»Wann kann mit ihrem Auftauchen gerechnet werden?« fragte der Sergeant noch, bevor er die Baracke verließ.
»Ich werde Euch den Einsatzbefehl schon zur rechten Zeit geben. Noch etwas übrigens. Sollten sie uns entkommen, so werden sie verfolgt. Ihr könnt von der Schußwaffe rücksichtslos Gebrauch machen.«
Als Adam Roach allein war, verfinsterte sich sein Gesicht noch mehr. Es glich jetzt einer Fratze. Er knallte die Faust auf den Tisch und schimpfte vor sich hin.
»Blöde Bande in Kalkutta — — fünfundzwanzig Mann für einen solchen Auftrag — — typische Schreibtischstrategen, die sowas aushecken.«
Er stand auf und ging mit dröhnenden Schritten in der Stube hin und her. Immer wieder starrte er zwischendurch auf die Generalstabskarte. Ob man vielleicht lieber eine bewegliche Postenkette einrichten sollte? Er hielt seine Idee mit den Leuchtraketen für ausgezeichnet. — Es war Sonntag abend. Vor Montag waren die Gesuchten nicht zu erwarten. —
Um zwölf Uhr nachts brach die kleine Truppe auf. In gestrecktem Galopp ging es dem Ziel entgegen. Als der Morgen graute, verteilten sich die Leute, die zuvor noch die Raketen ausgehändigt bekamen, wie es der Plan vorsah. Das Wetter war schön. Stunde um Stunde verrann.
Bis zum Abend zeigte sich keine Spur der Erwarteten. Es wurde Nacht. Jeden einzelnen Soldaten umgab lautlose Stille. In dieser Ruhe würde man den Hufschlag nahender Pferde auch auf weitere Entfernung als einen Kilometer hören können.
Oberleutnant Roach stand auf dem Gipfel der Höhe zwölf. Unablässig zog und drehte er an seinem Fernrohr. Aber er konnte trotz des hellen Mondscheins nicht weiter blicken als bis zum zweiten Mann der Kette.
Auch diese Nacht verging. Und Roach wäre wahrscheinlich vor Wut geplatzt, wenn er seine entfernter postierten Leute gemütlich hingestreckt schlafen gesehen hätte. Der Offizier mit dem Boxergesicht hatte alles einbezogen, was bei einem solchen Unternehmen bedacht werden mußte, nur nicht die menschliche Unzulänglichkeit.
24
Die fünf Posten mit den gelben Raketen hatten ungefähr zur gleichen Zeit ausgeschlafen. Es waren diejenigen, die den Abschnitt unmittelbar an der Küste zu kontrollieren hatten. Der von der See aus gesehen zweite erhob sich erst, als ihn die warmen Strahlen der Sonne weckten. Und da es zur frühen Jahreszeit war, strahlte die Sonne nicht vor halb neun mit durchdringender Kraft. Er erhob sich gähnend, dehnte und reckte sich, nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, hob sein Gewehr auf und wischte mit seinem Taschentuch die feuchten Sandteilchen ab. Weit und breit herrschte tiefer Friede.
Um sich die Beine zu vertreten, ging der Posten erstein paar Schritte nach links, dann ein paar Schritte nach rechts und — — stutzte. Was war das?
Lief da nicht in kaum fünfzig Meter Entfernung von ihm ein dunkler Streifen durchs Gelände? Eilig rannte er hin. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, daß es sich um eine breite Hufspur von mindestens zehn Pferden handelte. Er atmete auf. Zehn Pferde — sie hatten ja nur vier erwartet. Er bezog seinen Posten wieder und ließ sich mit Ausdauer von der Sonne wärmen. — Roach konnte sich nur noch mit Mühe wach halten. Der Mittag kam, und nirgends war eine Rakete aufgestiegen.
Der Offizier beschloß, die Postenkette abzureiten.
Bei jedem einzelnen machte er halt, und jeder einzelne schnarrte die stereotype Meldung herunter:
»Keine besonderen Vorkommnisse.«
Als die Sonne am höchsten stand, war er bei Posten drei angelangt. »Und wieder: »Keine besonderen Vorkommnisse.«
Wütend galoppierte er weiter und stieß auf die Hufspur. Mit einem Satz war er vom Pferderücken. Er stellte dasselbe fest wie Posten zwei: mindestens zehn Pferde. Er stieg auf und ritt weiter, bis er den Soldaten erreichte. »Was sind da für Reiter vorbeigekommen?« fragte er.
Der Mann, der natürlich nicht eingestehen wollte, daß er des Nachts geschlafen hatte, nahm Haltung an und meldete :
»Ich weiß nicht, wer es war. Aber ich weiß, daß es zehn Mann waren. Alles Europäer.« »Habt Ihr nicht gefragt, wohin sie wollten?«
»Nein--das heißt, jawohl. Sie wollten nach Islamabad. Sagten, daß sie Geschäftsreisende wären.«
Roach stand unschlüssig.
»Es war dunkel, Oberleutnant. Sie redeten englisch, und ich habe keinen Inder gesehen.«
»Wie lang ist es her? «
»Wird so fünf Uhr gewesen sein, Sir.«
Roach wandte sein Pferd und ritt auch noch zum letzten Posten. Ebenfalls ergebnislos. Als sein Pferd dann wieder der Höhe zwölf zustrebte, wurde er immer unruhiger. Die zehn nächtlichen Reiter spukten in seinem Kopf. Er hatte gar nicht damit gerechnet, daß nachts ein so starker, fremder Zug hier durchkommen würde. War es nicht auch möglich, daß zu den vier Verbrechern, die er jagen sollte, noch weitere Leute gestoßen waren?
Seine Unruhe wuchs. Plötzlich wurde es ihm zur Gewißheit, daß die Gesuchten die Sperre längst passiert hatten.
Mit fliegenden Fingern riß er eine Rakete aus der Satteltasche, zündete sie an und ließ sie steigen. Es dauerte noch immerhin eine halbe Stunde, bis alle seine Reiter heran waren. Ohne ein Wort der Erklärung zu geben, setzte er sich an die Spitze des Zuges und führte ihn zu der Spur.
»Hier sind sie durchgekommen, sie sind mehr als vier. Wir müssen ihnen sofort nach.« »Bitte eine Bemerkung machen zu dürfen, Oberleutnant«, sagte der Sergeant. Roach winkte ab.
»Weiß schon, ihr seid müde und hungrig. Nützt nichts, müssen die Burschen kriegen. Los, Galopp!«
Sie brausten dahin. Aber ein halber Tag war verloren.
Die Spur führte nicht direkt nach Islamabad, sondern wich nach Osten aus. Sie kamen an ein kleines Flüßchen,das ziemlich reißend war. Hier hatten zehn Mann gelagert. Das sah man an den niedergetretenen Grasflächen.
Roach griff in die Asche, die von einem Lagerfeuer herrührte. Sie war noch warm.
25
»Auf!« schrie er seine müden Krieger an, »Müdigkeit gibt's nicht. Sie können nicht weit vor uns sein. Reitet, was das Zeug hält!«
Michel hatte in der Nacht den schlafenden Posten und dessen Pferd gesehen. Er hob die Hand und flüsterte zurück :
»Leise reiten, wir wollen den Guten nicht in seiner verdienten Ruhe stören.« Die Pferde gingen im Schritt über den weichen Sand, bis die Postenkette hinter ihnen lag. »Ich weiß zwar nicht«, wandte sich Michel zurück, »ob der Bursche dort auf uns warten sollte oder ob die Begegnung nur zufällig war. Dennoch ist Vorsicht am Platze. Ich werde mit Jardin und Ojo von jetzt an die Nachhut bilden. Ihr reitet schnell weiter. Den Weg könnt ihr nicht verfehlen; denn Mr. Stineway hat die Karte bei sich.«
Ojo, Jardin und Michel ließen ihre Pferde im Schritt gehen, während die anderen im Galopp davonjagten.
»Hört zu, amigos, weicht nicht von der Spur unserer Freunde ab. Sollten wir wirklich verfolgt werden, so brauchen die Verfolger nicht zu sehen, daß wir als Nachhut zurückgeblieben sind.« Michel behielt von der Minute an, da es tagte, sein Fernrohr dauernd in der Hand. Alle paar hundert Meter zügelte er sein Pferd und suchte aufmerksam die Gegend ab, die hinter ihnen lag.