Mutatulli hegte den Plan, eines Tages auf und davon zu gehen. Dazu aber brauchte er Geld; denn sein Weg würde durch die Ansiedlungen von Weißen führen. Aber nicht nur die Weißen wollten für Gegenleistungen Geld, sondern auch die halbzivilisierten Eingeborenen gewährten keine Gastfreundschaft mehr ohne Bezahlung.
Der Häuptling grub jetzt neben seiner Feuerstelle in der Erde. Bald brachte er einen Lederbeutel zum Vorschein, der schwer in seiner Hand wog.
In Banda tauchten oft ausländische Kaufleute auf, die so taten, als wollten sie mit den Holländern Geschäfte machen. In Wahrheit aber trachteten sie danach, unge-leimte Muskatnüsse in die Hände zu bekommen. Überall in der Welt zahlte man hohe Preise für lebenden Muskatnußsamen, der zu Keimlingen werden konnte. Die Kaufleute zahlten Bestechungssummen an jeden, der ungeleimte Nüsse herbeischaffte. Und Mutatulli war zur Zeit wohl der einzige, der den Diebstahl wagte.
Wurden die Sklaven auch im allgemeinen human behandelt, so hörte bei den Pflanzern und auch bei den Beamten der Kompanie jedes menschliche Empfinden auf, wenn jemand versuchen wollte, das Muskatnußmonopol zu brechen. Aus jeder zweiten ungeleimt verkauften Nuß wurde irgendwo in der Welt ein ganzer Baum. Die Folge davon war, daß der Preis fallen mußte. Man kannte also kein Erbarmen für Muskatnußdiebe. —
Mutatulli öffnete den guldenschweren Beutel und fügte die Summe, die er vor drei Tagen von Hassan erhalten hatte, hinzu.
Noch fünf, sechs Pfund würde er entwenden müssen, um dreihundert Gulden zu besitzen. Damit konnte er bei großer Sparsamkeit die Reise in sein Stammesgebiet antreten. Er vergrub den aufgefüllten Beutel wieder an derselben Stelle. Dann verließ er seine Hütte und schlich zur Küste, wo er sich, hinter einem Gebüsch verborgen, daran machte, den zur Flucht von den Inseln benötigten Baumstamm in unermüdlicher Arbeit auszuhöhlen. Sein einziges Werkzeug war ein Messer, das er sich vom Ertrag seines ersten Diebstahls gekauft hatte. Zwei Jahre arbeitete er bereits an dem Einbaum. Bald hoffte er fertig zu sein. Sonst brannte man die gröberen Teile einfach aus dem Baum; aber der Häuptling konnte es nicht wagen, hier ein Feuer zu entfachen. Und so mußte das Messer genügen. Die Ausleger waren schon lange fertig. Sie brauchten nur noch am Fahrzeug vertäut zu werden.
35
Der Abend des Montags kam. Mutatulli hielt Hagemann scharf im Auge. Als der letzte Sklave seine Nüsse zur Kontrolle auf die Waage gestellt hatte, saß der Häuptling noch immer vor seinem Korb und handhabte den Leimpinsel.
Hagemann beschloß, es heute genauso zu machen wie schon so oft. Er gähnte laut. »Beeil dich, Kerl«, fuhr er den Eingeborenen an. »Ich bin müde. Ich will nach Hause.« »Ich kann nicht schneller«, murrte Mutatulli. »Ihr wißt, Mynheer, daß ich nicht so arbeiten kann wie die anderen. Bei uns machen das die Weiber.«
»Ja, ja, ich kenne diese Litanei. — Los, mach zu! Hier hast du keine Weiber, die die Arbeit für dich verrichten. Hier mußt du sie selber tun. Wenn das Abend für Abend so weitergeht, dann lasse ich deine Brotration kürzen.« »Ja, Mynheer«, sagte Mutatulli.
Bald war er fertig. Wie immer schaufelte er die Nüsse auf die Waage. Aber heute wartete er vergeblich auf das Abwinken Hagemanns. Der griff nach den Gewichten.
Eine Sekunde zögerte Mutatulli. Dann griff er in die Falten seines Hemdes und schüttelte unter lautem Husten ein Säckchen ungeleimte Nüsse dazu.
Hagemann tat, als habe er es nicht bemerkt.
»Stimmt«, sagte er. »Wirf die Nüsse auf den Rost.«
Er wandte sich einem kleinen Tischchen zu und machte Eintragungen in seine Bücher.
Der Häuptling beschäftigte sich mit der Schichtung der Nüsse. Immer wieder streifte sein Blick den Inspektor.
Nuß um Nuß las Mutatulli aus dem Haufen. Sein Säckchen füllte sich wieder. Ein paar konnte er nicht mehr finden. Aber fünfzehn Gulden würden auch diesmal herausspringen. Er war fertig und wandte sich zur Tür. »Warte mal«, sagte Hagemann freundlich.
Mutatulli bemerkte das gefährliche Glitzern in den Augen des Weißen. Am liebsten wäre er mit einem Sprung in die Nacht entwischt. Aber noch war es zu früh zur Flucht. Sein Einbaum war zwar schwimmfähig; aber die Ausleger waren noch nicht angebracht. Bei dem geringsten Sturm auf offener See würde er umschlagen. »Was wollt Ihr, Mynheer?« Hagemann trat näher heran.
»Ich möchte die ungeleimten Muskatnüsse haben, die du in deinem Hemd versteckt hast.« Die Farbe wich aus Mutatullis Gesicht. Mit einem Satz war er an der Tür. Er stieß sie auf und — — starrte in die Flintenläufe von zwei bewaffneten Aufsehern. Hagemann befahclass="underline"
»Nehmt den Kerl in die Mitte ! Wir gehen zu Mynheer van Groot.«
Die Aufseher, übrigens ebenfalls Eingeborene, packten Mutatulli und zerrten ihn ins Freie. Sie machten sich ein besonderes Vergnügen daraus, ihn hart anzufassen; denn sie konnten den Häuptling, der sie seit je verachtet hatte, nicht leiden. »Los«, sagte Hagemann, »folgt mir.«
Sie gingen durch die Baumreihen auf dem kürzesten Weg zum Haus des Pflanzers. Hagemann trat über die Veranda in den Flur und klopfte an die Tür des Wohnraums.
Katje van Groot öffnete. Ihr Blick fiel auf die drei Gestalten hinter ihm, deren Umrisse man gut erkennen konnte.
»Guten Abend, Juffrouw Katje«, sagte Hagemann verlegen. »Guten Abend, Mynheer Hagemann, wen bringt Ihr denn da?« »Ist Euer Vater zu Hause, Juffrouw Katje?
»Ja. — Aber habt Ihr so Wichtiges, daß wir ihn jetzt stören müssen? Er sitzt über den Büchern.« »Hm, nun, ich kann Euch sagen, weshalb wir Mutatulli abgeführt haben. Er hat ungeleimte Muskatnüsse gestohlen; aber ich habe ihn erwischt.« »Oh, das ist natürlich wichtig! Wartet einen Augenblick.«
Hagemann drehte seinen Hut zwischen den Fingern. Die Wächter grinsten.Katje kam mit ihrem Vater, Jan van Groot, aus einem Nebenzimmer in den Wohnraum. »Bringt den Kerl herein!« donnerte Jans Stimme.
Sie stießen Mutatulli unsanft über die Schwelle, bis ihm die Kante des schweren Bauerntisches Halt gebot.
Jan van Groot war ein großer dicker Mensch. Seine blauen Schweinsäuglein lagen tief in den Fettpolstern der Wangen. Er war sauber und mit einer gewissen Eleganz gekleidet. » ,n Abend, Hagemann. — So, Ihr habt den Diebstahl bemerkt?« »Ja, Mynheer van Groot.«
»Heraus mit den Nüssen!« schrie van Groot den Sklaven an.
Der warf einen Blick voller Haß auf den Rotgesichtigen und langte in die Falten seines Hemdes.
Mit herrischer Gebärde warf er den Sack auf den Tisch.
Aber ehe er sich's versah, hatte ihm der Pflanzer ins Gesicht geschlagen.
»Willst wohl noch den Beleidigten spielen, was? Na warte, mein Junge, die Flausen werden wir dir aus-treiben. — Wie seid Ihr auf den Diebstahl aufmerksam geworden, Hagemann?« Hans Hagemann berichtete eifrig von seinem Erlebnis an jenem Abend der vorigen Woche. »Und da habt Ihr bis heute gewartet?« wunderte sich der Pflanzer.
»Ich wußte noch nicht ganz genau, daß es sich wirklich um Nüsse handelte. Ich wollte nicht ungerecht sein. Außerdem hätte dann Aussage gegen Aussage gestanden.«
»Hä?« machte van Groot. »Aussage gegen Aussage? Verdammt will ich sein, wenn ich die Aussage eines dreckigen Malaien gegen die Eure gelten ließe! Ihr habt einen Gerechtigkeitsfimmel, Hagemann. Na, ich kenn' Euch ja. Jetzt ist wenigstens alles klar. Ihr habt den Beweis geliefert, daß der Kerl da Nüsse geklaut hat. Auf frischer Tat ertappt sozusagen. Das genügt.« Er wandte sich an Mutatulli. »Rede, du Hund, wie oft hast du schon einen solchen Beutel gestohlen?«
Mutatulli schwieg.
»Rede!« fuhr ihn van Groot an.