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»Wir geben nicht auf. Halte durch!«

Der Alb stöhnte auf, als ihn der Stachel eines Dornenmonsters an der Schulter verletzte. Mit zusammengebissenen Zähnen schlitzte er dem Albtraum den Bauch auf und wirbelte herum, um dem Angriff eines anderen zu entgehen.

Plötzlich zogen sich Lady Sarkas Nachtmahre in die Halle zurück. Jackon scharte seine Kreaturen um sich. Es waren sieben an der Zahl. Sie wirkten verloren angesichts der riesigen Horde vor dem Thron.

»Hast du endlich begriffen, dass du nichts gegen mich ausrichten kannst?«, rief Lady Sarka. »Schau dich an. Du bist schwach. Deine Konzentration lässt nach. Noch ein Angriff, und meine Albträume werden dich einfach überrennen. Ich mache dir ein Angebot: Gib auf und töte den Alb als Beweis deiner Treue. Dann verschone ich dein Leben und nehme dich wieder in meine Dienste. Ich weiß doch, dass du dich insgeheim danach sehnst.«

»Nein«, sagte Jackon erschöpft. »Niemals. Ich diene keinem Monster.«

»Denk gut darüber nach. Ich mache dir dieses Angebot kein zweites Mal.«

»Versuch, sie hinzuhalten«, flüsterte Lucien ihm ins Ohr. »Ich habe eine Idee.«

»Eine Idee?«

»Ich bin so erschöpft, dass ich dir im Kampf bald keine Hilfe mehr bin. Aber wenn ich dir meine Albenkräfte übertrage, kannst du sie vielleicht schlagen.«

»Deine Albenkräfte?«, wiederholte Jackon verwirrt. »Ich verstehe nicht...«

»Wenn ich sie dir schenke, kannst du sie benutzen, als wären es deine eigenen. Viele sind es zwar nicht mehr, aber mit etwas Glück genügt es.«

Lady Sarkas Stimme hallte durch den Saal. »Nun, Jackon? Hast du dich entschieden?«

»Mach dich bereit«, flüsterte Lucien und nahm seine Hand.

»Warte! Ist das nicht gefährlich? Wenn du mir deine gesamten Albenkräfte gibst, dann heißt das doch, dass du...« Eine Woge ungeheurer Energie rollte durch Jackons Körper. Seine Beine gaben nach, und er fiel zu Boden.

»Mach sie fertig«, sagte Lucien und verschwand.

Spiegelmänner strömten aus den Schatten und sammelten sich hinter den Gittern. Ihre Masken glühten blau. Es waren mindestens fünfzehn.

Unwillkürlich wich Vivana einen Schritt zurück. Wir sitzen in der Falle!, durchfuhr es sie.

Die schwarz gekleideten Gestalten bildeten eine Gasse, durch die Corvas schritt. »Mach das Gitter auf, Umbra«, sagte er kalt.

Umbra schoss. Der Bleiche zog rechtzeitig den Kopf ein, und die Kugel traf die Höhlendecke.

»Ergreift sie«, befahl er, woraufhin die Spiegelmänner begannen, an den Gittern zu rütteln und mit ihren Rabenschnäbeln auf die Eisenstäbe einzuschlagen.

Umbra erschoss einen, dann warf sie ihre Pistole weg. Offenbar war ihr die Munition ausgegangen.

»Was ist mit Jackon?«, rief Liam, um den Lärm zu übertönen. »Wann kommt er endlich zurück?« Er presste die Hand auf den Schnitt an seinem Unterarm.

»Woher soll ich das wissen?« Die ehemalige Leibwächterin wühlte in dem Blechschrank. »Jetzt hilf mir verdammt noch mal beim Suchen!«

»Nach was?«

»Öl. Ich will die Bastarde anzünden.«

Gerade als Liam zu ihr lief, erschien Lucien. Der Alb taumelte und fiel Vivana vor die Füße.

Sie stürzte zu ihm. »Was ist passiert?«

»Er ist ihr jetzt ebenbürtig«, murmelte Lucien und lächelte schwach.

Vivana wandte sich zum Labortisch um.

Jackon verschwand.

Jackon schrie vor Schmerz. Die Energie, die ihn durchfloss, war so intensiv, dass er glaubte, innerlich zu verbrennen. Luciens magische Macht mochte für Albenverhältnisse schwach sein, aber sie war trotzdem weitaus stärker als alles, was ein Sterblicher bewältigen konnte.

Ein gewöhnlicher Mensch wäre daran zu Grunde gegangen. Jackon jedoch war kein gewöhnlicher Mensch, er war ein Traumwanderer. Luciens Kräfte durchdrangen sein Blut, sein Fleisch, seine Knochen und sanken schließlich in seine Seele ein, verschmolzen mit seinem Wesen.

Der Schmerz verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Blinzelnd stemmte Jackon seine Hände auf den Boden und richtete sich auf.

»Was war das?«, fragte Lady Sarka argwöhnisch. »Was hat der Alb mit dir angestellt?«

Jackon nahm einen tiefen Atemzug. Er fühlte sich vollständig. Nahm jeden Sinneseindruck, jedes Geräusch viel klarer wahr. All seine früheren Reisen in die Traumlanden erschienen ihm plötzlich seltsam schal, so als hätte er die Wunder dieses Reichs immer nur durch eine dicke Glaswand betrachtet, gefiltert, gedämpft und all ihrer Lebendigkeit beraubt.

Er begriff, dass er nicht mehr nur mit seiner Seele hier war, sondern auch mit seinem physischen Körper. Mit seinem gesamten Wesen.

Es fühlte sich gut an.

Er schritt in die Halle. Die gegnerischen Albträume spürten seine neue Macht und wichen zurück.

»Bleib stehen«, rief Lady Sarka. »Wage es ja nicht, näher zu kommen!«

Er erschuf neue Albträume. Was ihn noch vor wenigen Minuten sehr viel Kraft gekostet hatte, ging ihm nun so leicht von der Hand, als täte er etwas vollkommen Alltägliches – wie Atmen. Er musste nicht einmal darüber nachdenken. Blase um Blase rollte über den Boden und wuchs zu einem Nachtmahr heran.

»Vernichtet sie«, befahl er.

Die Schlacht begann von Neuem. Doch diesmal herrschten ausgewogene Verhältnisse, denn Jackon kontrollierte genauso viele Albträume wie Lady Sarka – und erschuf ständig neue. Bald quoll die Halle über vor kämpfenden Monstern, und die Kreaturen stürzten über die Brüstung der Galerie, während sie einander vernichteten.

Jackon machte sich eine unzerstörbare Rüstung, stürzte sich ins Getümmel, schwang ein Schwert, das aus purem Licht zu bestehen schien, und erschlug Albträume. Zwei. Vier. Sieben. Zehn.

Es war eine erbitterte Schlacht, ein Gemetzel, gegen das sein Kampf mit Aziel wie eine Rangelei unter Schuljungen wirkte. Trotz seiner neu gewonnenen Kraft verlor Jackon mehr als einmal fast die Kontrolle über seine Albträume und gewann sie nur mit äußerster Konzentration zurück. Er parierte Hiebe und wich Zangen und Schattenklingen aus und hörte auf zu zählen, wie oft er um Haaresbreite dem sicheren Tod entronnen war.

Und dann war das Gefecht plötzlich vorüber.

Jackon erstach einen Albtraum und fuhr herum, um den Angriffen eines neuen Feindes zu begegnen. Doch es war kein Feind mehr da. In den Ecken der Halle rangen seine Nachtmahre gerade die letzten Gegner nieder. Von den übrigen war nur noch rohe Traumsubstanz übrig. Silberstaub flirrte in der Luft.

Die Rüstung wurde ihm schwer. Jackon ließ sie verschwinden und schlurfte erschöpft zum Thron.

Lady Sarka lag auf den Steinstufen. Offenbar war es einem seiner Albträume gelungen, sie zu verwunden: Blut tränkte ihr Gewand.

Als sie ihn entdeckte, versuchte sie davonzukriechen. Die Flammen des Phönix wallten auf. Wieder sah Jackon Schwingen und den Kopf eines riesigen Vogels darin, und diesmal war er sicher, dass er sich die leise Stimme nicht einbildete.

Hilf mir.

Er stellte Lady Sarka den Fuß zwischen die Schulterblätter, drehte sie auf den Rücken und hielt ihr die Schwertschneide an den Hals. »Ihr seid geschlagen. Ich verbanne euch aus den Traumlanden und verbiete euch, jemals zurückzukehren.«

Hass verzerrte ihr Gesicht. »Du Narr! Du glaubst, du würdest die Träume damit retten? Ihr werdet euch noch nach mir zurücksehnen.«

Jackon packte sie am Arm und sprang mit ihr in die Wachwelt.

Die Spiegelmänner hatten begriffen, dass sie mit ihren Waffen nichts gegen die Eisenstäbe ausrichteten. Sie umklammerten die Gitter und versuchten, sie mit vereinten Kräften anzuheben. Eines ruckte einen halben Fuß nach oben, als sie es aus der Verankerung im Boden rissen.

»Sie brechen durch!« Umbra eilte zu Vivana, die neben Lucien kauerte. »Wie viel Munition hast du noch?«