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»Tötet sie!«, erklang ihre Stimme aus dem Nichts.

Keine Sekunde später pfiffen die Kugeln durch die Bibliothek.

Corvas und Amander gaben jeweils einen Schuss ab und hechteten hinter eine Säule und eine Vitrine. Liam und seine Gefährten gingen links und rechts des Durchgangs in Deckung.

»Warum hast du nicht den Phönix befreit?«, fuhr Lucien Mahoor Shembar an.

So schnell geht das nicht. Der Untote schien nicht die Absicht zu haben, sich an dem Gefecht zu beteiligen. Lautlos verschmolz er mit den Schatten.

Noch ein Schuss peitschte durch den Raum und traf die Regalwand. »Was machen wir jetzt?«, stieß Liam hervor. »Hier sitzen wir fest!«

»Zuerst müssen wir die Tür zum Kuppelsaal verriegeln«, sagte Lucien. »Wenn die Spiegelmänner reinkommen, sind wir geliefert. Umbra, ich brauche deinen Schlüssel. Wenn ich ›jetzt‹ rufe, gebt ihr mir Feuerschutz.«

Amander kam hinter der Vitrine hervor und gab einen Schuss ab, der über Umbras Kopf in den Rahmen des Durchgangs einschlug. Umbra erwiderte das Feuer und zwang ihn, hinter einem Pfeiler in Deckung zu gehen. Daraufhin wurde sie von Corvas beschossen, der sie jedoch verfehlte.

Acht Schüsse, dachte Liam. Wenn er sich nicht verzählt hatte, mussten Corvas und Amander nun nachladen.

»Jetzt!«, rief Lucien und rannte los.

Umbra ließ ihren Schatten wachsen und brachte ein Regal zum Umkippen. Amander ächzte, als er von einer Lawine aus schweren Büchern getroffen wurde. Gleichzeitig schossen Vivana und Jackon auf die Säule, hinter der sich Corvas verbarg. Aus einem der angrenzenden Räume drang das Klirren von Ketten – der Homunculus Primus, der in seinem Käfig tobte. Der Pistolendonner machte ihn vollkommen verrückt.

Liam riskierte einen Blick in den Hauptraum. Lucien verschloss die Tür zum Kuppelsaal – buchstäblich im letzten Moment: Kaum zog er den Schlüssel ab, erzitterte die Tür unter den Stößen der Spiegelmänner.

Flink verschwand Lucien zwischen den Regalen. Gleichzeitig begann Corvas wieder zu feuern, und Liam musste den Kopf einziehen.

Routiniert füllte Umbra Schwarzpulver in ihre Pistole und stopfte mit dem Ladestock die Kugeln fest. »Jackon und Vivana, ihr feuert weiter auf Corvas und Amander«, befahl sie. »Wechselt euch ab, damit immer einer schießen kann, während der andere nachlädt. Ich versuche derweil, mit einem Schattentor hinter sie zu gelangen. Und du«, wandte sie sich an Liam, »besorgst dir endlich eine Pistole. Dein Säbel ist hier so nützlich wie ein Tortenheber.«

Vivana legte ihre Waffe auf den Boden. »Das bringt nichts.« Sie griff in ihren Hemdkragen und zog ein zerknittertes Pergament heraus.

Es war der Zauber, den sie auf der Zhila vorbereitet hatte.

»Was soll das werden?«, fragte Umbra stirnrunzelnd.

»Etwas, auf das ich mich schon seit Tagen freue.« Mit grimmiger Miene las sie die Runen, und ihre Lippen bewegten sich stumm.

Zwei weitere Kugeln schlugen Steinsplitter aus der Wand. Liam hörte das Bersten von Holz, als die Spiegelmänner mit ihren Rabenschnäbeln auf die Tür einschlugen. Sie bestand aus massiven Balken, dennoch würde sie den Homunculi nicht ewig standhalten.

»Gebt auf«, rief Amander hinter dem Pfeiler. »Ihr könnt nicht gewinnen!«

»Du hast dir die Manusch zum Feind gemacht«, sagte Vivana. »In Torle bist du mit dem Leben davongekommen, aber ich werde dafür sorgen, dass dieser Fehler behoben wird.«

Amander lachte, aber es lag ein Hauch Unsicherheit darin. »Du hältst dich für eine Hexe wie deine Tante, was? Aber sag mir, was hat ihr dieser ganze Manuschhokuspokus am Ende genutzt? Krepiert ist sie, genau wie du gleich krepieren wirst.«

Vivana schloss die Augen und flüsterte ein uraltes Wort. Gänsehaut bildete sich auf Liams Armen, als er den Strom der unsichtbaren Energien spürte, der sie umfloss. Die Runen begannen zu glühen – und dann ging das Pergament in Flammen auf.

Sie warf es in den Hauptraum. Amander hörte auf zu lachen und schnappte nach Luft.

»Wie fühlt es sich an, wenn sich das Gift in deinem Blut, mit dem du so viele Menschen ermordet hast, plötzlich gegen dich wendet?«

»Was tust du?«, krächzte Amander. »Hör auf damit.«

»Tut mir leid. Das geht nicht, selbst wenn ich es wollte. Aber was hast du? Es ist doch nur Manuschhokuspokus.«

Liam hielt den Atem an und spähte nach draußen. Amander stand auf und kam hinter dem Pfeiler hervor. Sein Gesicht war eine Grimasse der Qual, seine Hand krampfte sich vor seiner Brust zusammen.

»Amander!«, sagte Corvas scharf »Geh wieder in Deckung.«

Der Schwarzhaarige taumelte einen Schritt nach vorne und rutschte beinahe auf den Büchern auf dem Boden aus. Er hielt sich an der Säule fest, als seine Knie einknickten. »Das ist für Tante Livia«, flüsterte Vivana.

Blutiger Schaum quoll aus Amanders Mund. Er kippte nach vorne, fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden und hörte auf zu zucken.

Liam presste die Lippen aufeinander. Amander war ein Mörder, ein Sadist, der den Tod verdiente; trotzdem nahm es ihn mit, den Leibwächter so qualvoll sterben zu sehen.

»Schnappen wir uns Corvas, bevor die Spiegelmänner kommen«, sagte Umbra.

Der Bleiche lud gerade seine Pistole nach, als Liam und seine Gefährten in den Hauptraum der Bibliothek stürmten. Er warf Waffe und Pulverflasche weg, verwandelte sich in eine Krähe und flog aus einem offenen Fenster. Umbra feuerte, verfehlte ihn jedoch.

Mit einem Fluch auf den Lippen wandte sie sich zu Liam, Jackon und Vivana um. »Die Tür, schnell! Verbarrikadiert sie.«

Liam sah, dass es nur noch eine Frage von Sekunden war, bis die Spiegelmänner die Tür eingeschlagen hatten. Jackon und Vivana halfen ihm dabei, eine Vitrine voll mit Büchern umzukippen und den Eingang von innen zu blockieren.

Der Eisendorn eines Rabenschnabels bohrte sich durch das Holz. Der Türknauf brach ab und kullerte über den Boden.

»Das reicht noch nicht!«, keuchte Liam.

Jackon und er warfen ein zweites Regal um. Vivana schob einen Tisch heran und verkeilte ihn zwischen den Möbelstücken. Ein Spiegelmann schob seine Hand durch eines der Löcher in der Tür und packte ihren Arm.

»Liam!«

Er hob seinen Säbel auf und versetzte der Hand einen kräftigen Schlag, woraufhin sie Vivana losließ.

Das zerschmetterte Schloss brach aus dem Holz, und die Tür öffnete sich einen Spalt. Liam und Jackon stemmten sich gegen die Barriere aus Möbelstücken, während die Spiegelmänner von der anderen Seite dagegen drückten.

»Umbra!«, rief Vivana. »Du musst uns von hier wegbringen. Wo ist Lucien?«

»Hier«, erklang eine schwache Stimme.

Liam sah den Alb zwischen den Bücherregalen auftauchen. Er schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können und stützte sich auf einem Lesetischchen ab.

»Bist du verletzt?«, fragte Vivana.

»Ich habe ganz vergessen, dass dieser Teil des Palasts gegen Schattenwesen abgeschirmt ist. Die Bannsymbole an der Tür und den Fenstern setzen mir zu.« Er verzog das Gesicht.

Umbra schuf ein Schattentor. »Wo ist der verdammte Ghul?«

Kein Ghul, meine Dame. Ein Wiedergänger, durch einen machtvollen Fluch an diesen Körper gebunden und zur Unsterblichkeit verdammt. Mahoor Shembar kam aus dem Nebenraum und schritt durch die Bibliothek.

»Geht es ein bisschen schneller?«, fauchte Umbra. Sie packte den Untoten am Arm und zog ihn in den Tunnel.

Der Lärm der Spiegelmänner verstummte, als sie den Eingang schloss. Liam und Jackon stützten Lucien, während sie dem schattenhaften Korridor folgten.

»Wie schlimm ist es?«, fragte Liam.

»Ein paar Minuten länger, und ich wäre jetzt tot.«

Sie verließen den Tunnel in einem der vielen leer stehenden Zimmer des Palasts. Liam spähte aus der Tür auf den staubigen Flur. Stille. Nirgendwo waren Spiegelmänner zu sehen.