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»Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass er Angst bekommt. Das ist alles.« Dass er vorhatte, Vai entsetzliche, Blut gefrierende Angst und an schreienden Wahnsinn grenzendes Grauen einzuflößen, behielt Jackon für sich.

»Gut. Ich hoffe, du weißt, was du tust«, sagte Jerizhin skeptisch.

»Kannst du die Ratssitzung verschieben?«, fragte Khoroj.

»Das sollte kein Problem sein. Der Rat hat ohnehin keine große Lust, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen. Viel schwieriger wird es, Tymerion dazu zu bringen, den Trank nicht zu nehmen.«

»Könnten Sie dafür sorgen, dass der Trank verschwindet?«, fragte Jackon.

»Tymerion hat wie ich einen größeren Vorrat davon. Es wäre zu auffällig, alle Phiolen verschwinden zu lassen. Außerdem kann er sich jederzeit neuen besorgen. Nein, wir müssen anders vorgehen.«

»Wie sind seine Gewohnheiten?«, erkundigte sich Khoroj. »Hat er einen Diener, der ihm den Trank vor dem Schlafengehen darreicht?«

»Vermutlich stellt Samui, sein Leibdiener, ihm die Phiole jeden Abend mit seiner Arznei hin.«

»Wir könnten den Trank austauschen lassen«, schlug der Südländer vor. »Durch ein Mittel, das genauso schmeckt, aber völlig wirkungslos ist.«

Jerizhin nickte langsam. »Ja, das könnte klappen. Mein Hermetiker kann so etwas sicher anrühren.«

»Aber wie kommt der falsche Trank auf Vais Nachttisch?«, fragte Jackon.

»Das überlassen wir dem guten alten Samui. Es wäre nicht das erste Mal, dass er mir einen Gefallen tut. Er ist immer knapp bei Kasse und weiß einen funkelnden Silber-Shii durchaus zu schätzen. Tymerion will einfach nicht begreifen, dass man seine Diener anständig bezahlen muss«, fügte die Kapitänmagistratin mit einem listigen Lächeln hinzu.

Die Stunden bis zum Abend verbrachte Jackon in gespannter Erwartung. Jerizhin gelang es mit einem Vorwand, die Ratssitzung auf den nächsten Tag zu verschieben. Als Jackon der Kapitänmagistratin bei Einbruch der Dunkelheit auf dem Korridor begegnete, nickte sie ihm kaum merklich zu.

Er wartete noch eine Stunde, dann legte er sich ins Bett und schlief ein.

Diesmal sprang er ohne Umwege zu Vais Seelenhaus. Angespannt schaute er zu den Fenstern auf und erblickte das Flackern erwachender Träume. Ihr Plan hatte funktioniert!

Jackon öffnete die Tür, und seine Augen weiteten sich. Tymerion Vai träumte von Frauen... von vielen Frauen... und besonders von solchen, die nicht viele Kleider trugen. Jackon wusste nicht, wohin er zuerst schauen sollte. Mit starrem Blick schritt er durch samtige Korridore. Dass ihm einige der Frauen zuwinkten und sich im Vorbeigehen an ihn schmiegten, erleichterte es ihm nicht gerade, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.

Er fand Vai in einem holzgetäfelten Salon, den weiches Licht erfüllte. Der Admiral war ein hünenhafter Mann, der sich breitbeinig auf eine Couch fläzte, an einem Weinglas nippte und zufrieden lächelte, als die üppige junge Frau, die auf seinem Schoß saß, sein Hemd aufknöpfte und seine behaarte Brust streichelte.

Er begriff sofort, dass Jackon kein Teil seines Traums war, und knurrte etwas. Obwohl Jackon kein Wort Yarodi sprach, verstand er es auf Anhieb: Wer zum Teufel bist du?

»Der Spielverderber«, antwortete er und ließ die Frauen, den Weinkelch und den gesamten Salon verschwinden, sodass nur die nackten Wände des Seelenhauses zurückblieben.

Vai fiel aufs Gesäß, als sich die Couch unter ihm auflöste. Er brüllte vor Zorn und stürmte mit geballten Fäusten heran. Jackon hob erstaunt die Augenbraue. Nur extrem selbstsichere Personen gerieten nicht in Panik, wenn man ihre Träume manipulierte.

Höchste Zeit, die Spielregeln zu ändern.

Er erschuf eine Grube. Es platschte, als Vai in das stinkende Brackwasser fiel.

Rauschhafte Erregung durchströmte Jackon, während er den Schreien des Admirals lauschte. Es war genau wie damals, in der Anfangszeit seiner Ausbildung, als er seine alten Peiniger heimgesucht und sich an ihnen gerächt hatte. Ihm wurde klar, wie sehr ihm seine Kräfte gefehlt hatten. Vor lauter Reue und Selbstmitleid hatte er ganz vergessen, wie großartig es sich anfühlte, sie zu gebrauchen, die eigene Stärke auszukosten, in seiner Macht zu baden. Er wünschte, dieser Moment würde nie zu Ende gehen.

Schau dich an, flüsterte eine verräterische Stimme in seinen Gedanken. Lady Sarka nennst du ein Monster, weil sie ihre Macht nutzt, um ihre Feinde zu strafen. Und was tust du? Genau dasselbe! Du bist kein bisschen besser als sie.

Schlagartig verschwand das Hochgefühl, und er kam sich vor wie ein kleiner, dummer Narr.

Hatte er denn gar nichts aus seinen Fehlern gelernt? Es war falsch, seine Kräfte auf diese Weise einzusetzen – er hatte doch gesehen, wohin das führte. Warum hatte er nicht auf sein Gefühl gehört? Er hätte sich nie auf Luciens Plan einlassen dürfen.

Vai rief etwas, und seine Stimme war voller Angst.

Hilf mir!

Jackon ging neben der Grube in die Hocke. Der Admiral kämpfte verzweifelt gegen die Tentakel, die sich im Wasser wanden und seine Beine umschlangen. Wenn er versuchte, hinauszuklettern, öffneten sich in der Grubenwand schnappende Mäuler.

Jackon war drauf und dran, den Albtraum abzubrechen, den armen Admiral zu erlösen und in die Wachwelt zurückzukehren. Aber dann würde Jerizhin nie ihre Luftschiffe bekommen, sie hatten keine Chance, Mahoor Shembar nach Bradost zu bringen, Lady Sarka würde triumphieren, und die Dämonen würden die Welt zerstören.

Es war vertrackt!

Also gut, dachte Jackon. Nur noch dieses eine Mal. Aber dann ist Schluss. Und hör vor allem auf, es zu genießen!

»Verstehst du mich?«, rief er in die Grube.

»Was machst du mit mir?«, schrie Vai, der, wie sich nun zeigte, die Sprache des Nordens beinahe so gut beherrschte wie Jerizhin.

»Ich habe dir diesen Albtraum geschickt. Und ich werde dir weitere schicken, wenn du nicht tust, was ich dir sage.«

»Aber ich habe doch den Trank genommen!«

»Na und? Wie du siehst, bin ich trotzdem hier. Hör zu: Morgen bei der Ratssitzung wirst du Jerizhins Antrag ohne Wenn und Aber unterstützen. Du wirst aufhören, dich ihr zu widersetzen, und ihr so viele Luftschiffe zur Verfügung stellen, wie sie haben will. Wenn du das nicht tust, werde ich nächste Nacht wiederkommen. Und in der übernächsten Nacht. Jede Nacht, bis du mir gehorchst. Hast du verstanden?«

Falls der Admiral antwortete, so hörte Jackon es nicht, denn in diesem Moment zogen die Tentakel Vai unter Wasser.

Der Rat Suurajs kam in der großen Halle des Magistratspalastes zusammen. Filigran geschnitzte Säulen stützten die Kuppeldecke und verliehen diesem Ort einen würdevollen, beinahe sakralen Charakter. Als Jackon und Vorod Khoroj eintrafen, saßen bereits mehr als vierzig Frauen und Männer auf den terrassenförmig angelegten Bänken: die Astrophilosophen mit ihren seltsamen Halbmasken, die Priesterschaft des Assamira sowie die Sprecher der Hermetikergilde und anderer einflussreicher Gruppen des Stadtfloßes.

Jackon und Khoroj, die kein Stimmrecht besaßen, mussten auf der Empore Platz nehmen. Sie waren nicht die einzigen Besucher: Neben ihnen stand ein junger Mann mit Nickelbrille, der sich eifrig Notizen machte. Offenbar ein Berichterstatter der Zeitung Suurajs, die an jeder Straßenecke verkauft wurde.

Tymerion Vai tauchte als Letzter auf. Der sichtlich angeschlagene Admiral, dessen blaue Aeronautenuniform heute nicht richtig zu sitzen schien, schleppte sich zu seinem Platz. Als er Jackon entdeckte, schrak er zusammen und ließ seine Akten fallen. Ein Saaldiener eilte herbei und half ihm beim Aufsammeln der Schriftstücke.

Kurz darauf eröffnete der Ratsälteste die Sitzung, indem er genau wie vorgestern die Tagesordnung verlas. Da diese lediglich einen Punkt umfasste, dauerte die Prozedur nur wenige Sekunden.