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Er nahm ein Blatt zur Hand und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Das war ja doch wohl eine tolle Angelegenheit. Der Bericht war vom Residenten aus Akjab und schilderte das Verschwinden dreier Schiffe, die ihre Mannschaft nächtlicherweise auf listige Art ausgebootet hatten. Aus den Aussagen der betrogenen Seeleute ging eindeutig hervor, daß es die langvermißten »Trueno«, »Mapeika« und »Dimanche« waren.

Hastings richtete sich auf. Blitzartig erfaßte er die Zusammenhänge. Heftig riß er an der Klingelschnur. Die Ordonnanz stürzte herein.

»Gebt sofort einen Befehl an das vierte Rifleregiment durch, von Islamabad bis nach Kumilla die ganze Gegend abzusperren! Dann gebt Ihr eine genaue Beschreibung vom Aussehen dieses Deutschen und seiner beiden spanischen Freunde, dem großen und dem kleinen, an den Regimentskommandeur !«

15

Michel, Ojo und Jardin saßen in einer alten, verfallenen Bambushütte am Ostrand der Stadt. Sie waren von echten Indern nicht mehr zu unterscheiden. Marina hatte ihnen Kleidung gebracht, die sie unkenntlich machte.

Als es Abend wurde, kamen die vier Freunde zu der Bambushütte geritten.

Sie brachten Proviant und Wein für Ojo.

»Wie denkt Ihr über den Aufbruch, Miguel?« fragte Marina.

Der Pfeifer kaute an einem großen Bissen Lammfleisch und sagte zwischen zwei Bissen: »Es wäre verfehlt, jetzt schon zu gehen; denn Ihr könnt Euch denken, daß die Herren von der Kompanie nichts unversucht gelassen haben, ihre ganze Truppenmacht aufzubieten, um uns wieder zu fangen. Hier in der Bambushütte ist es zur Zeit am sichersten.« »Aber zu lange dürfen wir nicht mehr zögern«, meinte Marina. »Man wird sonst an der birmaischen Küste doch noch auf unsere Schiffe aufmerksam.«

»Das ist richtig, und ich teile Eure Befürchtungen durchaus. Aber ich habe noch etwas zu tun in Kalkutta. Da ist nämlich mein Freund Tscham. Und ich gehe nicht, wir alle drei gehen nicht, bevor auch er frei ist.«

»Tscham?« fragte Marina. »Ist das der Radscha von Bihar?«

»Ganz recht. Er ist aber vor allem unser Freund, und deshalb dürfen wir ihn nicht im Stich lassen.

Marina und ihre drei Gefolgsleute schwiegen. Sie erkannten zwar den Wunsch des Pfeifers an, hielten es jedoch für töricht, sich hier aus diesem Grunde der Gefahr des Wiederentdecktwerdens auszusetzen. ! »Ihr schweigt?« fragte Michel. Ibn Kuteiba nickte ernst.

»Ich glaube, Ihr wißt die Schwierigkeiten nicht recht zu schätzen, unter denen wir euch befreit haben. Und ich fürchte, es wird noch schwieriger, wenn nicht gar unmöglich sein, den Radscha zu befreien.«

»Ihr wart zu viert«, sagte Michel. »Jetzt sind wir sieben. Das ist schon fast eine kleine Armee. Ich weiß zwar nicht wie, aber ich weiß, daß wir es schaffen werden.«

Marina hatte sich nicht weiter am Gespräch beteiligt. Sie hing einem phantastischen Gedanken nach. Er war an sich ungeheuerlich; aber er war nicht ohne Schwung. Wenn man ihn ausführte, konnte man vielleicht alles erreichen oder alles verderben. Nun, ein bißchen Glück brauchte der abenteuerliche Mensch eben. Und Marina glaubte fest an ihr Glück. »Miguel«, sagte sie, »wir reiten jetzt in unseren Gasthof. Ich habe einen Plan. Ob er sich verwirklichen läßt, weiß ich nicht. Es kommt auf einen Versuch an. Morgen im Lauf des Nachmittags komme ich allein mit einem Fremden zu Euch. Bis dahin geduldet Euch.« »Wollt Ihr mir diesen Plan nicht verraten?«

»Nein, er ist zu phantastisch. Ich möchte nicht, daß Ihr über mich lächelt.«

Ihre Stimme war dunkel, als sie die letzten Worte sagte. Ein glutvoller Blick aus ihren Augen traf Michel. Mit festem Druck reichte sie ihm die Hand.

Kurz darauf verklangen die Hufschläge stadtwärts.

16

Richard Stineway saß bei einem Glas Whisky auf der schattigen Loggia des Cardiff-Hotels. Seine Beine lagen auf dem Tisch. Der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht. Trotz der frühen Jahreszeit brannte die Sonne mit steigender Intensität.

Er saß da und dachte nach, das heißt, er versuchte nachzudenken. Immer, wenn ein Satz in seinem Kopf fertig war, zerrann er wieder, bis der Korrespondent zum Bleistift greifen konnte. In den letzten Wochen war ihm die Zeit lang geworden. Über die Einnahme von Bihar hatte er schon berichtet. Und sonst gab es keine Neuigkeiten, wenigstens keine, die für Richard Stineway erreichbar gewesen wären.Vor ein paar Tagen hatte er einen Brief von seinem Zeitungsverleger erhalten. Darin wurde er dringend gebeten, doch endlich einen möglichst spannenden Bericht zu bringen; denn die Leser hungerten nach Neuigkeiten. Und unglücklicherweise war auch in Europa zu dieser Zeit gerade kein Krieg.

Stineway zog den Hut tiefer in die Stirn und schloß die Augen. Eine Geschichte — was diese Schreibtischleute sich immer so einbildeten! Wo sollte er eine solche Geschichte hernehmen? Trotz monatelanger Bemühungen war es ihm bis heute nicht gelungen, bis zum Generalgouverneur oder dessen engsten Mitarbeitern vorzudringen, um ein Sonderinterview zu erhalten. Er wußte, daß die Herren auf die Presse nicht gut zu sprechen waren. Selbst in Regierungskreisen Londons begegnete man ihr noch mit Mißtrauen und unterdrückte sie, wo man konnte. Aber in England war sie ein Faktor, der aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken war, Selbst der König mußte mit ihm rechnen. Doch hier in Kalkutta, hier waren die kleinen Könige viel selbstherrlicher und viel anmaßender als Seine Majestät in London. Als Stineway bei diesen Überlegungen angekommen war, trat ein Boy an seinen Tisch, kreuzte die Hände über der Brust und verbeugte sich. Mit seinem englisch-hindustanischen Sprachgemisch störte er den Nachdenklichen auf.

»Stineway Sahib, in der Halle ist eine Mem-Sahib, die dich zu sprechen wünscht.«

Stineway schob den Hut wieder ins Genick.

»Eine Mem-Sahib — — mich?«

»Ja, Sahib. Eine Weiße mit schönen roten Haaren.«

»Mit roten Haaren--hm--ah, ich weiß schon. Ich komme.«

Der Junge verbeugte sich abermals und lief geschwind hinweg.

Stineway erhob sich und schüttete den Rest Whisky hinunter. Ein paar Sekunden später steuerte er auf die Dame zu, die in einem Sessel Platz genommen hatte. Mit elegantem Schwung schleuderte er den Hut auf einen Haken und verbeugte sich vor Marina.

»Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches, Gräfin?« fragte er.

»Setzt Euch«, war Marinas Antwort.

»Darf ich Euch vielleicht zu einem Whisky einladen?«

»Nein, danke. Ich mag das scharfe Zeug nicht.«

»Nun denn, kann ich Euch irgendwie behilflich sein, Mylady?«

»Ihr mir?« stellte sich Marina erstaunt. »Keineswegs. Ich möchte Euch behilflich sein. Ich sagte Euch doch bei unserer ersten Begegnung bereits, wie sehr ich die Presse schätze. Nun, ich habe da eine hübsche kleine Geschichte, die spannend ist, Inhalt hat und den Vorzug besitzt, obendrein noch wahr zu sein. Das heißt, wenn Ihr Euch dafür interessiert.«

Stineways Gesicht glänzte. Es zuckte förmlich in seinen Fingern. Am liebsten hätte er sich gleich Papier und Bleistift bringen lassen, um mitzuschreiben. Aber das war damals in Gegenwart einer Dame nicht möglich. Man mußte das Gesagte im Kopf behalten, um es später niederzuschreiben. »Ihr macht mich glücklich, Gnädigste. Seit Wochen bin ich auf der Jagd nach einer guten Story. Ich biete jeden Preis und scheue keine Mühe, vorausgesetzt, daß sie für meine Londoner Leser wirklich interessant ist.«