»Ich denke, die Burschen haben sich auf irgendeine Art und Weise befreit und die Mannschaft überwältigt.«
»Richtig, Porquez schleppte sie ja noch immer im Kielraum mit. Maldito! Der Teufel soll sie holen. Wißt Ihr, welchen Kurs sie genommen haben?«
»Van Brincken, der Reeder an Land, sprach davon, daß sie nach Nordwesten ausgelaufen seien.« Marina nahm ihren Gürtel, an dem der Degen hing, von der Wand und legte ihn um ihre schmalen Hüften. Fest zog sie die Schnalle zu. In ihren Augen war der alte Glanz zurückgekehrt. Sie zog den Degen aus der Scheide und hieb ein paarmal durch die Luft, daß es pfiff. »Bueno, Senor Virgen, ich übernehme ab sofort wieder das Kommando. Was habt Ihr bis jetzt veranlaßt?«
»Ich habe das Zinn und den Pfeffer verkauft und die Handwerker bestellt, damit sie den Mast in Ordnung bringen. Wollt Ihr die Abrechnung mit van Brincken nun übernehmen?« »Nein, nein. Erledigt nur alles, was Ihr in die Wege geleitet habt, und seht zu, daß wir so schnell wie möglich fertig werden.«
Das Entladen dauerte immerhin Stunden. Der defekte Mast und die Rahen waren längst wieder in Ordnung, als die Boote immer noch unermüdlich zwischen Schiff und Land zogen. — Aber noch bevor die Sonne unterging, hißte die »Trueno« die Segel und zog in großem, elegantem Bogen davon.
Marina und Virgen standen tief über die Karten gebeugt im Steuerhaus. Die Gräfin setzte die Spitze des Zirkels auf Pasangan und zog einige Kreise. Der Steuermann hatte den Rechenschieber in der Hand und schrieb immer neue Zahlen auf ein Blatt Papier. Das Rechnen nahm kein Ende. Der Möglichkeiten waren zu viele.
»Weiß der Teufel, wir müßten zwischen den Nikobaren und Malakka die ganze See absuchen. Ich habe wenig Hoffnung, sie zu finden.« Er warf den Bleistift auf den Tisch.
Marina hatte noch immer den Zirkel in der Hand. Ihre Finger spielten damit, und es gab klickende Geräusche. Eine steile Falte stand über ihrer Nase. Der Ausdruck in ihren Augen war grüblerisch.
»Ich weiß nicht«, sagte sie, »ob wir Erfolg haben werden, wenn wir zwischen den Inseln suchen. Wenn ich Mustapha wäre, dann würde ich versuchen, soviel Wasser wie möglich zwischen mich und etwaige Verfolger zu bringen. Und ich glaube, er wird diesen Gedanken auch gehabt haben, als er die Fracht verschleuderte. Es gibt immerhin zu denken, daß er das kleine Pasangan anlief, um Zinn und Pfeffer hier loszuwerden. Weshab sollte erdann nicht auf die Spitze von Sumatra, bei Rondo oder Wai etwa, den Kurs auf West ändern, um den freien Ozean zu gewinnen. Dort unten hat er Spielraum und guten, stetigen Ostwind.«
»Ihr dürftet recht haben, Senorita. Wollten wir ihn aber in den Ozean verfolgen, so bleibt immer noch die Frage offen, ob er südlich um Ceylon herumgeht oder durch die Palkstraße segelt.« »Er geht mit Sicherheit südlich um Ceylon; denn er muß ja versuchen, das Kap der guten Hoffnung zu gewinnen. Ziehen wir eine Linie von der Spitze Sumatras bis zum Kap, dann haben wir die Route. Ich bin dafür, daß wir mit vollen Segeln auf diesen Kurs gehen.« »Bien, Senorita, Ihr werdet wahrscheinlich recht haben.« —
Tag und Nacht war der Mastkorb abwechselnd von den fähigsten Leuten besetzt. Unablässig suchten die Fernrohre den Horizont ab. Tag um Tag verrann, ohne daß man den Türken gewahrte.
Drei Tage waren so vergangen. Am Morgen des vierten schrie der Mann im Ausguck: »Schiff Steuerbord voraus!«
Wie ein Funke am Pulverfaß zündete dieser Ruf bei den Männern. Sie schrien und tobten durcheinander. Messer wurden gewetzt. Die Kanoniere schleppten Kugeln und Pulver an die Geschütze. Die »Trueno« lag mit voller Fahrt vorm Winde. Sie durchschnitt die Wellen wie eine Sportjacht. Kein Schiff konnte ihr entkommen.
Virgen drehte das Rad im Schweiße seines Angesichts, um die größtmögliche Geschwindigkeit herauszumanövrieren. Marina ließ das Glas nicht mehr vom Auge. Doch wie groß war die Enttäuschung, als man die britische Flagge erkannte!
Marina setzte resigniert das Glas ab und stieg voller Enttäuschung von der Kommandobrücke. »Wir werden uns auf eine lange Jagd gefaßt machen müssen«, sagte sie zu Virgen, der jetzt an der Reling stand und das Steuer für eine Weile an einen der Leute abgegeben hatte. Virgen antwortete nicht zugleich, er setzte dann aber mit einem Ruck das Rohr ab und meinte: »Wißt Ihr, wen wir da vor uns haben? Es ist die »Unicorn« mit Kapitän Grearson. Es hat den Anschein, als seien sie unterwegs nach Europa.«
»Kapitän Grearson? Was tut der hier, so weit östlich? Seit wann segeln die Schiffe von Kalkutta auf direktem Südkurs, um dann auf 8 ° erst nach Westen zu gehen?«
»Das ist in der Tat ein wenig seltsam. Es bedeutet ja einen Umweg von gut sechshundert Meilen!«
»Eben«, meinte Marina. »Jeder vernünftige Europafahrer segelt durch die Palkstraße, wenn er aus Kalkutta kommt.«
»Nun, geben wir uns zu erkennen und fragen ihn, was er hier treibt.«
Sie drehten einige Strich bei und zogen Signalwimpel auf.
Die Antwort kam sofort. Sie lautete merkwürdigerweise :
»Streicht Flagge. Müssen euch leider verhaften. Nehmen euch ins Schlepp.«
Marina und Virgen sahen einander erstaunt an.
Marina befahl dem Signalgast zurückzuwinken:
»Verrückt geworden? — Kapitän Grearson an Bord?«
Die Antwort kam.
»Captain Grearson an Bord. Handeln im Auftrag des Generalgouverneurs. Bitte leistet keinen Widerstand!«»Warten. — Kommen auf Sprechweite heran. — Wenn ihr Feuer eröffnet, bohren wir euch in den Grund. Wollen wissen, was los ist.« »Wir warten.«
Die »Trueno« manövrierte so lange, bis sie Deck an Deck mit der »Unicorn« lag. Auf der »Unicorn« machte aber niemand Anstalten, herüberzukommen.
Marina rief einigen Matrosen zu, daß sie Grearson zu sprechen wünsche. Nach einer Weile erschien der Kapitän mit ernstem, abweisendem Gesicht.
»Hallo, Grearson, how do you do«, rief Marina lachend, »was ist in den Gouverneur gefahren, daß er so verrückte Befehle gibt?«
»Ich bitte, Eure Worte besser zu wählen, Madam.«
»Ihr seid wirklich verrückt. Aber das macht nichts. Kommt herüber. Wir geben Euch freies Geleit. Ihr könnt unserem Wort vertrauen.« Grearson zögerte.
»Habt Ihr Angst?« neckte ihn Marina. »Wir haben ja keinen Auftrag, Euch zu verhaften! Wenn ich freies Geleit sage, dann meine ich auch freies Geleit.«
Von drüben wurde ein Laufsteg gelegt. Der Kapitän kam an Bord der »Trueno«. Er stand verlegen da und machte keine Anstalten, Marina oder Virgen zu begrüßen. »Nun, Ihr seht ja wirklich aus wie ein Feind! Ich will Eure Würde nicht verletzen und Euch deshalb nicht in meine Kabine bitten. Aber vielleicht sagt Ihr mir, wie Hastings auf die Idee kommt, uns verhaften zu wollen.«
»Ihr habt gegen die Interessen der Kompanie konspiriert, Madam. Ich wurde ausgeschickt, um die »Mapeika« und die »Trueno« zu suchen.«
»Nun, die »Trueno« habt Ihr ja gefunden. Wie steht es mit der »Mapeika«?« »Sie ist nicht in diese Breiten gekommen.«
»So, dann haben auch wir den verkehrten Weg; wir verfolgen sie nämlich seit Tagen.«
Jetzt horchte Grearson auf.
»Ihr verfolgt sie? Es sind doch Eure Freunde.«
»Eben darum, weil unsere Freunde an Bord sind oder besser waren. Ihr müßt nämlich wissen, daß die Türken sich aus dem Kielraum befreiten und das Schiff wieder in ihren Besitz bringen konnten. Unsere ganze Hoffnung ist, daß unsere Freunde noch unter den Lebenden weilen.« Grearson starrte sie ungläubig an.
»Komisch. Mir hat man gesagt, Ihr hättet den Verband zuerst verlassen, und die »Mapeika« sei erst nach Euch verschwunden. Ich verstehe das nicht ganz.« »So ganz ist es auch nicht zu verstehen. Stimmt schon, daß wir zuerst unsere eigenen Wege gingen. Heute sage ich: Gott sei Dank! Sonst wären wir nämlich nie hinter die Vorgänge auf der »Mapeika« gekommen. Wir haben durch Zufall erfahren, daß Mustapha in einem kleinen Hafen auf Sumatra die Ladung verkauft hat und daß keine Weißen mehr an Bord waren. Da sind wir aufgebrochen, um, wenn möglich, die Freunde noch zu retten.«