Dann wandte er sich der Stelle zu, wo der Wein langsam aus dem Schlauch auf den Boden floß. Den Rest, der noch verblieben war, etwa die Hälfte, trank er mit einem gewaltigen Zug, ohne abzusetzen, aus.
Der Schlauch entglitt seinen Händen. Der schwere, gequälte Kopf sank ihm auf die Knie. Und dann war er inmitten der von ihm erschlagenen Feinde eingeschlafen.
32
Der Pfeifer, Jardin und Fernando hatten einen scharfen Ritt hinter sich.
»Es muß bald Tag werden«, sagte Jardin. Zittern war in seiner Stimme.
Je näher sie dem vermutlichen Ziel kamen, mit um so bangerer Sorge dachte er an den langjährigen Freund.
Der Pfeifer hatte die Lippen zusammengepreßt. Ihn mochten die gleichen Gedanken bewegen.
Als die Nacht dem neuen Tage wich, meinte er:
»Wir haben genug Pferde. Holt aus ihnen heraus, was möglich ist.«
Er stieß seinem Hengst die Sporen in die Weichen, was er noch nie getan hatte. Das Blut sprang aus den Flanken des Tieres, und es schoß jetzt mit gesteigerter Schnelligkeit dahin. Jardin und Fernando vermochten ihm kaum zu folgen.
Weit konnte es nicht mehr sein. War dieses Waldstück da vorn nicht der Schauplatz ihrer gestrigen Tat?
Weiter und weiter stürmten die Reiter.
Auf einmal zügelte Michel sein Pferd. Gedankenschnell hatte er sein Fernrohr vor das rechte Auge gebracht und blickte hindurch.
»Por Dios«, entfuhr es ihm. »Was ist denn das?« Rote Flecken lagen wie große Tupfen auf dem Grasstreifen zwischen Wald und Sandebene. »Was gibt es?« fragte der Kleine aufgeregt.
»Ich weiß es auch nicht. Sieh dir das an.« Er reichte ihm das Fernglas. »Sie schlafen«, sagte Jardin. Auch Fernando blickte hindurch.
Allen dreien fehlte die Erklärung für das von hier aus so friedlich scheinende Bild. »Reiten wir Schritt, damit wir die Burschen nicht durch den starken Hufschlag der galoppierenden Pferde zu früh wecken.« Langsam kamen sie näher.
Da wieherte Jardins Pferd. Sie hielten an und warteten auf die Wirkung. Michel hatte den Finger am Abzug. Aber nichts rührte sich. »Zu komisch«, bemerkte Fernando.
Ihre Augen wurden starr, als sie neben den Erschlagenen standen. Die Pferde scheuten vor den Toten.
»Diaz«, schrie Jardin auf, als er seinen Freund zwischen ihnen liegen sah. Mit einem Satz war er vom Pferd und eilte zu der vermeintlichen Leiche. Aus Michels Gesicht war jegliche Farbe gewichen.
»Armer, treuer Diaz«, flüsterte er in seiner Muttersprache. »Mußtest du so enden?« Auch er glitt aus dem Sattel.
Links und rechts knieten sie neben dem Gefährtenvieler Abenteuer. Michel riß ihm das Wams auf und preßte sein Ohr an die breite Brust. Seine Züge verloren ihren bedrückten Ausdruck. »Er lebt«, stellte er aufatmend fest.
In diesem Augenblick brummte Ojo unwillig im Schlaf, wobei er leicht die Lippen öffnete. Starker Weingeruch strömte ihnen aus Ojos Mund entgegen.
»Ha«, lachte Jardin. »Hahahahaha.« Er lachte plötzlich, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen. »So ein verdammter Kerl, so ein Säufer! Und dann sucht er sich noch einen solchen Platz aus, um seinen Rausch auszuschlafen.«
Michel hatte indessen die Umgebung näher ins Auge gefaßt. Sein Blick fiel auf die an die Bäume Gefesselten. Haßvolle Augen begegneten ihm. Roach zerrte wie ein Wahnsinniger an seinen Fesseln. Unberührt von dem Ausbruch des Oberleutnants ging Michel auf ihn zu. »Guten Morgen«, sagte er trocken.
»Das wird euch teuer zu stehen kommen«, fuhr ihn Roach an. »Uns? Was denn?«
»Glaubt ihr vielleicht, ihr könntet ungestraft einen ganzen Zug regulärer Soldaten ermorden?« »Ihr redet irre«, sagte Michel. »Als wir euch gestern abend verließen, lebtet ihr noch. Ihr habt doch mit eigenen Augen gesehen, daß wir soeben erst wiederkamen. Es ist ein wahres Wunder, daß unser Freund dieses Gemetzel überlebt hat. Wer hat Eure Leute ermordet?« Roach lachte wie ein Irrsinniger.
»Daß Euer Freund es überlebt hat--haha--überlebt hat--er ist es doch gewesen, der sie totgeschlagen hat wie tolle Hunde!« Michel starrte ihn an.
»Was denn? Wie denn? Habt ihr ihn nicht gefangen und seid dann später von anderen überfallen worden?«
Adam Roachs Gesicht verzerrte sich zu einer teuflischen Fratze.
»Er hat uns überfallen«, schrie er. »Vor einer Stunde lebten sie alle noch. Und jetzt sind sie tot. — Tot — tot! Er hat gewütet wie ein Berserker. Schöne Freunde habt Ihr! Und dann hat er sich besoffen. Eine Ausgeburt der Hölle ist er. Ein Sohn des Teufels!«
»Kommt zu Euch«, fuhr ihn Michel an. »Ihr redet Unsinn. Ein Mann kann nicht zwanzig bewaffnete Soldaten erschlagen.«
»Er hat's aber doch getan! Er hat's getan! Prügelt ihn wach und fragt ihn selbst, das Untier!« Michel wandte sich ab. Er bedeutete seinen Freunden, die toten Soldaten zu begraben. Es war ein schweres Stück Arbeit, ohne Werkzeuge ein vorläufiges Grab zu machen. Spät am Nachmittag erst waren die Gefallenen unter der Erde. Michel ging hinüber zu dem Baum, an dem noch immer Adam Roach hing.
»Wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr nichts mehr gegen uns unternehmen werdet, so nehme ich Euch die Fesseln ab.«
»Ja, ja«, schrie Roach. »Es ist unmenschlich von Euch, mich hier so lange hängen zu lassen!« Michel deutete mit einer Bewegung seines Kopfes auf die drei angebundenen Soldaten, von denen der eine tot war, was er aber jetzt erst bemerkte, und sagte : »Hat die auch unser Freund gefesselt?« Roach antwortete scharf:
»Das geht Euch nichts an. Ihr habt Euch nicht über Disziplinarstrafen aufzuhalten, die ich verhänge.«
»Wieso ist der mittlere tot?« fragte Michel. »Fragt Euren Freund, er weiß es besser als ich.«
Die beiden Lebenden hatten bis jetzt furchtsam geschwiegen. Nun aber widersprachen sie laut. »Er lügt, Sir. Er hat ihn selbst erschlagen, nachdem er schon am Baum hing.« »Das dachte ich mir«, sagte Michel. »Wie ist das nun, soll ich Euch losbinden? Gebt Ihr mir Euer Ehrenwort, daß Ihr Euch ruhig verhaltet, bis ich Euch gehen lasse?« »Ja«, preßte Roach heraus.
Michel befreite zuerst die beiden Soldaten.
»Begrabt euern toten Kameraden«, sagte er. Dann schnitt er Roach los. Der dehnte und streckte sich und war nach wenigen Minuten wieder der alte.
Endlich kam Ojo zu sich. Michel, Jardin und Fernando hockten sich neben ihn. Ihre Augen hingen an den Lippen des langsam zu sich kommenden Ojo.
»Demonio«, brummte er, »was habe ich für Kopfschmerzen! Und was für verrücktes Zeug habe ich geträumt!«
»Was denn?« fragte Jardin mit sanfter Stimme.
»Ich habe alle Soldaten totgeschlagen, die uns gestern verfolgten. Ein entsetzlicher Traum.« Er blickte sich um. Er sah keine Leichen und atmete befreit auf. »Hm«, sagte Michel. »Erzähl mal genau, was du geträumt hast.«
Ojo griff sich an den Kopf und stöhnte. Und dann berichtete er die Einzelheiten seines Kampfes. Plötzlich unterbrach er sich mit einem Aufschrei. Sein Blick war auf Roach gefallen. Die Soldaten, die ihren Kameraden begruben, befanden sich in seinem Rücken. »Das ist er ja«, rief er und schnellte hoch.
Roach, der nichts anderes dachte, als daß Ojo sich jetzt auf ihn stürzen würde, nahm eines der umherliegenden Gewehre auf, legte an, zielte und drückte ab. Es gab nur einen kurzen Knack. Entweder war kein Pulver auf der Pfanne, oder es war feucht geworden. Michel fuhr herum und stand mit zwei Schritten neben ihm.
»Seid Ihr verrrückt?« Er holte aus und versetzte ihn mit einem Faustschlag ins Land der Träume. »Ich habe einen Vorschlag«, sagte Fernando, »wie wir den Kerl am schnellsten loswerden. Wir setzen ihn auf ein Pferd, binden ihm die Füße zusammen und jagen ihn davon. Später, wenn er uns nicht mehr gefährlich werden kann, mag er sich die Fesseln wieder abbinden.« Michel zögerte noch mit seiner Zustimmung, aber Fernando und Jardin gingen sofort an die Ausführung des Vorhabens. Sie wählten ein ausgeruhtes Pferd aus. Und als der bewußtlose Roach darauf festgebunden war, zog Fernando dem Tier die Peitsche über, daß es mit einem hellen Wiehern davonstob. »Den sind wir los.«