»Diaz«, sagte Michel zu Ojo, »du hast sie also wirklich alle erschlagen, einen ganzen Zug bewaffneter Soldaten allein erschlagen?«
»Si, Senor Doktor. Ich wollte es nicht.« Er brach in Schluchzen aus, das seinen ganzen Körper erschütterte. »Nein, ich wollte es nicht, bestimmt nicht. Heilige Mutter Gottes, vergib mir.« Es dauerte lange, bis ihn die anderen beruhigt hatten.
»Wir wollen aufbrechen«, sagte Michel. »Marina hat fast einen ganzen Tag Vorsprung. Die Gefahr ist beseitigt. Wir werden ja nun endlich unangefochten unsere Schiffe erreichen können.« Den beiden Soldaten gaben sie zwei Pferde und etwas Geld und machten ihnen klar, daß sie sich allein nach Kalkutta durchschlagen müßten.
»Vielleicht holt ihr euern Oberleutnant ein«, sagte Michel. »Dann richtet ihm aus, daß Menschenjagd ein Verbrechen ist. Und Verbrechen machen sich nicht bezahlt.« -
Ein paar Tage später feierten sie Wiedersehen auf der »Trueno«. Alle hatten sich wohlbehalten eingefunden. Die Schiffe setzten am nächsten Morgen die Segel. Die Fahnen wehten über den Toppen. Marina hatte die der »Trueno« auf Halbmast setzen lassen.
»Zum Gedenken an Richard Stineway«, sagte sie ernst, »den tapferen Zeitungsmann.« —
33
Die Banda-Inseln sind ein kleiner Archipel, der in der Banda-See zwischen 3° 50' östlicher Länge und 4° 40' südlicher Breite liegt. Zu diesem Archipel gehören die Hauptinseln Lontor, die auch Großbanda genannt wird, und Neira oder auch einfach nur Banda, ferner die kleinen, teilweise unbewohnten Inseln Run, Ai, Resengain, Gunung-Api und ein paar ganz kleine ohne jegliche Bedeutung. Alle Eilande bestehen aus vulkanischem Gestein, manche erheben sich hoch über den Meeresspiegel und weisen fast durchweg schroff abfallende Steilküsten auf. Häufig treten hier, wie auf allen Inseln Ozeaniens oder der Südsee, schwere Erdbeben auf, die zuweilen die ganze Gestalt der Insel verändern.
An sich sind diese Inseln ganz unwichtige Landteilchen unserer Erde. Aber es gab eine Zeit, da wurden Kriege um ihren Besitz geführt, Mord und Totschlag, blutige Fehden und Grausamkeiten waren gang und gäbe.
Das hatte seinen besonderen Grund. Der größte Reichtum der Banda-Inseln sind nämlich die Muskatnußbäume. Einst mußte alle Welt die Muskatnüsse von dort beziehen. Die Niederländische Ostindien-Kompanie hatte das Monopol darauf und rottete in ihrem Bereich sogar Muskatnußbäume aus, um die Weltmarktpreise hochzutreiben. Die Banda-Inseln wurden im Jahre 1511 von den Portugiesen entdeckt. Aber schon 1599 nahmen die Niederländer davon Besitz. Zehn Jahre später begann Coen, die etwa fünfzehntausend Eingeborenen der Inselgruppe blutig und grausam auszurotten. Einige von diesen konnten fliehen und siedelten sich auf den Kai-Inseln an. Die meisten aber fielen dem Konquistadorenwahnsinn der damaligen holländischen Eindringlinge zum Opfer. 1657 gab es praktisch keine Eingeborenen mehr. Die Niederländer, denen es nunmehr an Arbeitskräften mangelte, führten Sklaven ein, um ihre Muskatnußplantagen pflegen und bestellen zu können.
Am 1. Januar 1860 erst wurde die Sklaverei aufgehoben.*
Die Sklaven auf der Muskatnußplantage von Mynheer Jan van Groot arbeiteten singend und tauchten die braunen, dünnbeschalten Muskatnüsse im Takt in eine große Kalkwanne. Vier, fünf weitere Takte lang ließen sie die begehrten Früchte in der dünnflüssigen, weißen Masse. Dann kam das Kommando eines Vorarbeiters: »Fertig! — Genug!«
Eifrig fischten die braunen, schwarzen oder gelbenMänner nach den gekalkten Nüssen und legten sie auf einen Rost zum Trocknen in der Sonne. Die nächste Ladung kam. Der Vorgang wiederholte sich.
Es war an sich keine schwere Arbeit. Aber die südliche Sonne brannte, und eine ganz bestimmte Menge von Nüssen mußte gekalkt werden.
Die Früchte, deren Kern die Muskatnüsse bilden, wachsen auf dem etwa zehn bis zwölf Meter Höhe erreichenden Muskatnußbaum. Der Baum hat lederartige, sechzehn bis achtzehn Zentimeter lange ganzrandige Blätter, kleine, unansehnliche Blüten und trägt zur Zeit der Reife fleischige, birnenförmige Früchte in der Größe von Pfirsichen. Diese Früchte springen, ähnlich wie Kastanien, zur Reifezeit auf. In der Mitte des herben Fleisches, das man nur unter Verwendung von sehr viel Zucker eingekocht genießen kann, liegt der nußartige Samen, der von dem sogenannten Arillus umgeben ist. Wenn man diesen orangefarbenen Samenmantel abschält, stößt man erst zum eigentlichen Kern durch, einer dünnen, harten Schale, die ein aromatisches, braun-weiß gefärbtes Nährgewebe umschließt. Das Gewebe mit der Schale ist die als Muskatnuß in den Handel kommende Ware. So ein Baum trägt im fünfzehnten Jahr seines Lebens am besten, etwa tausendfünfhundert bis zweitausend Früchte. Er kann sechzig bis achtzig Jahre alt werden. —
»Schluß!« rief der Aufseher jetzt.
Die Sonne neigte sich schon weit nach Westen. Wenn sie untergegangen war, ging die Trocknung der Kalkhülle nur langsam vonstatten. Man ließ die Nüsse niemals über Nacht draußen liegen; denn mit dem Kalken war noch nicht alles getan. Die nunmehr weißen Muskatnüsse mußten vor allen Dingen noch mit einer besonderen Leimlösung bestrichen werden. Die Kalkung diente nur dazu, Insekten und Schädlinge abzuhalten. Die endgültige Leimhülle aber tötete den Keim ab, so daß die Nußbaumsamen niemals mehr ausschlagen konnten. Es war also unmöglich, auf diese Weise behandelte Muskatnüsse zum Säen in anderen Teilen der Erde zu benutzen.
Auf dieser Leimschicht beruhte der Reichtum der holländischen Pflanzer. Durch sie hatten sie sich ein Monopol geschaffen. Jedes Land, das Muskatnüsse als Speisegewürz haben wollte, war gezwungen, die Nüsse von der Niederländischen Ostindien-Kompanie zu kaufen. Die Holländer verstanden ihr Geschäft.
Die Sonne ging unter. Die Sklaven sammelten die gekalkten Nüsse in große Körbe und schafften sie zur Lagerbaracke.
Dort gab es eine Waage. Ein anderer Aufseher wog den Inhalt eines jeden Korbes aufs Gramm genau. Man konnte das Mehrgewicht später, wenn die Nüsse geleimt waren, genau berechnen. Dadurch war es für die Arbeiter nicht einfach, ungeleimte Nüsse zu stehlen. Jeder einzelne erhielt einen Leimtopf und einen breiten Pinsel. Er hockte sich nieder und begann die mühselige Arbeit. Die Nüsse mußten, Stück für Stück, mit Leim bestrichen werden. Stunde um Stunde verrann. Wer fertig war, durfte seine Palmblätterhütte aufsuchen. Zuletzt saß nur noch ein Mann vor seinem Korb. Der Boden war noch vollständig mit weißen Nüssen bedeckt.
»Verdammt, du Faulpelz, beeil dich«, schimpfte der Aufseher. »Meinst du, ich will mir deinetwegen die ganze Nacht um die Ohren schlagen?«
»Ja, Mynheer«, sagte der Sklave, ein kräftiger Malaie von etwa vierzig Jahren, gelassen und arbeitete mit der gleichen Ruhe weiter.
»Braunes Lumpenpack«, sagte der Aufseher wütend, »faule Bande.« »Ja, Mynheer«, war die gleichgültige Antwort.
»Ja, Mynheer — — ja, Mynheer«, äffte ihn der Aufseher, der zugleich Inspektor der Plantage war, nach. »Jeden Abend bist du der letzte. Wenn du so weitermachst, werde ich dir die Feldaufseher auf den Hals hetzen. Vielleicht hilft das.« »Ja, Mynheer«, sagte der Sklave.
Hans Hagemann, ein Deutscher, den ungünstige Weltwinde in die Südsee verschlagen hatten, wandte sich brummend ab.
»Geh zum Teufel, Mutatulli«, brummte er vor sich hin. »Möchte wissen, bei welcher Großmutter ihr alle das Arbeiten gelernt habt.«
Mutatulli ließ für einen Augenblick den Pinsel sinken. Etwas wie Zorn blitzte in seinen intelligenten Augen.
»Ich war ein Häuptling«, sagte er selbstbewußt. »Bei uns ist Arbeit Sache der Weiber.« Sein Holländisch war ausgezeichnet. »Die weißen Männer sind in unser Stammesgebiet eingebrochen und haben Sklaven gejagt. Und nun verlangen sie auch noch, daß ich mit dem gleichen, mir widerwärtigen Eifer arbeiten soll wie sie selbst.«