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Vivana war beeindruckt. Sie konnte sich nicht an ein derartiges Gespräch erinnern, doch so, wie Lucien es erzählte, klang jedes Wort wahr.

Nedjos Starrsinn verlor deutlich an Schwung. »Sie könnten tatsächlich jemanden gebrauchen, der Erfahrung mitbringt. Ich habe den Kampf gegen die Fischdämonen von meinem Fenster aus beobachtet. Die Soldaten hätten sie viel eher zurückschlagen können, wenn ihnen jemand gesagt hätte, dass man immer auf den Kopf zielen muss.«

»Jerizhin wäre dir sehr verbunden, wenn du ihre Offiziere beraten könntest. Und ich bin sicher, auch Narade würde sich viel sicherer fühlen, wenn sie dich in Suuraj wüsste.«

»Nun ja, wenn man mich so dringend braucht, muss ich wohl hierbleiben«, sagte Nedjo zögernd. »Ich kann Jerizhin schließlich nicht im Stich lassen, nach allem, was sie für uns getan hat. Denkt ihr, dass ihr ohne mich klarkommt?«

»Dein Mut wird uns fehlen, aber Suuraj ist nun einmal auf dich angewiesen«, erwiderte Vivana.

Narade warf Lucien einen Blick voller Dankbarkeit zu.

Bei Einbruch der Dunkelheit sah Vivana noch einmal nach Ruac. Der Lindwurm lag auf seinem Lieblingsplatz auf den Landeplattformen und war sofort hellwach, als sie, Liam und Jackon die Rampe heraufkamen.

Sie war noch gar nicht dazu gekommen, seine Schrammen und Kratzer anzuschauen, und untersuchte ihn von der Schnauze bis zur Schwanzspitze. Ihre Sorge erwies sich als unbegründet: Ruac hatte sich dank Jackons Pflege prächtig erholt.

Sie strich mit der Hand über die Schuppen an seinem Bauch. »Sag mal, hast du zugenommen?«

»Daran sind die Aeronauten schuld«, sagte Jackon. »Sie füttern ihn von morgens bis abends.«

»Dir fehlt Bewegung.« Vivana klopfte Ruac auf den Hals. »Ich glaube, es ist ganz gut, dass dein kleiner Urlaub morgen vorbei ist.«

»Hast du eigentlich schon einmal daran gedacht, auf ihm zu reiten?«, fragte eine Stimme aus der Dunkelheit.

Es war Lucien. Er saß auf dem Geländer der Plattform und rauchte.

Vivana runzelte die Stirn. »Wie bitte?«

Der Alb klopfte seine Pfeife aus und kam zu ihnen. »Lindwürmer eignen sich bestens als Reittiere. Wusstest du das nicht? Früher haben die Bewohner von Karst welche abgerichtet und sind auf ihnen bis nach Torle geflogen.«

»Bist du sicher?«

»Wieso versuchst du es nicht einfach mal? Es funktioniert ausgezeichnet, glaub mir.«

Zweifelnd musterte Vivana Ruac. Der Lindwurm blickte sie an, als hätte er genau verstanden, wovon sie sprachen. Warum eigentlich nicht?

Sie legte ihm die Hände auf den Hals. »Ich versuche jetzt, auf dir zu reiten. Wenn du das nicht möchtest, lass es mich bitte wissen, ja?«

Unter den gespannten Blicken von Liam und Jackon stieg sie auf, indem sie sich an seinem Hals festhielt und mit gespreizten Beinen vor die Rückenstacheln setzte. Ruac sträubte sich nicht, im Gegenteil; auf subtile Weise veränderte er seine Körperhaltung, was ihr das Aufsteigen erleichterte. Offenbar wusste er genau, was zu tun war.

Lucien lächelte. »Na los, worauf wartest du?«

Vivana räusperte sich. »Ah... Hü?«

Und Ruac flog los.

Er schlug so stark mit den Flügeln, dass Vivana sich erschrocken an seinem Hals festklammerte. Plötzlich befanden sie sich in der Luft, stiegen immer höher und schossen auf eines der ankernden Luftschiffe zu.

»Ausweichen! Ausweichen!«

Ruac flog eine scharfe Kurve, und Vivana wäre beinahe heruntergerutscht. Glücklicherweise besaß der Lindwurm ein instinktives Gespür für seine Reiterin und veränderte seine Flugbahn gerade genug, dass sie wieder sicher aufsaß.

Luftschiffe rasten unter ihr vorbei, Dächer, Gärten. Leute schrien verblüfft. Vivana bekam davon kaum etwas mit. Sie umschlang Ruacs Hals mit beiden Armen und presste ihr Gesicht an seine Schuppen.

Ihr Haar flatterte im Wind wie ein Kometenschweif. Ihr Herz pochte, als würde es jeden Moment zerspringen.

Sie schossen über ein Kuppeldach und verfehlten es um höchstens zwei Schritt. »Höher, Ruac«, brachte Vivana hervor. »Du musst höher fliegen.«

Der Lindwurm gehorchte. Fünf oder sechs kräftige Flügelschläge und sie befanden sich so hoch über dem Stadtfloß, dass sie die Turmdächer von oben sehen konnte.

Wenn er mich fallen lässt, bin ich tot, dachte sie panisch. Doch ein Teil von ihr spürte, dass Ruac sie niemals fallen lassen würde. Niemals.

Plötzlich war ihr Entsetzen wie weggeblasen. Ihr wurde klar, dass sie Ruac erwürgte, wenn sie so weitermachte, und löste ihre verkrampften Arme von seinem Hals. Es genügte völlig, sich mit beiden Händen ein wenig daran festzuhalten.

Ich kann ihm vertrauen.

Sie richtete ihren Oberkörper auf und betrachtete die Lichter Suurajs tief unter ihr, während ihr der Nachtwind ins Gesicht blies. Ihre Augen tränten, sie spürte das Auf und Ab von Ruacs Muskeln unter den Schuppen, wenn der Lindwurm mit den Flügeln schlug, und plötzlich war ihr, als wären sie zu einer Einheit verschmolzen, pfeilschnell und unbesiegbar. Sie schien zu bersten vor Energie, wollte schreien und jubeln, und als Ruac einen Bogen über das Magistratsgebäude flog, wehte ihr Lachen über die Dächer.

Liam trug den Rucksack mit seinen Sachen über der rechten Schulter und hielt den Ledergurt mit einer Hand fest, während er über die Landeplattform schlenderte. Die Morgensonne lugte über das Magistratsgebäude und zeichnete lange Schatten auf die Bodenplanken. Um ihn herum herrschte summende Betriebsamkeit. Offiziere brüllten Befehle. Aeronauten eilten umher, trugen Ausrüstung zu den Gondeln, betankten die Luftschiffe mit Aether und nahmen an den Maschinen die letzten Wartungsarbeiten vor. Jerizhin hatte es für klüger gehalten, nur die Kapitäne in die Einzelheiten des Plans einzuweihen und den einfachen Aeronauten nichts von Mahoor Shembar zu sagen – abergläubische Furcht, die die Mannschaften verunsicherte, war das Letzte, was sie jetzt brauchten. Trotzdem spürte jeder auf der Landeplattform unterschwellig die Anwesenheit des Nigromanten. Die Aeronauten machten instinktiv einen Bogen um die verschlossene Fensterluke der Jaipin, hinter der sich der Untote aufhielt.

Ruac wurde gerade von zwei Maschinistinnen über eine Rampe in den Frachtraum der Zhila geführt, das Flaggschiff von Suuraj. Vivana wollte ihm nicht noch einmal einen solch langen Flug zumuten, weshalb sie den Kommandanten der Zhila gebeten hatte, Ruac mitzunehmen. Das Luftschiff war viel größer als die Jaipin und mühelos in der Lage, neben Mannschaft und Ausrüstung einen Lindwurm zu transportieren. Die Aeronauten waren froh über diesen ungewöhnlichen Passagier: Sie glaubten, ein Schattenwesen an Bord bringe Glück.

Liam fand seine Gefährten bei der Einstiegsluke der Jaipin. Quindal sagte gerade etwas zu Khoroj, und aus seiner zerknitterten Miene sprach tiefe Besorgnis.

Liam stellte seinen Rucksack ab. »Gibt es Probleme?«

»Paps ist der Meinung, dass fünf Luftschiffe zu wenig sind«, antwortete Vivana.

»Lady Sarka hat mehr als zwanzig Schiffe«, sagte der Erfinder. »Wie sollen wir dagegen ankommen? Mit dieser Miniaturflotte können wir es gerade einmal mit der Phönix aufnehmen. Aber nur, wenn sie allein ist und Koner Maer zufällig einen schlechten Tag hat.«

»Jerizhin hat getan, was in ihrer Macht steht«, entgegnete Khoroj. »Mehr können wir nicht von ihr verlangen.«

»Außerdem haben wir nicht vor, gegen die gesamte Flotte von Lady Sarka zu kämpfen«, fügte Liam hinzu. »Jerizhins Luftschiffe sollen uns nur dabei helfen, unbeschadet nach Bradost zu kommen und angreifende Schiffe abzulenken, bis wir gelandet sind.«