»Oberleutnant Roach zur Stelle«, meldete sich dieser.
»Traut Ihr Euch zu, einen Geheimauftrag für die Kompanie auszuführen?« »Worum handelt es sich, Sir?«
»Das weiß ich leider auch nicht. Jedenfalls hat Sir Edward William, der Stellvertreter des Generalgouverneurs, einen tüchtigen Offizier angefordert. Man sagte mir, daß Ihr einer der tüchtigsten seid.«
»Danke, Sir«, meinte Roach mit unbeweglichem Gesichtsausdruck.
»Well, sattelt Euer Pferd und reitet nach Kalkutta. Ich habe Auftrag erhalten, mit dem Regiment wieder in die Garnison zu gehen und einen Zug zu Eurer Verfügung zurückzulassen. Ihr könnt Euch die Leute aussuchen.« »Yes, Sir«, sagte der wortkarge Oberleutnant.
»Danke«, verabschiedete ihn der Oberst kurz. Er war froh, als der Oberleutnant mit dem Schlägergesicht das Zimmer verlassen hatte. —
Roach ließ seine Kompanie antreten. Sie mußte sich mit fünf Schritten Zwischenraum in vier Gliedern aufstellen. Der Kompaniechef ging von Mann zu Mann. Hier und da fuhr sein Zeigefinger vor und tippte an die Brust eines Soldaten. »Links raus«, sagte er kurz.
Als er etwa fünfundzwanzig Mann beisammen hatte, ließ er die übrigen wegtreten. Er versammelte den neugeschaffenen Zug um sich und meinte:
»Herhören! Habe euch ausgesucht, weil ich denke, daß man mit euch den Teufel aus der Hölle holen kann.«
Beifälliges Murmeln erhob sich im Kreise. »Ich reite heute nach Kalkutta«, fuhr der Oberleutnant fort. »Das Regiment geht in Garnison zurück. Ihr wartet hier auf mich. Sergeant Smith übernimmt das Kommando. Vor morgen abend werde ich nicht zurück sein. Bis dahin habt ihr dienstfrei und könnt euch in der einzigen verdammten Kneipe dieses trostlosen Kaffs hier vollaufen lassen.« Er hob die Stimme, und der Ton wurde schneidend: »Aber wehe, wenn ein einziger von euch abhanden kommt oder morgen abend unterm Tisch liegt. Gnade euch Gott. — Wegtreten!«
Die Soldaten liefen freudig erregt auseinander. Roach hatte sich die richtigen ausgesucht. Und die Leute würdigten die Wahl ihres Kompanieführers. Dieser Roach war nach ihrem Geschmack. Er sprach kein Wort zuviel und keins zuwenig. Seine Befehle waren knapp, unwiderruflich und unmißverständlich. Sicher, für Weichlinge oder solche, die zart besaitet waren, stellte er ein Schreckgespenst dar. Aber von den Ausgesuchten war niemand zart besaitet.
Die Hufe von Roachs Pferd schlugen den steinigen Grund. Meile um Meile brachte er in anstrengendem Ritt hinter sich. Er war ehrgeizig. Er hatte längst gespürt, daß ihn die Kameraden mieden. Freunde hatte er keine; aber er hatte den Willen, es weiter zu bringen als bis zum planmäßigen Captain oder Major. Es war ihm auch vollständig klar, daß man ihn nicht aus Sympathie zur Ausführung dieses Sonderauftrags befohlen hatte, sondern weil man froh war, ihn los zu sein. Aber Roach war nicht der Mann, der solchen Dingen nachtrauerte. Er würde das Beste aus der Situation für sich herausholen, Unbarmherzig sauste die Reitpeitsche auf die Hinterhand des Pferdes nieder.
Spät am Abend des Freitag traf er in Kalkutta ein und meldete sich ohne Rast bei Sir Edward William.
William verbarg seinen Schreck, als er beim hellen Schein der Kerzen im Salon den Offizier begrüßte.
»Ah«, sagte er so freundlich wie möglich, »Ihr seid der Mann, den Oberst MacFadian ausgesucht hat. Nun, ich weiß zwar nicht, worum es sich handelt; aber Mr. Tennessy wird Euch darüber Aufklärung geben können. Geht zu ihm. Er wohnt--.«
William gab ihm die Adresse an.
Adam Roach behielt sein unbewegliches Gesicht, schlug die Hacken zusammen und ging zu Robert Tennessy.
»Ah«, begrüßte ihn dieser und mußte einen Augenblick wegsehen; denn das Gesicht war zu abschreckend. »Ich weiß zwar nicht, was Euer Auftrag sein wird; aber ich soll Euch zum Sicherheitsdienst schicken. Dort werdet Ihr nähere Informationen erhalten.« Er gab ihm die Adresse des Sicherheitsdienstes. Roach wurde an Ort und Stelle von einem Polizeioffizier im gleichen Rang empfangen.
Der Polizeioberleutnant legte eine Bibel auf den Tisch und sagte:
»Bevor ich Euch in Euern Auftrag einweihe, leistet einen Eid, daß Ihr zu niemandem davon sprecht. Im Namen des Auftraggebers kann ich Euch versichern, daß Ihr nach gelungener Durchführung sofort zum Major befördert werdet, vorausgesetzt, daß Ihr den Eid haltet und in jedem Fall Diskretion wahrt.«
»Ich schwöre«, sagte Roach und hob die rechte Hand. Sein Gesicht hatte den Ausdruck einer Bulldogge.
Unangenehmer Kunde, dachte der Polizeioffizier bei sich, aber vielleicht gerade deshalb der richtige Mann für diese heikle Angelegenheit.
»Gut«, sagte er. »Jetzt hört. In der Stadt weilen drei Verräter und ein indischer Radscha, die an sich alle vier an den Galgen gehören. Da es aber politisch nicht zweckmäßig ist, sie aufzuhängen, und da sich leider die Notwendigkeit ergeben hat, sie sogar noch in Freiheit zu setzen, müssen sie außerhalb des Distrikts von Kalkutta irgendeinen Unfall erleiden, der dann bedauerlicherweise tödlich ausgegangen ist. Es besteht kein Zweifel, daß die vier Leute, drei Weiße und der Radscha, ihren Weg an der Küste entlang nach Birma nehmen werden. Da Ihr rein zufällig in Islamabad stationiert seid, so werdet Ihr nicht umhin können, den Opfern des Unfalls Hilfe zu leisten und, wenn nötig, für eine anständige Beerdigung zu sorgen. Was ich noch sagen wollte: vergeßt nicht die Ehrensalve über den Gräbern. Ein Radscha hat Anspruch auf vierundzwanzig Schuß.«
Roach blickte den anderen fragend an. Dann meinte er: »Ist das alles?«
»Ja, habe ich mich nicht verständlich ausgedrückt? Ihr sollt auf jeden Fall dafür sorgen, daß sie anständig beerdigt werden, beerdigt, daß Ihr das nicht vergeßt.« »Dazu müssen sie doch erst mal tot sein.«
»Eben«, sagte der Polizeioffizier. Dann gab er Roach eine genaue Beschreibung Michels, Ojos, Jardins und Tschams.
21
Noch am Sonnabendmittag war der Pfeifer unschlüssig, ob er der Einladung Folge leisten sollte oder nicht Andererseits mußte er sich sagen, daß man es nicht wagen würde, sich nach dieser Gesellschaft noch an seiner Person zu vergreifen; denn schließlich rückte er damit wieder in das Licht der Öffentlichkeit.
Das Rollen von Rädern rüttelte Michel aus seinen Gedankengängen.
Eine Kutsche kam, auf deren Bock der Zeitungsmann saß.
»Hallo«, rief er, »ich bringe Garderobe für Euch und gute Nachricht.«
»Gute Nachrichten sind immer willkommen, Mr. Stineway. Laßt sie hören.«
»Es ist gekommen, wie ich es vorausgesagt habe. Der Radscha von Bihar ist freigesprochen.
Man hat ihm sogar eine Entschädigung von tausend Pfund bezahlt.«
»Wo ist er?« fragte Michel freudig.
»Er wohnt im gleichen Hotel wie die Gräfin.«
»Dann könnten wir doch eigentlich sofort aufbrechen. Was hält uns noch hier?« »Ihr werdet es nicht glauben; aber dieser Hastings hat die Unverschämtheit besessen, dem Radscha sofort nach dem Freispruch ebenfalls eine Einladung zu seiner Gesellschaft zukommen zu lassen.«
»Und? Hat er sie angenommen?« »Soviel ich weiß, ja.«
»Konntet Ihr in Erfahrung bringen, ob weitere indische Persönlichkeiten zugegen sein werden?« »Ich glaube nicht. Es ist nichts davon laut geworden.«
»Paßt auf, dann wird Tscham der Mittelpunkt der Gesellschaft sein! Eine raffinierte Bande! Ich bin gespannt, wie die Sache noch ausgeht.«
Zahlreiche Gäste hatten sich im Hause Hastings' eingefunden. Die verschwenderische Menge der Kerzen strahlte gleißendes Licht aus. Lakaien gingen würdevollvon Gast zu Gast und reichten auf silbernen Tabletts Whisky, Cognac oder andere Erfrischungen.
Von der Ankunft Michels, Ojos, Jardins und Stineways wurde kaum Notiz genommen. Der Hausherr umging die Pflicht der Begrüßung.