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Ruhelos ging er weiter. Plötzlich stutzte er. Was war das? Seine Soldaten lagen mindestens zehn Meter von ihm entfernt. Aber es hatte sich angehört, als schnarche hier jemand ganz in der Nähe. Da war es wieder.

Es kam vom Waldrand her. Sollte sich einer der Seinen ins Gebüsch gelegt haben? Er ging dem Geräusch nach, das sich jetzt in regelmäßigen Abständen wiederholte. Dann stand er vor dem Busch, in dem Ojo lag. Beim Eindringen stieß er ein paarmal mit dem Stiefel gegen Wurzeln, daß es einen dumpfen Klang gab.

Und obwohl Ojo sonst stets wie ein Toter schlief, war doch diesmal sein Unterbewußtsein auf die ungewöhnliche Lage eingestellt.

Er riß die Augen auf und dachte, daß sie ihm eben erst zugefallen sein müßten. Aber da erblickte er die Gestalt des Oberleutnants zum Greifen nahe vor sich. Roach schrie ihn auch sofort an: »Was tust du hier, wer bist du?«

Ojo verstand ihn natürlich nicht. Aber sein Gefühl sagte ihm, daß drohende Gefahr im Anzug war.

Er schnellte auf, packte mit seinen Riesenpranken den anderen und zischte auf spanisch: »Schweig. Sonst drehe ich dir den Hals um.«

Das nun wiederum verstand Roach nicht; aber er war intelligent genug, um an der spanischen Sprache zu erkennen, wen er vor sich hatte. Der Kerl gehörte sicher zu denen, die er suchte. Diese Erkenntnis verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Wandte sich ihm nun das Glück doch noch zu? Er holte mit der rechten Faust aus und schlug sie mitaller Kraft gegen Ojos Brust. Der aber schüttelte sich nur, zwinkerte mit den Augen und drückte fester zu. Roach sah ein, daß er diesem Gegner nie und nimmer gewachsen war. »Alarm!« schrie er aus Leibeskräften. »Alarm!« Einige seiner Leute taumelten schlaftrunken hoch.

»Du verflixter Kerl«, schrie Ojo laut. »Jetzt hat deine letzte Stunde geschlagen.«

Mit seiner Last in den Fäusten schnellte er aus dem Gebüsch auf den freien Plan, packte mit der Linken den Oberleutnant, holte mit der Rechten aus und setzte ihm seine Faust mit solcher Wucht unters Kinn, daß er zehn Schritte weit flog und inmitten seiner Soldaten bewußtlos liegen blieb.

»Was ist?« »Was ist los?« »Was gibt es?«

Aus dem Mund der Wachwerdenden kamen nach und nach schläfrig diese Fragen. Im Osten lichtete sich das Dunkel.

Ojo war sich keine Sekunde über die Gefahr im unklaren, in der er schwebte. Er konnte es unmöglich mit zwanzig wachen Leuten aufnehmen. Und es würde nur noch Augenblicke dauern, bis die ganze Gesellschaft wußte, woran sie war.

Ojo hob sein Gewehr auf und sprang dann mitten unter die Soldaten, die er samt und sonders um Haupteslänge überragte.

»Werft die Waffen weg«, donnerte sein Baß.

Aber sie verstanden ihn nicht. Jetzt erwachten auch die hartnäckigsten Schläfer. Einer, der sich soeben erhoben hatte, nestelte am Hahn seines Gewehrs herum. Das entging Ojos Augen nicht. »Maldito«, fluchte er, »jetzt wird's brenzlig. Wenn nicht augenblicklich etwas geschieht, bin ich erledigt.«

Es geschah etwas. Ojo hätte hinterher nicht mehr zu sagen vermocht, ob er es gewollt hatte. Verzweiflung und rasende Angst ließen ihn das Gewehr hochreißen, es beim Lauf packen und wie ein Berserker um sich schlagen. Dabei brüllte er wie ein Orang-Utan. Die Soldaten sahen nur ein dunkles, bärtiges Gesicht, in dem das Weiß der Augäpfel gespenstisch leuchtete. Zwei — drei — vier brachten den Mut auf, ihre Bajonette zu ziehen, um ihn anzugreifen. Dadurch kamen sie in die Schußlinie der hinter ihnen befindlichen Kameraden, welche die Situation langsam begriffen. Als sie gegen Ojo anrannten, stürzten sie, von seinen fürchterlichen Hieben getroffen, wie vom Blitz getroffen zu Boden.

Ojo hatte den Überblick verloren. Seine Augen sahen Köpfe, sahen andere Augen, erfaßten die drohenden Blicke der Soldaten. Einer stampfenden und keuchenden Maschine gleich hieb Ojo seinen Gewehrkolben auf jeden Kopf, den seine Augen wahrnahmen. Wahllos schlug er zu. Seine Stiefel trampelten über die Leiber der Gestürzten hinweg.

Keine fünf Minuten währte der Kampf. In blinder Wut schlug Ojo weiter um sich, bis er auf einmal feststellte, daß niemand mehr Widerstand leistete. Er hielt inne und ließ erschöpft das Gewehr sinken. Sein Brustkasten wogte. Er blickte um sich. Was war das?

Erstaunt glitten seine Augen über zwanzig am Boden liegende Gestalten, die sich nicht rührten. Er zwinkerte. Narrte ihn ein Trugbild?

Er bückte sich und zog den ihm am nächsten Liegen-den zu sich empor. Erschrocken ließ er ihn fahren, als er die gräßliche Kopfwunde gewahrte. Die Schädeldecke klaffte auseinander. »Santa Maria, Madre de Dios«, stöhnte er jetzt und wandte sich dem nächsten zu. Auch hier blickte er in gebrochene Augen. Beim nächsten das gleiche, und immer wieder das gleiche. Ojo fuhr sich nach der Stirn. Träumte er? Er taumelte zurück.

»Ha — — habe — — ich sie all — — alle erschlagen?« murmelten seine Lippen.

Da bewegten sich zwei. Sie richteten sich langsam auf. Ihre verstörten Blicke fielen auf die toten oder schwer verwundeten Kameraden. Dann blieben sie an Ojos Gestalt hängen.

Ojo sah sie. Ein tiefer Atemzug entrang sich seiner Brust.

»Lebt ihr?« fragte er und ging auf sie zu.

Die beiden sprangen wie von einer Feder geschnellt auf, starrten ihn entsetzt an, wandten sich dann um und liefen schreiend davon. Ein einziger Mann, der zwanzig Soldaten niedergekämpft hatte, das mußte der Satan persönlich sein.

Ojo blieb stehen. Wieder beugte er sich zu einem nieder und berührte ihn. Ein Stöhnen sagte ihm, daß auch dieser noch lebte.

Wie ein Blitz durchzuckte ein Gedanke sein Gehirn. Dieser Arme hier, ihm sollte geholfen werden. Ojo dachte an den Weinschlauch hinter dem Sattel seines Pferdes. Er hängte sich die Flinte um und brach wie ein Eber durch das Unterholz, bis er den Platz erreichte, auf dem die Pferde standen. Er machte sich daran, den Weinschlauch abzuschnallen, hielt dann aber in dieser Bewegung inne. Wenn er jetzt schon hier war, wäre es sicher am gescheitesten gewesen, gleich alle Pferde zu nehmen. Gedacht, getan.

Nach zehn Minuten erreichte er mit den stampfenden und wiehernden Gäulen den Waldrand. Jetzt nahm er den Schlauch und ging zu dem Soldaten, in dem vorhin noch Leben war. Vorsichtig richtete er ihn auf, um ihm ein paar Schlucke des kühlen Weins einzuflößen. Aber da sah er, daß seine Hilfe zu spät kam. Auch dieser hatte seinen Geist aufgegeben. Ojo saß da und hatte Tränen in den Augen. Es war ihm ein furchtbarer Gedanke, so viele Menschen totgeschlagen zu haben. Aber was wäre geschehen, wenn sie ihn erwischt hätten? Er stutzte.

Hatte sich da nicht etwas bewegt? Er sah genauer hin. Ja, dort rappelte sich einer hoch. Es war Roach. Er hatte sich von seiner Ohnmacht erholt.

Er blickte um sich. Er glaubte zu träumen. Dann, als sein schweifender Blick auf Ojo fiel, riß er die Augen weit auf und starrte den Spanier an. Langsam, Millimeter um Millimeter nur, führte er seine Hand zum Gürtel, wo die Reiterpistole steckte. Mit plötzlichem Ruck riß er sie heraus und drückte ab.

Ojo hatte instinktiv reagiert. Er ließ den Schlauch fahren, riß den Toten hoch, der neben ihm lag, und deckte sich damit. Die beiden Kugeln wurden durch diesen grausigen Schild abgefangen.

»Hinterlistiger Hund«, schrie Ojo, sprang auf und stürzte sich auf Roach. Er hatte schon die Fäuste erhoben, um sie dem Oberleutnant auf den Schädel zu schmettern, besann sich aber im letzten Augenblick eines anderenund packte ihn bei Jacke und Hosenbund. Dann schleppte er ihn dorthin, wo die drei Mißhandelten noch immer an den Bäumen hingen, und band Roach an den nächsten.