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Dummerweise waren nicht alle Homunculi fort: Ausgerechnet vor der Zellentür stand einer Wache. Als Jackon um die Ecke bog und den Maskierten entdeckte, verkniff er sich einen Fluch.

Wie könnte er das Geschöpf loswerden? Normalerweise gaben nur Lady Sarka und Corvas ihnen Befehle, aber er wusste, dass sie die Anweisung hatten, auch Umbra, Amander und ihm zu gehorchen. Allerdings hatte er das noch nie ausprobiert. Schon der Gedanke, einen Spiegelmann anzusprechen, jagte ihm eine Heidenangst ein.

Betont gelassen schritt er zur Tür. Wenn man direkt vor diesen Wesen stand, wirkten sie noch größer, noch unheimlicher als sonst. Jackons Antlitz spiegelte sich seltsam verzerrt in der gewölbten Maske, und er musste an das augenlose Gesicht denken, das sich dahinter verbarg.

»Du kannst gehen«, sagte er im herrischsten Ton, den er zu Stande brachte. »Ich kümmere mich jetzt um den Gefangenen.«

Keine Reaktion. Jackon spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Es funktionierte nicht. Musste er seinen Befehl präziser formulieren?

»Geh nach oben zur Eingangshalle, und warte dort, bis Umbra dir neue Anweisungen erteilt.« Das war genau die Art und Weise, wie Corvas stets mit den Spiegelmännern sprach. Es musste einfach klappen. Fest blickte er das Wesen an – und plötzlich setzte es sich in Bewegung, schritt davon.

Jackon atmete tief durch. Als der Spiegelmann verschwunden war, fischte er mit schweißnassen Fingern seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Das nächste Problem. Zwar besaß er wie alle Leibwächter einen kompletten Satz Schlüssel für sämtliche Türen des Palasts, aber er hatte noch nie nachgeprüft, ob er damit auch die Türen in den Glashöhlen öffnen konnte.

Nacheinander probierte er all seine Schlüssel aus, in der ständigen Furcht, der Spiegelmann könne zurückkommen. »Ja!«, rief er triumphierend, als einer der Schlüssel passte.

Auf dem Boden der Zelle lag Lucien. Er sah schrecklich aus. Er zitterte am ganzen Leib, Schweiß glitzerte auf seiner Haut.

Jackon entdeckte den Drudenfuß an der Decke. Kein Wunder, dass es Lucien so schlecht ging.

Wenigstens schien er sich wieder bewegen zu können. Jackon half ihm, sich aufzusetzen.

»Du?«, murmelte Lucien.

Jackon stützte ihn, sodass er aufstehen konnte. Gemeinsam verließen sie die Zelle.

Draußen löste sich der Alb unsanft von Jackon. Schwankend hielt er sich auf den Beinen. Er war offenbar nicht ganz so schwach, wie es den Anschein hatte. »Was willst du von mir?« Seine Stimme klang schwer und belegt.

»Dich befreien, bevor Umbra zurückkommt.«

Lucien gab ein freudloses Lachen von sich. Dann wankte er zu einer wulstigen Bodenwelle und setzte sich.

»Wirklich«, sagte Jackon. »Du musst mir glauben. Bitte, Lucien.«

»Dir glauben? Wieso habe ich nur solche Probleme damit? Lass mich nachdenken... Ach ja, richtig: Du bist ein Verräter. Du hast meine Freunde ins Gefängnis gebracht. Deinetwegen hätte Torne mich beinahe gefoltert und getötet. Nichts für ungut, Jackon, aber ich würde dir nicht einmal dann glauben, wenn du einen verdammten Heiligenschein über deinem Rotschopf hättest.«

»Ja, ich habe euch verraten. Aber ich habe eingesehen, dass das falsch war.«

»Falsch«, wiederholte Lucien verächtlich. »Du hast Glück, dass ich so erledigt bin. Sonst würde ich dir auf der Stelle den Hals umdrehen.«

Jackon leckte sich nervös die Lippen. Luciens Hass war mehr als verständlich. Doch er brauchte den Alb. Wie konnte er ihn nur von der Redlichkeit seiner Absichten überzeugen?

Er wünschte, er hätte mehr Zeit. Umbra hatte nicht gesagt, wie lange sie und Corvas im Ministerium bleiben würden. Vielleicht waren sie bereits auf dem Weg hierher.

»Was passiert ist, tut mir leid. Es war dumm. Ich hätte das niemals tun dürfen.«

»Und diese Erkenntnis ist dir jetzt ganz plötzlich gekommen.«

»Lady Sarka hat mich belogen. Sie hat gesagt, ihr würdet nur ins Gefängnis kommen. Aber jetzt will sie davon auf einmal nichts mehr wissen.«

»Lass mich raten: Sie will Liam und die anderen hinrichten lassen.«

»Ja!«

»Unfassbar«, bemerkte Lucien. »Wer hätte das gedacht?«

»Na schön, ich war ein Idiot. Aber ich wollte das nicht. Wirklich.«

»Stattdessen wolltest du uns nur im Kerker verrotten lassen. Wie gnädig. Wir sollten dich zum Wohltäter des Jahres ernennen.«

Ihre Stimmen hallten durch den Tunnel. Jackon fürchtete, dass jeden Moment Spiegelmänner auf sie aufmerksam wurden – oder gar Lady Sarka höchstpersönlich. Nicht ausgeschlossen, dass sie sich nach wie vor in ihrem Labor aufhielt. Das befand sich zwar am anderen Ende des Höhlenkomplexes, aber so laut, wie Lucien redete, hörte man ihn vermutlich im ganzen Palast.

»Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht«, sagte Jackon. »Sogar viele Fehler. Eine ganze Million. Ich kann das nicht mehr ändern. Also lass mich wenigstens versuchen, es wiedergutzumachen.«

»Wer sagt mir, dass das kein Trick ist?«

»Was hätte ich davon? Du warst in einer Zelle eingesperrt. Wenn ich dir schaden wollte, hätte ich dich da drinnen schmoren lassen.«

Lucien musterte ihn stechend. Er schien sich langsam vom schwächenden Einfluss des Drudenfußes zu erholen. »Gut«, meinte er. »Nehmen wir an, du sagst die Wahrheit. Was hast du jetzt vor?«

»Wir gehen zum Ministerium der Wahrheit und befreien Liam und die anderen.«

»Wir beide?«

Jackon nickte.

»Wie willst du das anstellen?«

»Mir fällt schon etwas ein.«

»Das ist Wahnsinn, das weißt du.«

»Es ist immer noch besser, als sie im Stich zu lassen.«

Lucien seufzte. Dann blickte er sich suchend um. »Hast du zufällig irgendwo meinen Gürtel gesehen? Und meine Messer?«

»Leider nicht. Aber ich habe das.« Jackon reichte ihm einen seiner Dolche. Lucien begutachtete die Klinge, verzog den Mund und legte sie neben sich.

»Also hilfst du mir?«, fragte Jackon.

»Sieht ganz so aus, als bliebe mir nichts anderes übrig, was?«

»Gut! Dann lass uns keine Zeit verlieren.«

»Gib mir noch ein paar Minuten. Einen halben Tag mit einem Drudenfuß eingesperrt zu sein, steckt man nicht so einfach weg. Und Tornes Gift wirkt auch noch nach.«

Jackon musste sich zwingen, nicht ungeduldig von einem Fuß auf den anderen zu treten. Er hatte Lucien befreit und ihn dazu gebracht, ihm zu helfen, aber das war erst der Anfang. Die anderen zu retten, würde weitaus schwieriger werden. Und selbst wenn ihm das gelang, musste er sie davon überzeugen, dass er auf ihrer Seite stand. Dass Lucien ihm zugehört hatte, war allein seinem geschwächten Zustand zu verdanken. Jackon bezweifelte, dass die anderen genauso geduldig mit ihm sein würden.

Nach einer Weile stand Lucien auf.

»Bist du so weit?«, fragte Jackon.

»Es wird gehen, schätze ich. Solange du keine Heldentaten von mir verlangst.«

»Ich schlage vor, dass wir nach oben schleichen und den Palast durch den Nordflügel verlassen. Da ist normalerweise niemand.«

»Und wie willst du die Spiegelmänner umgehen?«

»Es sind kaum welche im Palast. Sie sind immer noch im Ministerium.«

»Die Wachen in den Höhlen auch?«

»Ich glaube schon. Seit dem Ghulangriff hat Lady Sarka nicht mehr viele Spiegelmänner. Sie hat fast alle zu Godfreys Versteck geschickt.«

»Ich habe eine bessere Idee. Es gibt einen Tunnel, der von den Glashöhlen zu den Katakomben der Altstadt führt. Vielleicht haben wir Glück, und er ist nicht bewacht.«

»Woher weißt du von dem Tunnel?«