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»Das ist Wahnsinn, Vivana. Einfach Wahnsinn.«

Sie saß bereits auf Ruacs Rücken. Der Lindwurm schien es kaum abwarten zu können, endlich loszufliegen. »Steig auf und halte dich an mir fest.«

Er rührte sich nicht von der Stelle.

»Vertrau mir«, sagte sie.

Liam gab sich einen Ruck und kletterte hinter sie, setzte sich zwischen zwei Rückenstacheln und winkelte die Beine so an, dass Ruac ungehindert seine Flügel bewegen konnte. Die Oberschenkel presste er fest gegen die Schuppenhaut, und die Arme schlang er um Vivanas Taille.

Unruhig scharrte Ruacs Schwanz über den Boden. Er hatte die Flügel so weit entfaltet, wie es der enge Frachtraum erlaubte.

»Kann's losgehen?«, fragte Vivana.

»Ich weiß nicht. Keine Ahnung. Vielleicht warten wir lieber noch einen Moment...«

»Los!«, rief sie und klammerte sich an Ruacs Hals fest.

Der Lindwurm schoss nach vorne, Liam presste sich an Vivana und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar – und dann waren sie plötzlich draußen in der Luft. Wirbelnde Böen hüllten sie ein, und Liam spürte, wie die gähnende Tiefe an ihnen saugte.

Ruac fiel wie ein Stein.

Wir sind zu schwer!, durchfuhr es Liam, bevor die Panik jeden seiner Gedanken wegspülte und er nichts mehr tun konnte als zu schreien, zu schreien, bis er heiser war.

Er erwartete, jeden Moment auf der betonharten Oberfläche des Meeres zerschmettert zu werden. Doch plötzlich verlangsamte sich ihr Fall, und er hörte das gleichmäßige Wapp-Wapp-Wapp schlagender Flügel.

Vorsichtig öffnete er die Augen. Sie schwebten irgendwo im Nichts, fielen nicht, stiegen aber auch nicht auf. Trotz der Eiseskälte schwitzte Liam am ganzen Körper. Er spürte, wie sich Ruacs mächtige Muskeln im Takt des Flügelschlags unter den Schuppen bewegten. Offenbar gewöhnte sich der Lindwurm allmählich an das zusätzliche Gewicht zweier Reiter und bekam die Lage unter Kontrolle.

Sie waren gut dreihundert Fuß gefallen. Hoch über ihnen tobte die Schlacht. Es regnete Trümmer.

»Da lang, Ruac!«, rief Vivana und deutete auf dir Jaipin, die sich, verfolgt von der Phönix, inzwischen über der Hafenzufahrt Bradosts befand.

Ruac flog in die Richtung, erst mühsam und schwerfällig, dann immer schneller. Liam erinnerte sich, wie Vivana ihren ersten Flug mit dem Lindwurm beschrieben hatte: Am Anfang hatte ich schreckliche Angst, aber dann war es einfach wundervoll. Liam entspannte sich ein wenig. Er spürte, dass er Ruac vertrauen konnte und der Lindwurm niemals zulassen würde, dass Vivana oder er herunterfielen. Trotzdem war er weit davon entfernt, die ganze Angelegenheit »wundervoll« zu finden.

Er klammerte sich an Vivana fest und kniff die Augen gegen den Wind zusammen.

Sie flogen auf die Steilklippen zu, und Liam sah Vorod Khorojs Palast aufblitzen, bevor die schwimmende Insel zwischen den Felsen verschwand und der verwinkelte Komplex der Aetherküchen unter ihnen vorbeizog. Er verspürte Erleichterung beim Anblick all der vertrauten Gebäude, Straßen und Brücken, denn ein Teil von ihm hatte gefürchtet, seine Heimatstadt könnte während ihrer Abwesenheit von den Dämonen zerstört worden sein und nicht mehr existieren.

Ruac holte langsam zur Phönix auf. Als sie noch ungefähr eine Viertelmeile entfernt waren, hörte Liam den Kanonendonner des riesigen Luftschiffs. Während es die Jaipin verfolgte, schoss es aus allen Rohren, und Khoroj, oder wer auch immer gerade am Steuer saß, versuchte auszuweichen, indem er einen wilden Schlangenlinienkurs fuhr.

Mit knappen Befehlen dirigierte Vivana Ruac zur Phönix. Offenbar wollte sie den Lindwurm dazu bringen, das Luftschiff zu beschädigen und es wie bei ihrer Flucht aus Bradost zur Landung zu zwingen.

Wegen seiner Last war Ruac nur geringfügig schneller als die Phönix. Pro Minute schrumpfte der Vorsprung des Flaggschiffs lediglich um ein paar Schritt. Währenddessen folgten sie dem Lauf des Rodis, und Liam erblickte das Hafenviertel, die Grambeuge, die Chimärenbrücke. Der verwüstete Kessel tauchte zwischen den Hügeln auf. Bevor er dazu kam, die gewaltige Erdspalte zu betrachten, zuckte ein Blitz gefährlich nah an ihnen vorbei.

»Sie schießen auf uns!«

»Ist mir nicht entgangen«, bemerkte Vivana.

»Warum macht Ruac sich nicht unauffällig?«

Anstelle einer Antwort befahl sie dem Lindwurm, steil nach unten abzutauchen. Wind rauschte Liam in den Ohren. Noch ein Blitz zuckte durch die Luft, doch er verfehlte sie weit. Kurz darauf konnten die Kanoniere auf der Plattform der Phönix nicht mehr auf sie zielen, denn das eigene Heck war ihnen im Weg.

»Er kann sich nicht unauffällig machen – der Flug kostet ihn zu viel Kraft«, rief Vivana. »Oder er ist es längst, aber uns beide sehen die Schützen trotzdem.«

Wenn das stimmte, musste sich den Kanonieren ein bizarres Bild bieten: zwei Leute, die aneinandergeklammert und mit gespreizten Beinen durch die Luft sausten. Unter anderen Umständen hätte Liam laut darüber gelacht.

Jetzt allerdings war ihm nicht nach Lachen zu Mute. Während Ruac im toten Winkel der Phönix aufstieg und sich dem Luftschiff von schräg unten näherte, sah er, dass die Jaipin getroffen worden war. Mindestens zwei Löcher klafften in ihrer Hülle, und das kleine Schiff verlor beträchtliche Mengen an Aether. Seine Fahrt verlangsamte sich bereits. Nicht mehr lange, und die Phönix würde nah genug herangekommen sein, um es gezielt unter Feuer zu nehmen und zu vernichten.

Jenseits der Chimärenbrücke flogen sie Richtung Nordwesten, auf die Alte Festung zu. Die Luft über der Trümmerlandschaft des Kessels war voller Rauch, der Liam in der Kehle brannte. Ruac befand sich nun dicht unter der Phönix und flog mal nach links, mal nach rechts. Offenbar wusste er nicht, wie er das Luftschiff angreifen sollte, ohne seine beiden Reiter zu gefährden.

»Er muss nach oben fliegen!«, rief Liam.

»Aber dann schießen sie wieder auf uns.«

»Das müssen wir riskieren.«

Vivana gab Ruac den entsprechenden Befehl, und der Lindwurm schwenkte zur Seite, schlug kraftvoll mit den Flügeln und stieg neben der Hülle der Phönix auf. Liam legte den Kopf in den Nacken. Die Kanoniere auf der Plattform starrten weiterhin zum Heck des Schiffs und hatten sie noch nicht bemerkt.

»Liam – da!«, rief Vivana.

Sie deutete auf mehrere schwarze Schemen, die vom Magistratspalast aufstiegen und sich ihnen näherten.

»O Gott, das sind Verschlinger!«, stieß Liam hervor.

»Es sieht ganz so aus, als hätten sie es auf uns abgesehen.« Vivana ließ Ruac wieder unter das Luftschiff fliegen. Die schwarzen Riesenvögel, fünf an der Zahl, krächzten unheilvoll und fächerten auf, offenbar in der Absicht, Ruac von mehreren Seiten anzugreifen. Der Lindwurm brüllte zornig und schnappte nach einem Verschlinger, der an ihm vorbeischoss, verfehlte ihn jedoch.

Gleichzeitig flog von links ein zweiter Dämonenvogel heran. Er öffnete den dolchspitzen Schnabel und spreizte wie ein Greifvogel die Klauen, und Liam konnte die boshafte Intelligenz in seinen Augen sehen, ehe ihn ein Flügel im Gesicht traf und ihn zwang, den Kopf wegzudrehen. Er beugte sich nach vorne und schützte Vivana mit seinem Körper, sodass er nicht mitbekam, was als Nächstes geschah. Ruac erhielt einen heftigen Stoß, und Liam spannte seine Oberschenkel an, um nicht abgeworfen zu werden. Dann schien der Verschlinger verschwunden zu sein.

Liam sah, dass Ruac verletzt worden war. Dunkles Blut floss aus einer tiefen Wunde, die sich an der Stelle befand, wo der Flügel mit dem Rumpf verbunden war. Der Lindwurm brüllte vor Schmerz und schien Schwierigkeiten zu haben, die Schwinge zu bewegen.