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Die beiden »Soldaten« schritten über den Hof zum Haus. Fernando öffnete mit einem Ruck die Tür und sprang aufgeregt in den Gefängnisgang. Der Sergeant vom Dienst fuhr aus seinem Dämmer hoch und brüllte den Eindringling an: »Was ist? Was willst du?«

»Kommt schnell heraus, Sergeant, draußen im Regen liegt mein Kamerad. Er scheint ohnmächtig geworden zu sein!«

»Schöne Soldaten, die bei etwas Regen gleich aus den Latschen kippen. Kannst du ihn nicht hereinbringen?«

»Allein kann ich ihn nicht tragen.« »All right, ich komme schon.«

Er kam tatsächlich und gesellte sich kurze Zeit später, ebenfalls halbnackt, zu den anderen beiden Bündeln im Schilderhaus. Er hatte allerdings den schlechtesten Platz bekommen, denn sein Kopf ragte aus der schmalen Unterkunft in den strömenden Regen.Ernesto trug bereits seine Uniform.

Einen Havelock um die Schultern und eine Kapuze über dem roten Haar, trat Marina hinter einem Mauervorsprung zu den dreien.

»Gute Arbeit«, lobte sie. »Nun aber schnell. Ich warte hier. Sollte sich draußen irgend etwas Unvorhergesehenes ereignen, werfe ich die Pulverbombe auf den Hof.«

Die drei Uniformierten gingen zuerst in die Pförtnerstube und suchten nach den Schlüsselbunden. Alle verfügbaren Schlüssel nahmen sie an sich. Sie wußten nur, hinter welchem Zellenfenster die Freunde saßen; aber das war, von innen her gesehen, ein schwacher Anhaltspunkt. Ernesto als Sergeant marschierte durch den Haupteingang vor den beiden her.

Fernando und Ibn Kuteiba folgten in militärischer Ordnung, wie es ein Wachkommando nicht besser hätte vorexerzieren können.

»Hier in der Nähe muß es sein«, sagte Fernando.

Sie gingen mit tappenden Schritten.

In den Zellen wurde es lebendig. Man hörte Schimpfen über die nächtliche Ruhestörung. »Sollte mich doch wundern«, flüsterte Ernesto zurück, »wenn Ojo nicht ebenfalls laut schimpfen würde. Wie ich ihn kenne —«

»Wir müssen noch lauter auftreten«, meinte Ibn Kuteiba. »Er hat einen sehr festen Schlaf.« Es war ein halber Paradeschritt, was sie da veranstalteten. Es hallte im Gang wider. Doch Ojos Baß war unter der johlenden Meute der wütenden Zellenbewohner nicht zu vernehmen. Sie blieben stehen.

»Es nützt nichts«, sagte Fernando. »Am schnellsten geht es, wenn wir rufen. Senor Baum wird schon antworten.«

In diesem Augenblick erschien im Hintergrund das verängstigte und erstaunte Gesicht eines Wärters.

Er beruhigte sich aber sofort, als er die schönen roten Umformen sah.

»He du«, sagte Ernesto, »mach die Zelle auf, in der der Gefangene Baum sitzt.«

Der Wärter kam eilig heran.

»Habt Ihr die Schlüssel mit, Sergeant?« fragte er.

Ernesto hielt ihm einen Schlüsselbund unter die Nase.

Der Wärter nahm ihn und suchte beim Schein der trüben Funzel, die Fernando in der Hand hielt. »Da ist der Schlüssel dreiundzwanzig nicht dran«, meinte der Wärter und blickte erstaunt auf; denn schließlich mußte der Sergeant ja die Zellennummer seiner Häftlinge kennen. Zu allem Unglück beleuchtete jetzt auch das Licht für einen Augenblick Ernestos Gesicht. »Wer — wer seid Ihr?« fragte der Wärter unsicher.

Er hatte die Frage kaum ausgesprochen, als sich Ibn Kuteibas Hände mit klammernden Griffen um seinen Hals legten.

»Zelle dreiundzwanzig — — los, los«, sagte Ernesto.

Fernando leuchtete die Türen ab. Die richtige lag nur ein paar Schritte entfernt.

Michel und Alfonso Jardin waren längst wach. Als Michel draußen seinen Namen nennen hörte,

wurde alles Abwehr in ihm. Was bedeutete das, daß man sie nachts abholte? Sollte das etwa eine geheime Exekution geben?

Da öffnete sich die Tür, und Ernesto sagte :

»Senor Silbador — — seid Ihr hier drin?«

Michels Blick fiel auf Ibn Kuteibas Gestalt.

»Por Dios, damit habe ich nicht gerechnet! Hoffentlich kriegen wir Ojo schnell genug wach.«Jardin war schon auf dem Gang.

Ojo grunzte unwillig. Langsam kam er zu sich.

»Que diablo«, fluchte er. »Was wollt ihr Hunde mitten in der Nacht von uns?« »Schnell, schnell, hombre«, sagte Ernesto. »Werde endlich wach! Wir haben keine Zeit zu verlieren! Die Senorita wartet draußen auf uns!«

Als Ojo merkte, was vor sich ging, stand er mit einem Satz auf den Füßen. j

»Ernesto, amigo, Gott sei Dank, daß ihr uns hier rausholt aus diesem verfluchten Loch!«

Diesmal marschierten sie nicht geordnet durch die Gänge. Fernando hatte den bewußtlosen Wärter in die leere Zelle befördert, die Tür zugeschlagen und abgeschlossen.

Im Laufen nestelte er den Schlüssel vom Bund los und steckte ihn in die Tasche.

Ohne Zwischenfall erreichten sie die Straße. Marina stand wartend neben dem Schilderhaus.

»Schnell, schnell, weg von hier. Der Lärm im Gefängnis war bis hier unten zu hören.«

Die drei Befreier entledigten sich rasch der Uniformen und warfen hastig die eigenen Kleider über.

Ihre Schritte verhallten in den nächtlichen Straßen.

14

Die federführende Ordonnanz im Vorderzimmer klopfte an Sir Hastings Zimmertür. Gleich darauf erscholl die über dem Vorzimmer angebrachte Glocke. Die Ordonnanz öffnete und nahm Haltung an.

»Der Gefängnisdirektor ist zum Rapport erschienen, Euer Herrlichkeit.« Sir Hastings blickte auf. Eine steile Falte stand über seiner Nase. »Herein mit ihm«, sagte er ungnädig.

Der Gefängnisdirektor stand mit schlotternden Knien vor dem Generalresidenten. »Ich — — ich — — es ist — —«

»Good morning«, unterbrach ihn Hastings barsch. »Faßt Euch, Mann, und gebt mir einen klaren Bericht über die Geschehnisse der letzten Nacht. Ich glaube, es wird Zeit, daß Ihr nach England zurückgeht. Ihr werdet alt, Custer.«

»Verzeihung, Euer Herrlichkeit! Ich selbst bin vollständig fassungslos. Draußen im Schilderhaus und im Innern des Hofes standen zwei britische Posten. Ihr wißt, ich habe Sipoys als Wachen immer abgelehnt. Und der Oberaufseher ist ein alter, verläßlicher Sergeant.« Custer schilderte die Ereignisse fast genauso, wie sie sich tatsächlich abgespielt hatten. Er hatte aus den Vernehmungen der drei Soldaten Steinchen um Steinchen zu einem vollständigen Mosaik zusammengefügt.

»Demnach sind es drei Männer gewesen, die die ganze Sache ausgeführt haben?« »Ja, Euer Herrlichkeit. Ob allerdings draußen noch Leute gewartet haben, ist mir unbekannt.« Der Generalgouverneur erhob sich, faltete die Hände auf dem Rücken und ging wie ein gefangener Löwe im Zimmer auf und ab. Hinter seiner breiten Stirn arbeitete es. Ruckartig drehte er sich um und fragte mit schneidender Stimme:

»Sind noch in der Nacht Maßnahmen zur Verfolgung der Burschen getroffen worden?« »Yes, Euer Herrlichkeit. Eine ganze Schwadron hat die Suche aufgenommen!« Hastings lächelte geringschätzig.

»Na, viel wird dabei auch nicht herauskommen. Man weiß ja nicht einmal, in welche Richtung sie sich gewandt haben.«

»Ich denke doch. Es kann eigentlich nur der Weg nach Diamond Harbour sein. Dort liegt doch das Schiff von diesem Jardin. Ich bin der Ansicht, daß sie versuchen werden, damit zu fliehen.« Hastings sah sein Gegenüber mit spöttisch herabgezogenen Mundwinkeln an. »Ihr behaltet Eure Ansichen besser für Euch, Custer. Wenn die Schwadron das Gebiet zwischen Kalkutta und Diamond Harbour abkämmt, so kann ich Euch jetzt schon versichern, daß diese Suche schief ausgehen wird. Es ist kindisch, anzunehmen, daß die Ausbrecher es wagen werden, auf die »Lundi« zu flüchten. Schickt eine weitere Schwadron nach Norden. Die Flüchtlinge werden versuchen, nach Rohilkant zu kommen. Der Landweg ist ihre einzige Chance.« Der Gefängnisdirektor verbeugte sich und verließ den gefürchteten Residenten. Hastings nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz und vertiefte sich in den Stoß Berichte, die dort in einer roten Mappe lagen. Es waren Berichte über Vorkommnisse, wie sie sich in ganz Ostindien zutrugen. Sie wurden von den Unterresidenten abgefaßt und bildeten die wichtigsten Unterlagen für die Verwaltung und Beherrschung des riesigen Reiches. Wenn es Sir Warren ermöglichen konnte, las er diese täglich eingehenden Berichte persönlich.