetherhändler?«

»Ja.«

Umbra runzelte die Stirn. Wenn Khoroj in diese Sache verwickelt war, wieso wussten sie nichts davon? »Komm. Schnappen wir sie uns.«

Sie eilten die Treppe hinauf.

Als sie den Wasserturm verließen, sagte Umbra: »Also gut. Wer ist es?«

»Wovon sprichst du?«, entgegnete Corvas. »Drück dich bitte deutlicher aus.«

»Dein ominöser Informant. Ich will endlich wissen, woran ich bin. Und fang nicht wieder mit deiner albernen Geheimniskrämerei an.«

»Inzwischen sollte dir klar sein, wer es ist.«

»Gehen wir mal davon aus, dass ich heute ein bisschen schwer von Begriff bin, in Ordnung?«

Corvas sagte es ihr. Sie verzog den Mund. Darauf hätte sie wirklich von allein kommen können.

Das war einfach nicht ihr Tag.

Vorod Khoroj führte Jackon und seine Gefährten in den Hauptraum seines Palastes, einen kleinen Saal mit kostbarer Einrichtung, wo er sie aufforderte, in den geschnitzten Sesseln Platz zu nehmen. Er bot ihnen Gebäck und Getränke an und genehmigte sich einen tüchtigen Schluck Brandy.

Danach beruhigte er sich etwas. Er erzählte, er sei gleich nach dem Erdbeben mit seinem Luftschiff gestartet, um sich einen Eindruck von der Lage zu verschaffen. Seine Aetherlager, die sich mitten im Kessel befanden, waren schwer beschädigt worden, aber seine Leute hatten das Beben glücklicherweise unverletzt überstanden. Khoroj brachte sie in Sicherheit und flog anschließend zurück, um Verletzte zu bergen. Es gelang ihm, mehr als zwei Dutzend Menschen aus den Trümmern zu retten und zu einem Hospital in Scotia zu bringen. Bei Einbruch der Dunkelheit wurden jedoch die Dämonen auf ihn aufmerksam, und er musste aufgeben.

Als der Südländer mit seiner Geschichte fertig war, wirkte er plötzlich sehr erschöpft. Müde rieb er sich die Stirn. »Du musst mir verzeihen, Nestor. Es war ein langer Tag – ich vergesse meine Manieren. Du hast mich um Hilfe gebeten. Was kann ich für dich tun?«

Quindal stellte sein Brandyglas auf den Tisch und räusperte sich. »Ich will nicht lange um den heißen Brei reden. Kurzgefasst: Wir müssen so schnell wie möglich nach Yaro D'ar. Kannst du uns hinbringen?«

Khoroj ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Währenddessen herrschte gespannte Stille im Raum. »Tut mir leid, Nestor, aber das ist unmöglich«, sagte er schließlich. »Ich kann Bradost jetzt nicht verlassen. Ich muss mich um mein Geschäft kümmern.«

Jackon spürte, wie sich bei seinen Gefährten maßlose Enttäuschung breitmachte.

»Aber es ist wichtig«, platzte es aus Vivana hervor, was einen strafenden Blick ihres Vaters zur Folge hatte. »Ohne Ihre Hilfe kommen wir nie nach Yaro D'ar!«

»Ihr könnt ein Schiff nehmen.«

»Das geht nicht«, sagte Liam. »Am Hafen herrscht das reinste Chaos. Es kann Tage dauern, bis wir ein Schiff finden, das uns mitnimmt.«

»Wieso wollt ihr überhaupt dorthin? Seid ihr auf der Flucht vor der Geheimpolizei? Oder den Dämonen?«

»Es geht um den Phönix«, antwortete Quindal. »Wir haben vielleicht einen Weg gefunden, ihn zu befreien.«

Jackon sah Khoroj an, wie er mit sich rang. »Wären die Umstände anders, würde ich euch ohne Zögern helfen, glaubt mir«, sagte der Südländer. »Aber ihr müsst euch in meine Lage versetzen. Ich habe Verpflichtungen. Wenn es mir nicht gelingt, wenigstens einen Teil meiner Ware aus dem Kessel zu retten, bin ich ruiniert.«

»Ich sage das nicht gern«, erwiderte Quindal, der mühsam um Geduld rang, »aber wenn du uns nicht nach Yaro D'ar bringst, wirst du erst recht ruiniert sein. Dann ist ganz Bradost verloren, verstehst du? Ganz Bradost! Und der Rest der Welt vermutlich auch.«

Das überzeugte Khoroj nicht. Liam, Vivana und Quindal redeten weiter auf ihn ein, und der Wortwechsel wurde von Minute zu Minute heftiger. Jackon hätte seinen Freunden gerne geholfen, doch er wusste nicht, wie. Er ließ seinen Blick durch das exotisch eingerichtete Zimmer wandern. Der Palast erfüllte ihn immer noch mit Staunen, so sehr, dass er sogar seine Angst vor den Dämonen vergaß. Ein schwimmendes Haus! So etwas hätte er nie für möglich gehalten.

Während seine Gefährten mit Khoroj stritten, sah er sich eine Vitrine mit seltsam geformten Glaskelchen an. Ihr Gastgeber musste unvorstellbar reich sein, dass er sich all diese wunderbaren Dinge leisten konnte.

Er schaute aus dem Fenster und bemerkte Lichter draußen auf dem Wasser. Ein Boot. Es war noch weit weg, schien aber näher zu kommen.

Ein ungutes Gefühl fuhr ihm in den Magen. Leider war es zu dunkel, als dass er Einzelheiten hätte erkennen können. »Lucien, komm mal her.«

Der Alb trat zu ihm ans Fenster und spähte mit seinen scharfen Augen hinaus. »Corvas!«, keuchte er. »Er hat uns gefunden!«

Ihre Gefährten stürzten zum Fenster.

»Wie ist das möglich?«, rief Liam mit schreckgeweiteten Augen. »Wie hat er herausgefunden, wo wir sind?«

Lucien und Nedjo zogen ihre Waffen. Quindal fluchte derb und fuhr zu Khoroj herum. »Bitte, Vorod, du musst sofort...«

»Ja«, stieß der Südländer hervor. »Zum Luftschiff, schnell!«

Sie ließen alles stehen und liegen und stürmten nach draußen. Motorengeräusche näherten sich dröhnend der Insel. Nun konnte Jackon das Boot genauer erkennen. Es war ein aetherbetriebener Kutter, dessen Heckschraube das Wasser aufwühlte. Aus einem Schornstein quoll goldener Dampf.

Auf dem Deck standen Corvas, Umbra und mehrere Spiegelmänner.

Der Kutter war verdammt schnell. Als Jackon und seine Freunde die Treppe zur Landeplattform hinaufrannten, trennten ihn nur noch fünfzig, sechzig Schritt von der schwimmenden Insel.

Khorojs Leibwächter begannen, hektisch die Haltetaue zu lösen. Der Südländer öffnete die Luke der Gondel.

»Heißt das, du hast deine Meinung geändert?«, fragte Quindal atemlos.

»Glaubst du, ich lasse zu, dass Corvas euch zu fassen bekommt? Los, rein mit euch!«

Es gab Gedränge, als alle gleichzeitig versuchten, in die Gondel zu klettern. »Der Reihe nach!«, rief Khoroj. Vivana schlüpfte als Erste hinein.

Der Aetherkahn drosselte seine Geschwindigkeit. Corvas und Umbra sprangen über die Bordwand auf die Insel, gefolgt von sechs Spiegelmännern mit gezückten Rabenschnäbeln. Khorojs Leibwächter zogen ihre Pistolen und eröffneten das Feuer. Schüsse peitschten über die Insel und zwangen Corvas und Umbra, hinter den Mantikorfiguren am Anlegesteg in Deckung zu gehen.