»Santa Maria, Madre de Dios«, rief Marina jetzt. »Sie werden den Armen aufspießen! Ran, ihr zwei, dreht ebenfalls eure Gewehre um, und dann drauf!«
Zu dritt ritten sie in einer Linie an. Auch Marina wollte sich vom Kampf nicht ausschließen. —
30
»Bill« rief der Sergeant seinem neben ihm reitenden Gefolgsmann zu, »nimm du diesen Hampelmann aufs Korn! Stoß ihm deinen Säbel durch den Bauch, damit ihm das Brüllen vergeht!«
Bill grinste und nahm den ungelenken Zeitungsmann an.
Mit Todesverachtung ritt dieser auf seinen Gegner zu. Als er ihn erreicht hatte und mit der Flinte nach ihm schlagen wollte, verlor er den Halt und stürzte dem Angreifenden direkt in die Klinge. Noch ein ersterbender Schrei von seinen Lippen, und Richard Stineway hatte sein Leben für die Freunde gelassen.
Fernando sah es zuerst. »Da, Senorita, Senor Stineway ist tot«, schrie er auf. Er hatte den langen Engländer gern gemocht, weil er ein gebildeter Mensch war und man mit ihm über viele Dinge sprechen konnte, die Fernando, den ehemaligen Studenten, brennend interessierten und für die er in seiner Umgebung sonst nie einen Partner fand.
Eine ungeheure Wut bemächtigte sich seiner. Er sprang mit seinem Pferd fast auf den Soldaten, der noch damit beschäftigt war, die Klinge aus der Brust des Toten zu ziehen. »Mörder! — Schuft!« brüllte Fernando und schlug ihm den Gewehrkolben erbarmungslos über den Kopf.
Der Getroffene hatte nur einen verwunderten Ausdruck im Gesicht und gab unter den wuchtigen Hieben des Spaniers den Geist auf.
Mittlerweile wogte das Gefecht zwischen Marina, Ernesto und Tscham auf der einen und dem Sergeanten und dessen letztem Mann auf der anderen Seite hin und her. Da verlor der Sergeant, der vor Überanstrengung kaum noch den Arm heben konnte, seinen Degen. Er hatte auf Ernestos Büchsenlauf geschlagen, und durch den Anprall war er ihm aus den Fingern gesprungen.
»Ergib dich, Dick«, rief er dem Soldaten zu, »hat keinen Zweck mehr. Sie sind uns überlegen.«
Da standen sie nun alle und starrten auf ihre Toten. Niemand sagte ein Wort. »Mr. Stineway«, meinte Tscham traurig, stieg ab und kniete bei dem toten Korrespondenten. »So schnell bist du weggegangen. Ich konnte dir nicht einmal meinen Dank sagen für das, was du für mich getan hast.«
Er richtete sich auf und blickte Marina an.
»Er war der erste gute Engländer, den ich gekannt habe.«
»Ihr werdet noch viele kennenlernen«, versuchte ihn die Gräfin zu trösten; aber sie mußte sich selbst zusammennehmen, damit ihr nicht die Tränen aus den Augen rannen. Ernesto und Fernando standen mit ihren Gewehren auf der Schulter neben dem Sergeanten und dem Soldaten.
»Da kommen vier Reiter!« rief Tscham, der zufällig in die Richtung blickte, aus der sie gekommen waren. Alle sahen hinüber.
»Der Oberleutnant « jubelte der Sergeant, biß sich aber im selben Augenblick auf die Lippen. Eine Messerspitze preßte sich gegen seinen Rücken. »Meint Ihr Euern Anführer?« fragte Fernando. »Ja.«
»Gut, dann seid ihr unsere Geiseln. Wir werden mit den Herrschaften verhandeln.«
Der Sergeant lachte in sich hinein. Roach würde sicherlich auf die Bedingungen dieser Kerle eingehen, um sie dann hinterher um so sicherer abzuknallen. — Er machte ein langes Gesicht, als der Trupp heran war. »Miguel!« rief Marina froh.
Es waren der Pfeifer, Jardin und Ibn Kuteiba mit den erbeuteten Pferden. »Ole«, sagte Michel, »wen habt ihr denn da?«
Er lachte und atmete befreit auf. In diesem Augenblick fiel sein Blick auf die Leiche Stineways. Seine Züge verloren ihre Munterkeit. »Mein Gott«, fuhr er fort, »ist er tot?«
Die anderen senkten die Augen. Marina berichtete, was sich zugetragen und wie tapfer der Korrespondent des »Daily Courant« sich in den letzten Minuten seines Lebens gezeigt hatte. »Und was machen wir mit den Gefangenen?« schloß Marina. »Nehmt den Burschen die Waffen ab und laßt sie laufen.« »Aber die Pferde behalten wir doch?« fragte Fernando.
»Nein. Sie sollen auch ihre Klepper wieder haben. Sie müßten sonst zu Fuß bis nach Kalkutta marschieren.« Er wandte sich an die beiden Soldaten: »Begrabt eure Kameraden und macht euch dann aus dem Staube.«
Man nahm ihnen die Waffen ab. Sie suchten nicht lange nach einer geeigneten Stelle für ein Grab. Ein paar Schritte abseits schaufelten sie mit den mitgeführten Feldspaten ein tiefes Loch, warfen die drei Toten hinein und bedeckten sie spärlich mit Sand.
Die anderen kümmerten sich nicht mehr um sie. Nur, als sie gerade aufsitzen wollten, um in die Nacht hinein zu reiten, stand Fernando neben ihnen und riß ihnen die Schaufeln vom Gurtzeug. Schweigend machten er und Ernesto sich daran, ein paar hundert Meter östlich, dort wo der Boden steinig und hart wurde, ein Grab auszuheben.
Jardin suchte Holz und begann, ein Kreuz daraus zu zimmern. Tscham beobachtete ihn eine Weile aufmerksam und beteiligte sich dann an der Arbeit. Und auch Ibn Kuteiba schien es trotz seines anderen Glaubens für keine Schande zu halten, die rohen Enden des Holzkreuzes mit kunstvollen Arabesken zu verzieren. Er war sehr geschickt mit dem Messer und schnitt liebevoll und bedächtig in großen, lateinischen Buchstaben die Worte ins Holz:
Dem tapferen Richard Stineway von seinen Freunden, die er mutig verteidigte.
Darunter schnitzte er dann das Datum des Todestages ein. Es war der siebenundzwanzigste März des Jahres 1778.
Michel wandte sich dann an Marina: »Reitet langsam weiter, Madonna, wenn Stineway seine letzte Ruhestätte gefunden hat.«
»Wollt Ihr Euch schon wieder in Gefahr begeben, Miguel?« Der Pfeifer lächelte.
»Ich möchte meinen guten Freund Ojo nicht gern verlieren. Das versteht Ihr doch?« Sie reichten einander die Hände. Und kurze Zeit später stürmten Michel und Jardin mit einem dritten Pferd davon. Fernando schloß sich ihnen unaufgefordert an. Es war mittlerweile Mitternacht geworden.
31
Ojo lag noch immer wach auf seinem Posten und wagte sich nicht von der Stelle zu rühren. Aber auch Roach machte keine Anstalten, sich niederzulegen. Stunde um Stunde verrann.
Unaufhörlich schimpfte der große Spanier in Gedanken vor sich hin.
Was war nur in diesen verdammten Kerl gefahren? Jeder Mensch mußte doch einmal müde werden.
Ojo jedenfalls war hundemüde. Immer, wenn ihm die Augen zuzufallen drohten, konnte er sie gerade noch im letzten Augenblick, bevor ihn der Schlaf bezwungen hatte, wieder aufreißen. Aber der Abstand, in dem dies geschah, wurde immer kürzer.Es mochte gegen vier Uhr morgens sein, als er vergaß, die Lider wieder zu öffnen. Sekunden später war er fest eingeschlafen und verlor natürlich die Kontrolle über seine Bewegungen.
Adam Roach, noch bleicher im Gesicht als am Abend zuvor, fröstelte und stand auf. Mit langen Schritten ging er auf und ab. Hin und wieder stieß er mit dem Fuß an einen seiner Leute. Aber diese schliefen so fest, daß sie höchstens unwillig brummend ihre Lage ein wenig veränderten. Adam Roach trat zu den drei noch immer an die Bäume gefesselten Soldaten. Der, dem er in seiner Wut den ersten Schlag ins Gesicht versetzt hatte, starrte ihn mit weit aufgerissenen glasigen Augen an.
Unberührt von dem gebrochenen Blick, gab ihm der Oberleutnant zwei leichte Ohrfeigen. Der Kopf des Unglücklichen fiel haltlos von links nach rechts. Er war tot.
Roach zuckte die Achseln und wandte sich wieder ab. Was lag am Leben eines solchen Kerls? Er, Roach, hatte Schlimmeres eingebüßt. Und das waren die Majors-Schulterstücke. Als junger Leutnant war er zur Ostindien-Kompanie gekommen. Nie hatte er Wärme im Kreis seiner Kameraden gefunden oder verbreitet. Jeder war froh, wenn er nichts mit ihm zu tun hatte. Alle mieden ihn. Er hatte sich in die Provinz versetzen lassen, hatte indische Aufstände bekämpft, hatte seine Haut bei jeder Gelegenheit zu Markte getragen. Nach sechs Jahren konnten seine vorgesetzten Dienststellen nicht umhin, ihn zum Oberleutnant zu befördern. Sechs Jahre als Leutnant herumzulaufen, war bei der Knappheit der Offiziere in der Ostindien-Kompanie schlimmer, als eine Festungshaft hinter sich zu haben. Und nun hatte der Majorsrock gewinkt.