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Torne verschwand aus Luciens Sichtfeld und redete weiter, während er in einem Regal herumwühlte.

»Monatelang habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich dich zur Strecke bringen könnte. Wie fängt man einen Alb, der so gerissen ist wie Lucien?, habe ich mich gefragt. Am besten mit Giftgas, dachte ich mir, aber natürlich durfte es kein gewöhnliches Giftgas sein. Ich musste eine völlig neuartige Rezeptur erfinden, eine Substanz, die genau auf die speziellen Widerstandkräfte eines Alben abgestimmt ist. Du machst dir keine Vorstellung, wie schwierig es ist, ein solches Gift zu destillieren. Was man dabei alles bedenken muss. Es gab Tage, an denen ich beinahe aufgegeben hätte, und ich bin sicher, ein Wald-und-Wiesen-Alchymist wäre an dieser Aufgabe verzweifelt. Aber wie du weißt, bin ich kein gewöhnlicher Trankmischer. Ich bin ein Meister meines Fachs, und so habe ich schließlich eine Rezeptur gefunden, die meine kühnsten Erwartungen übertroffen hat.«

Der Alchymist kam mit zwei Lederriemen zurück. »Leider hält die Wirkung nicht ewig. Wenn du also entschuldigst...« Er befestigte die Riemen an einer Seite des Tisches, schlang sie Lucien über Brust und Arme und über die Oberschenkel, zog sie fest und hakte sie auf der anderen Tischseite ein.

»Und weißt du, was mich ganz besonders stolz macht? Das Giftgas ist nicht einmal mein Meisterstück.« Etwas quietschte wie die Scharniere einer Kiste, und Torne erschien mit einem Messer in der Hand. »Das ist mein Meisterstück.«

Das Messer bestand vom Griff bis zur Spitze aus grünem Glas, in dem sich der Lampenschein brach wie in geschliffenem Smaragd.

»Wunderschön, nicht wahr? Es besteht aus Millionen von Kristallen, angereichert mit raffinierten und kostbaren Wirkstoffen, und es ist nicht gelogen, wenn ich dir sage, dass es eine verfluchte Schufterei war, sie zu gewinnen. Jeden Tag höchstens einen Fingerhut voll. Aber es hat sich gelohnt. Es ist ein Prachtstück. Der Gipfel der alchymistischen Kunst, wenn du mir das Eigenlob gestattest. So etwas hat es noch nie gegeben.«

Torne drehte das Glasmesser so, dass das Licht auf der Schneide gleißte. Dann strich er mit der Spitze sanft über Luciens Wange. Lucien konnte spüren, dass es sehr scharf war. Hätte der Alchymist ein wenig mehr Druck ausgeübt, hätte er sein Gesicht verletzt.

»Weißt du, was geschieht, wenn ich dich damit schneide? Die Klinge entzieht dir einen winzigen Teil deiner Albenkräfte und speichert sie in den Kristallen, sodass ich sie später extrahieren und zu einer nützlichen Essenz verarbeiten kann. Auf diese Weise zu sterben ist überaus qualvoll, denn es dauert lang.«

Die Klinge wanderte weiter, von Luciens Wange zu den Lippen, zum Kinn, über die Kehle, strich ganz sanft über seine Haut. Schließlich verharrte sie auf seinem Adamsapfel. Lucien bekam kaum noch Luft.

»Wir werden viel Spaß miteinander haben, wir zwei«, flüsterte ihm der Alchymist ins Ohr. Sein Atem roch Ekel erregend, nach schlechten Zähnen und entzündetem Zahnfleisch. »Wo soll ich anfangen? Am Arm? Du darfst entscheiden. Vielleicht könntest du ein bisschen zusammenzucken, wenn du einverstanden bist.«

In diesem Moment knarrte die Labortür. Silas Torne richtete sich ruckartig auf. Dabei zischte die grüne Klinge an Luciens Gesicht vorbei und verfehlte sein Auge um höchstens einen halben Zoll.

»Was machst du da?« Das war Umbras Stimme.

»Verschwinde«, fauchte Torne. »Siehst du nicht, dass ich zu tun habe?«

Lucien hörte, dass die Leibwächterin mit energischen Schritten hereinkam. Sie war nicht allein.

»Ist das deine Art, dich an eine Abmachung zu halten?«, fuhr sie den Alchymisten an. »Du sollst ihn einsperren, hab ich gesagt. Einsperren, nicht abstechen! Herrgott, Torne, hast du deinen Sadismus nicht mal für fünf Minuten im Griff?«

»Dazu hast du kein Recht!«, kreischte Torne, als sich zwei Schemen dem Tisch näherten.

Zwei Spiegelmänner lösten die Lederriemen, ergriffen Lucien an den Armen und stellten ihn auf die Füße. Torne schrie vor Wut.

»Schafft ihn zurück in den Keller«, befahl Umbra. Lucien war noch nie so froh gewesen, sie zu sehen.

»Das darfst du nicht!«, tobte der Alchymist. »Gib ihn mir zurück!«

»Nein. Wenn ich ihn hierlasse, kommst du nur in Versuchung.«

»Wann kriege ich ihn wieder?«

»Wenn ich ihn verhört habe.«

»Aber es dauert noch mindestens fünf Stunden, bis er wieder sprechen kann!«

»Dein Pech«, sagte Umbra.

Dem Getöse nach zu schließen, warf der Alchymist in seinem Zorn Regale und Gerätschaften um, während die Spiegelmänner Lucien wegtrugen. Umbra ging voraus, und wenig später stiegen sie die Treppe zum Keller hinab.

Lucien spürte immer noch die Glasklinge an seiner Kehle. Ein Schweißtropfen rann ihm über die Stirn. So knapp war es schon lange nicht mehr gewesen...

Man brachte ihn in die Glashöhlen zurück. In einer von blauem Licht erfüllten Kaverne schloss Umbra eine eiserne Tür auf, hinter der sich ein kleiner Raum mit gemauerten Wänden befand.

Seit Lucien sich von seinem Entsetzen erholt hatte, dachte er angestrengt darüber nach, wie er sich diese günstige Wendung der Ereignisse zu Nutze machen konnte. Als er sein neues Gefängnis sah, konnte er sein Glück kaum fassen. Glaubte Umbra wirklich, so eine lächerliche Zelle konnte ihn aufhalten?

»Du bist nicht das erste Schattenwesen, das wir hier gefangen halten«, sagte die Leibwächterin, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Deine Albenkräfte werden dir nichts nützen, also versuch es gar nicht erst.«

Jetzt erst sah er, dass in die Decke ein Drudenfuß eingeritzt war. Seine Zuversicht verschwand so schnell, wie sie gekommen war.

Die Spiegelmänner legten ihn unsanft auf den Zellenboden. Umbra warf die Tür zu und schloss ab.

Lucien lag auf dem Rücken, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Er war noch keine Minute hier drin, doch er spürte bereits, wie die Macht des magischen Symbols in ihn eindrang und seine letzten Kräfte betäubte.

Fünf Stunden – so viel Zeit blieb ihm, bis Umbra zurückkam. Er konnte nur hoffen, dass die Wirkung des Giftgases vorher nachließ und er sich wenigstens wieder bewegen konnte, wenn sie aufkreuzte.

Allmählich schien das Gefühl in seine Hände zurückzukehren – er meinte, die rauen Steinplatten unter seinen Fingerkuppen zu spüren. Er konzentrierte sich, bündelte seine Willenskraft, stellte sich vor, wie seine Finger zuckten, die Steifheit abschüttelten... nichts. Das Gift war zu stark.

Aus der Dachflanke des Ostflügels wuchs ein Erkertürmchen, eins von einem guten Dutzend, die das Anwesen krönten. Efeu klammerte sich an die Fassade, umrankte die gesplitterten Buntglasfenster und wurde erst von den Bleiplatten des Spitzdachs aufgehalten. Zwei Wasserspeier lugten aus dem Blättergestrüpp; Wind und Wetter hatten sie so sehr abgeschliffen, dass sie konturlosen Steinzapfen glichen.

Jackon kauerte auf dem kleinen Balkon und tippte mit den Fußspitzen gegen das rostzerfressene Geländer. Erinnerungen zogen an ihm vorbei wie die Geisterbilder einer Laterna magica.

Er dachte an die Nacht, in der Corvas ihn in seinem Schlupfwinkel gefunden hatte. An die Tage im Haus der stummen Zwillinge, wo er zum ersten Mal in einem richtigen Bett geschlafen hatte. An seine erste Begegnung mit Lady Sarka im Kuppelsaal, während draußen ein Gewitter tobte. An den Beginn seiner Ausbildung, die Nächte im geheimen Zimmer und wie die Lady ihn gelehrt hatte, seine Kräfte zu meistern und zu vergrößern.

Es war eine unbeschwerte, eine aufregende Zeit gewesen, doch sie währte nicht ewig. Aziel wurde auf ihn aufmerksam und versuchte, ihn zu töten. Schwer verletzt überlebte er, erholte sich langsam von seinen Wunden. Dachte, er könne sein Leben nur retten, wenn er Aziel vernichtete. Übte weiter, wurde mächtiger und mächtiger.