Выбрать главу

»Wenn es Eingeborene wären, hätten wir unsere Freunde morgen frei. Aber so wird es ziemlich aussichtslos sein. Die Burschen sehen alle so pflichteifrig aus«, sagte Ibn Kuteiba.

Marina wandte sich an einen Inderboy und befahl ihm, Tinte und einen Federkiel zu bringen.

Sie warf ein paar Zeilen aufs Papier und adressierte den Umschlag an Isolde Hawbury.

Als der Brief versiegelt war, ließ sie sich den Boy abermals kommen und meinte:

»Du kannst dir eine Rupie verdienen, wenn es dir gelingt, den Brief an die Adressatin so abzuliefern, daß es keiner sieht und keiner merkt.«

Der Junge beguckte sich den Umschlag von allen Seiten und bat die Gräfin, ihm Auskunft zu geben, wie der Empfänger heiße und wo er wohne. »Ach so, du kannst nicht lesen.«

Sie nannte Namen und Straße und ließ wie unabsichtlich eine Rupie durch ihre Finger gleiten.

Die Augen des Jungen blitzten. Eine Rupie war viel Geld für einen Eingeborenen. Er wollte danach greifen; aber Marina steckte das Geldstück lachend ein.

»Das sollst du haben, wenn du wiederkommst. Erst die Arbeit, dann den Lohn.« —

Isolde Hawbury lag in ihrem Zimmer auf einem Diwan und grübelte über all das Seltsame nach, was sie von Marina erfahren hatte.

Eigenartig, dachte sie, da lebe ich hier im Hause der Tennessys und weiß bislang nichts davon, daß der Pfeifer, Ojo und der kleine Kapitän verhaftet sind. Und Tennessy ist doch einer der Vertrauten von Hastings. Eigenartig, sehr eigenartig.

Sie erhob sich und begann sich auszukleiden, als sie plötzlich ein leises Pochen von der Fensterseite her vernahm. Erschrocken hielt sie in ihrer Beschäftigung inne. Das Klopfen wiederholte sich, leise, aber eindringlich.

Zögernd noch, aber tapfer, wie sie war, löschte sie das Licht und trat zum Fenster. Sie öffnete es vorsichtig. In gebrochenem Englisch fragte eine helle Stimme : »Du sein Miss Hawbury?« »Ja. Ich bin es.«

»Ich Brief für dich. Du schreiben auf Umschlag und mir geben Umschlag zurück.«

Isolde griff hastig nach dem Brief. Sie erbrach das Siegel, riß mit fliegenden Fingern das beschriebene Blatt aus dem Umschlag und schrieb darauf ihren Namen. Eine kleine Gestalt, den weißen Umschlag zwischen den Zähnen, kletterte behende wie eine Katze an der Fassade hinab und war gleich darauf in der Dunkelheit verschwunden. Isolde zündete eine Kerze an und las die Zeilen.

Die Gräfin wollte wissen, wie hoch das Strafmaß für die Gefangenen war, wie lange sie noch in der Zelle sitzen würden und was hernach mit ihnen geschähe.

Das Mädchen verbrannte das Papier an der Kerzenflamme. Sie schloß das Fenster und kleidete sich endgültig aus.

Lange konnte sie nicht einschlafen; denn sie dachte angestrengt nach, wie sie die Antwort auf diese Fragen von Robert Tennessy erhalten könnte. Sie schlief kaum in dieser Nacht. —

Erst beim Lunch am kommenden Tage hatte sie Gelegenheit, ein Gespräch mit Tennessy anzuknüpfen. Allein, es war nicht einfach, einen Weg zu finden, über den man unverdächtig zum eigentlichen Thema gelangen konnte.

Aber wie es der Zufall wollte, kam der Hausherr ihren Wünschen dadurch entgegen, daß er von einem Brief sprach, der heute von ihrem Vater aus Bihar eingegangen sei. »Und stellt Euch vor«, schloß er, »Euer Herr Vater bittet im letzten Absatz seines Schreibens, ihm die Häftlinge, jenen Pfeifer und seine Komplicen, wieder nach Bihar zu senden, weil unter den Eingeborenen eine Krankheit wüte.«

»Wenn Ihr Mr. Baum meint, so kann ich Euch versichern, daß er ein guter Arzt ist.« »Das glaube ich Euch gern; aber schließlich sitzt er ja wegen Verrats im Gefängnis und wird anschließend deportiert. Wir können doch niemanden zum Dienst beordern, den Sir Impey, der Oberrichter, verurteilt hat.«

»Verrat?« fragte Isolde erstaunt. »Wen hat er denn verraten?«

»Die Kompanie und deren Interessen. Er hat mit dem Radscha von Bihar gemeinsame Sache gemacht, ist sozusagen auf dessen Seite übergeschwenkt.«

»Unmöglich«, lachte Isolde. »Wer Mr. Baum kennt, wird das nie glauben.«

»Aber ich bitte Euch, der Oberrichter hat die Beweise doch erbracht ! Der Pfeifer oder Mr. Baum, wie Ihr ihn nennt, hat den Radscha aus dem belagerten Palast gerettet und wollte ihn auf der »Lundi« in Sicherheit bringen, was wir glücklicherweise verhindern konnten. Habt Ihr dafür einen anderen Ausdruck als Verrat?«

Das tapfere Mädchen hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, drängte sie aber, eingedenk der Nachricht, die Marina von ihr erwartete, zurück und entgegnete mit bewußter Naivität: »Aber Mr. Tennessy, vielleicht wäre der Radscha im Palast verbrannt, wenn ihn Mr. Baum nicht gerettet hätte!«

Tennessy blickte sie erstaunt an. Dann brach er in Lachen aus.

»Sicher wäre er das. Dann wären wir ihn losgeworden. So wird es einen langen Prozeß geben, dessen Ausgangnoch nicht einmal sicher ist. Ich bin ja davon überzeugt, daß Impey sein Möglichstes tun wird, ihn an den Galgen zu bringen. Aber leider treiben sich zur Zeit so viele Neugierige aus London in Kalkutta herum. Man muß auf deren zarte Nerven Rücksicht nehmen.«

»Das verstehe ich nicht. Entweder ist er schuldig, dann muß er mit oder ohne Rücksicht auf die Londoner Beobachter verurteilt werden, oder er ist unschuldig, dann muß man ihn so und so freilassen!«

Tennessy wischte diesen Einwand mit einem »das versteht Ihr nicht, mein Kind« weg. Dann widmete er sich mit Aufmerksamkeit und Ausdauer dem Porridge.

Robert Tennessy liebte es, den Lunch zu Hause einzunehmen, weil er sich dort dem Essen mit mehr Genuß hingeben konnte als im Klub.

12

Tag für Tag gingen die verhinderten Befreier durch die Stadt und hielten sich abwechselnd in der Nähe des Gefängnisses auf. Vorerst sahen sie jedoch keine Möglichkeit, die Gefangenen herauszuholen.

Marina hatte von Isolde die Auskünfte erhalten, die Hawburys Tochter selbst wußte. Es war an sich nichts von Belang; denn der Radscha von Bihar und alles, was mit diesem zusammenhing, interessierte Marina nur am Rande.

Sie überlegte, ob man mit der Befreiung nicht bis zur Deportation der Freunde warten sollte. Aber das war noch lange hin. Und Marina konnte sich vorstellen, wie sehr der Pfeifer unter dem Entzug der Freiheit litt.

An einem der nächsten Tage, als Ibn Kuteiba, Fernando und Ernesto zu ihrem täglichen Patrouillengang aufgebrochen waren, saß Marina in der Halle des indischen Hotels auf einem Diwan und las in der vier Monate alten Ausgabe des »Daily Courant«, einer der berühmtesten Zeitungen des damaligen London. Sie wurde plötzlich angesprochen. »Ah, eine Mem-Sahib, die Zeitung liest. Etwas ganz Neues.«

Sie erhob erstaunt die Augen zu dem Sprecher. Sie war in einen indischen Sarong gehüllt, in den sie sich an diesem Ort stets kleidete.

Der Mann, der sie interessiert anstarrte, war ein baumlanger Engländer, zwischen dessen Zähnen eine kurze Shagpfeife steckte. Die Hände hatte er in den Taschen, und der Tropenhelm saß ihm im Genick. Er hatte halb Englisch, halb Hindustani gesprochen.

»Höflich seid Ihr gerade nicht«, sagte Marina und legte die Zeitung weg. »Ich habe mir einen Gentleman immer anders vorgestellt.«

Der Lange nahm zögernd die Hände aus den Taschen und wußte nicht recht, ob er sie auf dem Bauch oder auf dem Rücken falten sollte.

»Ihr könnt ruhig auch die Pfeife aus dem Mund nehmen und den Hut absetzen, wenn Ihr schon dreist genug seid, eine Dame anzusprechen.«

Marina schlug mit einem kurzen Griff den Kopfschal zurück und schüttelte die Fülle ihrer roten Haare.

Der Engländer, der bislang geglaubt hatte, es mit einer Inderin zu tun zu haben, sperrte den Mund auf und stieß ein überraschtes »Ah« aus, wobei ihm die Pfeife auf den Boden fiel. Mit galanter Höflichkeit verbeugte er sich.»Stineway ist mein Name. Entschuldigt, Madam. Ihr seid Engländerin?«