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Anschließend trat Jerizhin an das Rednerpult und begann zu sprechen.

»Was sagt sie?«, fragte Jackon flüsternd.

»Sie wiederholt noch einmal ihren Antrag und bittet den Rat, ihr die Befehlsgewalt über einen Teil der Luftschiffflotte zu übertragen«, übersetzte Khoroj ebenso leise.

Jerizhin kehrte zu ihrem Platz zurück, und der Ratsälteste ergriff erneut das Wort.

»Was passiert jetzt?«

»Die verschiedenen Positionen zu dem Antrag wurden bereits ausführlich dargelegt, deshalb schlägt der Älteste vor, auf eine erneute Debatte zu verzichten und gleich zur Abstimmung überzugehen. Es sieht so aus, als hätte niemand Einwände dagegen.«

Hände wurden gehoben. Genau wie bei der ersten Sitzung stimmte eine deutliche Mehrheit für Jerizhins Antrag.

»Jetzt fragt der Älteste den Befehlshaber der Aeronauten, ob er von seinem Vetorecht Gebrauch machen will«, erklärte Khoroj.

Jackon biss sich nervös auf die Lippe, als Tymerion Vai zum Rednerpult schritt. Er war sich sicher, dass sein Albtraum die gewünschte Wirkung erzielt hatte, aber vielleicht hatte er Vai unterschätzt. Immerhin war der Admiral ein zäher Soldat, der schon so manche Gefahr ausgestanden hatte. Jackon starrte ihn an, doch Vai mied seinen Blick.

Der Admiral begann zu sprechen. Ein Raunen ging durch die Versammlung.

»Was hat er gesagt? Was hat er gesagt?«, fragte Jackon aufgeregt.

»Er lässt den Rat wissen, dass er seine Position noch einmal gründlich überprüft hat... Unglaublich! Er zieht sein Veto gegen Jerizhins Antrag zurück!«

Die Rede des Admirals überraschte den Rat so sehr, dass viele Ratsleute, die ein stundenlanges Ringen um Formalitäten erwartet hatten, von ihren Sitzen aufsprangen und durcheinanderredeten. Niemand bemerkte, dass Vai flüchtig zur Empore aufblickte.

Jackon nickte zufrieden.

32

Der Nigromant

Liam schlug einer heranwankenden Mumie seitlich den Lanzenschaft gegen das Knie, brachte sie zu Fall und stieß ihr mit zusammengebissenen Zähnen die Eisenspitze zwischen die Halswirbel. Der vertrocknete Körper erschlaffte, doch sofort rückten neue Untote nach. Während sie schwerfällig über Schutt und erschlagene Leiber stiegen, hielt er nach Vivana Ausschau.

»Wo ist sie hin?«, rief er panisch.

Quindal schwang einen verrosteten Krummsäbel und hielt sich damit zwei Gegner vom Leib. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er nach Luft japsend. »Plötzlich war sie weg.«

Liam versuchte, zwischen den wandelnden Leichen, die sie von allen Seiten bedrängten, eine Lücke auszumachen, doch bevor er sehen konnte, was unten im Saal vor sich ging, griff ihn der nächste Untote an. Er wich zurück, damit er seine Lanze einsetzen konnte, und stolperte beinahe über einen abgeschlagenen Arm. Das Glied knirschte unter seiner Schuhsohle wie ein Reisigbündel. Im letzten Moment fing er sich und wehrte die herabsausende Eisenkeule ab.

Ich muss zu ihr. Ich muss mir irgendwie den Weg freikämpfen.

Es war aussichtslos. Er war voll und ganz damit beschäftigt, sich zu verteidigen und auf dem tückischen Geröll nicht auszurutschen. Wenn er fiel, wäre er verloren. Die Mumien würden sich augenblicklich auf ihn stürzen, ihre Krallen in sein Fleisch schlagen und ihn zerreißen.

Ununterbrochen dachte er an die kurze Nahkampf-Lektion, die Nedjo ihm an Bord der Jaipin erteilt hatte. Solange du unerfahren bist, kämpfe mit Waffen, mit denen du den Gegner auf Abstand halten kannst, hatte der Manusch gesagt. Stoß zu, bevor er in deine Nähe kommt. Nutze die Überraschung aus. Mach kurzen Prozess. Lass dich nie auf ein Handgemenge ein – das kannst du nur verlieren.

Nedjos Ratschlag hatte ihm in den letzten Minuten mehr als einmal das Leben gerettet, aber das änderte nichts daran, dass er kein ausgebildeter Kämpfer war. Irgendwann würden die Untoten ihn überwältigen, spätestens, wenn ihn die Kräfte verließen. Was nicht mehr lange dauern würde. Schon jetzt lief ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht, sein Atem ging keuchend, seine Glieder wurden müde.

Neben ihm streckte Quindal eine Mumie nieder. Für eine Sekunde öffneten sich die Reihen ihrer Gegner – und Liam entdeckte Vivana.

O Gott, nein!

Sie ging über die Empore, näherte sich langsam Mahoor Shembar.

Der untote Nigromant hob die Hand. Zwei Mumien ergriffen Vivana und zwangen sie vor ihrem Meister auf die Knie.

Wer bist du?

Ein eisiger Luftzug schien durch die Halle zu wehen, als Mahoor Shembar sprach. Seine Stimme ertönte in Liams Gedanken, wie ein Flüstern in den Grabkammern eines uralten Mausoleums, wie eine rostige Klinge, die über eine Schiefertafel schabte.

Die Untoten ließen die Waffen sinken und erstarrten augenblicklich.

Liams Hände umklammerten den Schaft der Hakenlanze. Wenn er jetzt losstürmte, konnte er sicher eine oder zwei Mumien vernichten, die übrigen überrumpeln und ihre Reihen durchbrechen. Mit ein bisschen Glück wäre er in wenigen Augenblicken bei Vivana.

»Warte«, murmelte Lucien, der seine Absichten durchschaute. »Vielleicht tut sie das Richtige.«

Vivana begann zu sprechen.

Reiß dich zusammen! Lass ihn nicht spüren, dass du Angst vor ihm hast. Vivana hob den Kopf und sah Mahoor Shembar in die Augen, obwohl sie der Anblick seines welken Mumiengesichts zutiefst entsetzte.

»Ich heiße Vivana Quindal«, sagte sie so fest, wie es ihr möglich war. »Meine Gefährten und ich sind hier, weil wir deine Hilfe brauchen.«

Du sprichst eine Sprache, die ich schon lange nicht mehr vernommen habe. Woher kommst du?

Die Stimme des Nigromanten schnitt wie Eissplitter durch ihr Bewusstsein. Sie biss die Zähne zusammen, bis sie verklang. »Aus der Stadt Bradost im Norden.«

Diesen Ort kenne ich nicht. Lügst du mich an?

Die Knochenfinger lagen noch immer auf ihren Schultern. Vivana hatte nicht den geringsten Zweifel, dass die beiden untoten Krieger sie auf der Stelle töten würden, wenn sie etwas sagte, das Mahoor Shembar missfiel. »Ich lüge nicht. Du hast mein Wort. Du hast noch nie von Bradost gehört, weil es viel jünger ist als Ilnuur. Zu deinen Lebzeiten war es nur ein kleines Dorf an der Mündung des Rodis.«

Zu meinen Lebzeiten? Shembars Gedankenstimme wurde so schneidend, dass sie vor Schmerz zusammenfuhr. Wie kannst du es wagen! Sieh mich an. Ich bin ein Haufen aus morschen Knochen und verdorrtem Fleisch. Meine Gedanken sind so kalt wie die Finsternis zwischen den Sternen. Ich kann nicht mehr atmen, nicht mehr schmecken. Das Sonnenlicht bereitet mir Schmerzen. Wie fühlt sich heißes Blut an, das durch Venen strömt? Ich habe es vergessen, denn es ist zu lange her. Und du besitzt die Dreistigkeit, mich daran zu erinnern, was ich einst gewesen bin!

Vivana hätte sich am liebsten für ihre Dummheit geohrfeigt. »Bitte verzeih mir. Das war töricht und respektlos.«

Du und deine Gefährten sind nicht die ersten Lebenden, die nach Ilnuur kommen, sagte der Nigromant. Dutzende sind in den letzten hundert Jahren hier gewesen. Narren, die glaubten, sie könnten in diesen Kammern Schätze finden. Ich habe sie alle vernichtet, einen nach dem anderen, ohne Gnade. Ich hasse die Wärme eurer Körper, eure Leidenschaften und Begierden, ich hasse alles, was ihr seid. Sag mir warum ich nicht auch dich töten soll.

Vivanas Furcht war so groß, dass sie ihrer Stimme jede Kraft nahm. »Weil wir dir helfen können, endlich Ruhe zu finden.«

Sie hätte nicht gedacht, dass Shembar noch zorniger werden könnte. Willst du mich verspotten?, donnerte er.