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In seinem Seelenhaus erwarteten ihn verworrene Träume. Er eilte durch ein düsteres Bradost, das nur aus brennenden Ruinen bestand. Schwarze Riesenvögel kreisten am flammenden Himmel, und überall irrten verzweifelte Menschen umher. Umbra war auch da. Du hast mich belogen!, warf sie ihm vor und weinte gleichzeitig, was ihn zutiefst verstörte. Er hatte sie noch nie weinen gesehen. Er hatte nicht einmal für möglich gehalten, dass sie überhaupt weinen konnte.

Jackon war aus der Übung, weshalb es ihm erst nach einer Weile gelang, seine Gedanken zu fokussieren.

Es ist nur ein Traum. Mir kann nichts geschehen.

Er hängte Umbra ab, versteckte sich in einer Ruine und hielt nach Lady Sarka Ausschau. Zu seiner Erleichterung war sie nirgendwo zu sehen. Dabei hätte sie längst bemerken müssen, dass er wieder träumte. Hatte sie nach ein paar Nächten, in denen sein Seelenhaus leer gewesen war, aufgehört, es zu beobachten?

Er beschloss, aufs Ganze zu gehen, und das Seelenhaus zu verlassen.

Er musste recht lange nach der Tür suchen, doch als er sie endlich fand, bereitete es ihm keinerlei Mühe, sie zu öffnen. Da wusste er, dass seine Kräfte vollständig zurückgekehrt waren. Seine Nervosität wich frischer Zuversicht.

Die brauchte er auch, denn was er draußen vorfand, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen.

Jackon erblickte kaum ein Seelenhaus, das nicht beschädigt war. Trümmer lagen auf den Straßen. Geflohene Träume huschten umher und versteckten sich vor ihm in den Schatten. Sammler krochen ziellos durch die Gassen, ohne ihrer Aufgabe nachzugehen. Auf den Dächern kämpften geflügelte Boten gegeneinander, ließen achtlos Traumsubstanz fallen oder brachten sie in Seelenhäuser, die längst von der silbrigen Materie überquollen.

Jackon brauchte einen Moment, bis er seinen Schrecken überwand. Die Traumlanden zerfielen viel schneller, als Lucien und er gedacht hatten.

Er wagte kaum, sich umzudrehen. Auch sein eigenes Seelenhaus hatte sich auf bedrohliche Weise verändert. Es gehörte zu jenen, die unkontrolliert wuchsen. Wie ein rasant wuchernder Bienenstock hatte es zahlreiche neue Räume und Flure herausgebildet, womit es den Nachbarhäusern schwere Schäden zufügte.

Er musste etwas dagegen unternehmen. Glücklicherweise hatte er gelernt, wie man ein kaputtes Seelenhaus reparierte: Er legte die Hand auf das Mauerwerk und begann, die Substanz des Gebäudes zu verändern. Gewucherte Zimmer fielen in sich zusammen. Risse und Löcher schlossen sich. Kurz darauf sah sein Seelenhaus wieder so aus wie früher.

Nur für wie lange?, fragte er sich besorgt. Außerdem waren da noch die anderen Häuser in der Straße, die ebenfalls dringend eine Reparatur benötigten.

Nein. Wenn er damit anfing, wäre er die ganze Nacht beschäftigt und würde es vermutlich trotzdem nicht schaffen. Der Kampf gegen den Niedergang der Traumlanden war nicht zu gewinnen. Allenfalls konnte er sich um die Seelenhäuser seiner Gefährten kümmern.

Nacheinander sprang er zu den Häusern von Liam, Vivana, Quindal und Nedjo. Alle waren beschädigt – dass seine Freunde das noch nicht bemerkt hatten, lag allein daran, weil sie in den letzten Nächten nicht träumten. Besonders Nedjos Seelenhaus, das einem bunten Zirkuszelt glich, hatte gelitten: Überall klafften Löcher in den Wänden. Kein Wunder, dass der junge Manusch um ein Haar verrückt geworden wäre. Jackon reparierte sie, so gut er konnte. Er war gerade mit Nedjos Seelenhaus fertig, da bemerkte er Lady Sarka.

Hastig versteckte er sich im Innern des Zirkuszelts und spähte aus dem Türspalt. Schön und schrecklich zugleich schritt Lady Sarka durch die Gassen, umgeben von einer Aura aus frostig glühendem Licht, beinahe wie eine Vila aus der Schattenwelt. Sie betrat ein Seelenhaus, und kurz darauf drangen Schreie aus den Fenstern.

Sie besucht die Träume ihrer Untertanen, dachte Jackon voller Grauen. Und wer nicht auf ihrer Seite steht, wird bestraft.

Leise schloss er die Tür und betete, dass sie ihn nicht entdeckte. Geduckt schlich er zu einem Fenster und sah die Herrin der Träume das Seelenhaus mit kaltem Triumph in den Augen verlassen. Sie sprang – und war von einem Moment auf den nächsten verschwunden.

Jackon lehnte sich gegen die Wand, schloss die Augen und wartete, bis sein Herz nicht mehr wie wild pochte.

Sie hat ihre Kräfte tatsächlich gemeistert. Sie kann alles, was ich kann – nur viel besser.

Plötzlich erschien ihm ihr Vorhaben, sie aufzuhalten, vollkommen aussichtslos, ja, einfach verrückt.

Mutlos verließ er Nedjos Seelenhaus. Draußen machte er eine weitere beklemmende Entdeckung. Mit ihrem Sprung hatte Lady Sarka so viel psychische Energie freigesetzt, dass mehrere Boten und Sammler in der Nähe getötet worden waren. Und nicht nur das – die Energiewelle hatte außerdem die Schäden an den umliegenden Gebäuden vergrößert. Es ist genau so, wie Lucien sagt: Seit Lady Sarka über die Traumlanden herrscht, wird alles noch schneller zerstört.

Die unerwartete Begegnung mit seiner einstigen Herrin hatte ihn so aus der Fassung gebracht, dass er beinahe vergessen hätte, warum er hergekommen war. Er fokussierte seine Gedanken und konzentrierte sich auf Tymerion Vai, dachte an dessen dröhnende Stimme, das bärtige Gesicht, den herrischen Glanz in den Augen – und sprang.

Erwartungsgemäß besaß Vai ein eindrucksvolles Seelenhaus. Es ähnelte den anmutigen Holzpalästen der besseren Gesellschaft Suurajs und besaß elegante Balkone, geschwungene Treppen und eine Kuppel.

Verwundert stellte Jackon fest, dass die Fenster dunkel waren. Mit gerunzelter Stirn warf er einen Blick hinein.

Das Seelenhaus war leer. Keine Spur von Träumen.

Natürlich – der Admiral hatte zum Schutz vor den Traumstörungen den Anti Traum Trank zu sich genommen, wie wahrscheinlich jeder hochrangige Beamte und Offizier Suurajs. Jackon hätte es sich denken können.

»Verdammter Mist«, murmelte er und wachte auf.

Schlaftrunken zündete er die Kerze auf seinem Nachttisch an und schaute zur Wanduhr. Kurz nach drei. Er trat zum Fenster, atmete die kühle Nachtluft ein und lauschte dem Plätschern der Wellen, die viele Fuß unter ihm gegen die Schwimmfässer schlugen.

Es hatte keinen Zweck. Ohne Hilfe konnte er seinen Plan nicht in die Tat umsetzen. Er musste Khoroj und Jerizhin einweihen.

Zwanzig Minuten später saß er im Büro der Kapitänmagistratin. Die beiden waren nicht gerade begeistert, dass er sie aus den Betten geholt hatte.

»Noch mal von vorne«, sagte Jerizhin müde. »Ich soll die Ratssitzung um einen Tag verschieben und Tymerion überreden, den Trank nicht mehr zu nehmen. Habe ich das richtig verstanden?«

»Es genügt, wenn er ihn morgen Abend... ich meine heute Abend nicht nimmt. Er muss nur eine Nacht träumen.«

»Damit du was tun kannst?«

»Ich werde ihn dazu bringen, unsere Pläne nicht mehr zu behindern.«

»Und wie, wenn ich fragen darf?«

Sie hatten Jerizhin nicht erzählt, dass er es gewesen war, der Lady Sarka zur Herrin der Träume gemacht hatte. Folglich wusste sie auch nicht, dass er ein Traumwanderer war, und Jackon wollte, dass das so blieb.

Als er noch über eine Antwort nachdachte, sagte Khoroj: »Der Junge hat gewisse Fähigkeiten. Du solltest ihm vertrauen.«

»Gewisse Fähigkeiten, so. Mir scheint, ich weiß über deine neuen Freunde nicht halb so viel, wie ich dachte.« Jerizhin musterte Jackon argwöhnisch. »Damit eins klar ist: Ich lasse nicht zu, dass du Tymerion Schaden zufügst. Er ist ein sturer Ochse, und er geht mir auf die Nerven, aber ich möchte nicht, dass ihm etwas zustößt, verstanden? Immerhin ist er ein Admiral von Suuraj.«