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»Liam!«, schrie Vivana.

Liam setzte sich in Bewegung, erst langsam, dann immer schneller, und hastete hinter seinen Gefährten den Pfad hinauf. Einer der Wichte löste sich aus der Horde und stürmte näher, das Messer zum Stoß erhoben. Ein Schuss donnerte, und der Kobold wurde von der Wucht des Treffers zu Boden geschleudert.

»Beeilt euch!«, rief Khoroj aus der Luke der Jaipin, als sie das Landefeld erreichten. Er hatte die Motoren gestartet, und das Luftschiff schwebte einen Schritt über dem Boden. Seine Leibwächter waren ausgestiegen und feuerten auf die Ungeheuer.

Jackon und Vivana stiegen ein. Liam warf einen Blick zurück und sah, dass es in der Siedlung inzwischen von Dämonen nur so wimmelte. Überall krochen sie hervor, aus Wohnhäusern und Schuppen, aus Kellerfenstern und Regenzisternen, wie Maden, die aus einem Kadaver quollen, hundsköpfige Kynokephalen, Schlangenmenschen und insektenhafte Kreaturen mit summenden Flügeln, einer abscheulicher als der andere. Ihr Geheul ließ Liam das Blut in den Adern gefrieren.

Nedjo stand neben ihm, aschfahl. Leise fluchend lud er seine Pistole nach und zitterte dabei so stark, dass er mehrere Patronen fallen ließ.

»Was machst du da?«, stieß Liam hervor. »Komm, wir müssen einsteigen!«

»Zuerst hole ich mir den Trank.«

»Spinnst du? Die Dämonen werden dich abschlachten!«

»Lieber sterbe ich, als noch eine solche Nacht zu ertragen.«

Nedjo lief zu Khorojs Leibwächtern, die hinter dem Ankermast kauerten und auf die Dämonen schossen. Zwei Wichte lagen bereits tot auf dem Hang; die anderen waren hinter den Felsen in Deckung gegangen.

»Was ist denn los mit ihm?«, brüllte Quindal aus der Luke der Jaipin. »Wieso steigt er nicht ein?«

»Er ist verrückt geworden«, rief Liam. »Er will nicht ohne den Trank gehen.«

Fluchend sprang der Erfinder aus der Gondel. Liam und er rannten zum Ankermast. Nedjo verbarg sich hinter einem Strebepfeiler, presste sich gegen das Holz und murmelte leise vor sich hin, während er mit flackerndem Blick die Siedlung beobachtete. Plötzlich sprang er aus seiner Deckung und gab zwei ungezielte Schüsse auf die Dämonen ab. Gerade als er losrennen wollte, packte Quindal ihn mit seiner mechanischen Hand.

»Lass mich los!«

»Nein. Du kommst mit uns.«

»Ich brauche den Trank!«

»Wir finden einen anderen Weg, um uns zu schützen. Jetzt komm endlich. Du bringst uns alle in Gefahr.«

»Ihr versteht das nicht«, keuchte Nedjo mit erstickter Stimme. »Diese Gesichter... Sie starren mich an. Sie flüstern. Und die Würmer... sie sind überall. In meinem Kopf. Unter meiner Haut...«

Er schrie auf, als Quindal ihm den Arm verdrehte und ihn zwang, die Pistole fallen zu lassen. »Hilf mir, Liam!«

Nedjo tobte wie ein Wahnsinniger. Er schrie und wand sich und trat nach Liam, der versuchte, seine Beine festzuhalten. Liam bekam einen heftigen Tritt ins Gesicht, bevor es ihnen endlich gelang, den Manusch zu überwältigen. Gemeinsam trugen sie ihn zum Luftschiff, gefolgt von den beiden Leibwächtern.

»Nein!«, brüllte Nedjo, als sie ihn in die Luke schieben wollten. »Nein!« Khoroj und Jackon versuchten, ihn von innen hochzuziehen. Er wehrte sich erbittert. »Lasst mich den Trank holen! Bitte! Bitte, lasst mich!«

Liam blickte zum Ankermast. »Die Dämonen kommen!«

Quindal ließ Nedjo los. »Tut mir leid, aber du zwingst mich dazu.« Er versetzte dem Manusch mit seiner normalen Hand einen Kinnhaken, der Nedjo benommen gegen die Gondel taumeln ließ. Mit vereinten Kräften schoben und zogen sie ihn hinein und kletterten ihm nach.

Die Motoren heulten auf, und die Jaipin startete – keine Sekunde zu spät, denn im nächsten Moment stürmten die Wichte heran und schwenkten wütend ihre Waffen.

Quindal warf die Lukentür zu. Nedjo kam zu sich, rappelte sich stöhnend auf und begriff, wo er war. Augenblicklich begann er wieder zu toben.

»Lasst mich aussteigen!«, brüllte er und schlug auf die beiden Leibwächter ein, als diese ihn nicht zur Luke ließen. »Ich halte es hier drin nicht mehr aus!«

Die Männer rangen ihn zu Boden und hielten ihn fest. Einer der Söldner rief Khoroj etwas auf Yarodi zu.

»Er macht noch alles kaputt!«, schrie Khoroj aus dem Steuerraum. »Fesselt ihn, wenn er nicht damit aufhört!«

In seiner Raserei entwickelte der Manusch solche Kräfte, dass sogar die kampferprobten Söldner Mühe hatten, mit ihm fertigzuwerden. Liam schauderte, als er den Ausdruck in Nedjos Augen sah. Es war kein Wahnsinn, der ihn so toben ließ, sondern pure Verzweiflung.

»Jackon, hol ein Seil aus dem Frachtraum, schnell«, befahl Quindal. »Liam, Lucien, ihr helft mir, ihn in seine Kabine zu bringen.«

Nedjo wehrte sich so heftig, dass es ihnen nur mit Mühe gelang, ihn hochzuheben. Liam wurde mehrmals geschlagen und getreten, bis sie es schafften, ihn in den Gang zu tragen. Erschwerend kam hinzu, dass das Luftschiff nun über den Klippen schwebte, wo starke Windböen es durchschüttelten.

Liam stieß die Tür der Passagierkabine auf, und sie zerrten Nedjo aufs Bett. Jackon kam mit dem Seil. Lucien fesselte dem Manusch Arme und Beine und band ihn ans Bettgestell, während Liam und Quindal ihn festhielten. Nedjo atmete schwer und versuchte, sich aufzubäumen, doch Lucien hatte das Seil so fest gezogen, dass er sich kaum noch bewegen konnte.

Liam wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Er konnte Nedjo nicht ansehen. Der Manusch war ihr Gefährte, ihr Freund – und sie wussten sich nicht anders zu helfen, als ihn zu fesseln.

Vivana rief nach ihm.

»Kommt ihr ohne mich klar?«

»Wir passen auf ihn auf«, sagte Lucien. »Geh schon.«

Liam trat auf den Gang und entdeckte Vivana im Aufenthaltsraum. Er lief zu ihr und prallte einmal gegen die Wand, als Khoroj die Klippen in einem Bogen umfuhr und sich das Luftschiff dabei leicht zur Seite neigte.

»Ruac!«, sagte Vivana. »Er ist zu schwach.«

Liam blickte aus dem Fenster. Die Klippe, auf der Ruac saß, befand sich inzwischen gut fünfzig Schritt unter ihnen. Der Lindwurm breitete seine Flügel aus, doch er schaffte es nicht, ihnen nachzufliegen. Erschöpft sank er zurück auf die Felsen. Der zweitägige Flug mit nur einer kurzen Rast hatte ihn offensichtlich völlig entkräftet.

»Wir müssen Vorod sagen, dass er auf ihn warten muss«, stieß Vivana hervor.

Sie liefen den Gang hinunter. Auf halbem Weg kam ihnen Jackon entgegen.

»Was ist?«

»Ruac«, antwortete Liam. »Er kann nicht mehr.«

Zu dritt eilten sie zum Steuerraum.

»Wir können noch nicht starten«, sagte Vivana. »Ruac muss sich ausruhen.«

»Ausgeschlossen«, erwiderte Khoroj mit harter Miene. »Wir starten jetzt.«

»Sie wollen ihn zurücklassen?«, fragte Jackon empört.

»Wir können nicht auf ihn warten. Es ist zu gefährlich.«

»Hier oben passiert uns doch nichts«, entgegnete Liam.

»Wir haben nicht mehr genug Treibstoff. Außerdem kriegen wir gerade Besuch.« Khoroj wies auf drei geflügelte Schemen, die sich ihnen vom Meer aus näherten. Verschlinger.

»Haltet euch fest«, sagte der Südländer, zog an einem Hebel und beschleunigte die Jaipin.

Liam, Vivana und Jackon redeten auf ihn ein, flehten ihn an, umzukehren und Ruac nicht im Stich zu lassen. Doch Khoroj blieb hart. Unbeirrt steuerte er das Luftschiff nach Osten, fort von der Insel, fort von Ruac.

»Bitte«, sagte Vivana mit Tränen in den Augen. »Die Verschlinger werden ihn töten.«

»Das reicht jetzt.« Khoroj gab seinen Leibwächtern einen Befehl, woraufhin die Männer sie aus dem Steuerraum schoben und ihnen die Tür vor der Nase zuschlugen.

»Wissen Sie, was Sie sind?«, schrie Jackon. »Ein Feigling!« Er trat gegen die Tür.