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Marina starrte in die sinkende Sonne. Unvermittelt lachte sie auf.

»Es ist kaum zu glauben, daß man sich von einem Mann wie Euch so unsinnige Vorschläge anhören muß. Mein ganzes Sein drängt zu Euch. Ihr wäret der einzige Mensch, dem ich mich unterwerfen würde. Wie ein Sklave oder wie ein Hund würde ich Euch dienen. Und wenn Ihr mich treten würdet, ich würde Euch die Füße küssen!«

Blitze sprühten aus ihren Augen. Ihre Hände waren um die Reling gekrampft, daß die Knöchel weiß hervortraten. Ihre Lippen zitterten. Es war, als ob sie ein Fieber schüttelte. »Marina«, sagte Michel eindringlich, »kommt zu Euch! Was Ihr da gesagt habt, glaubt Ihr selber nicht.«

»Doch! Doch! Doch!« schrie sie.»Nein«, sagte Michel hart. »Ich habe Euch bereits früher gesagt, daß die Welten, in denen wir leben, zu verschieden sind. Und jedesmal, wenn Ihr außer Euch geratet, bestätigt Ihr das aufs neue.« »Versuchen«, sagte Marina leise, »laßt es uns doch versuchen.«

Michel wandte den Blick ab und starrte aufs Meer hinaus. Was sollte er dazu sagen? Wußte er doch genau, daß dieser Versuch für beide wahrscheinlich den Untergang bedeutete. Ja, er hatte schon lange gespürt, daß auch er Marina liebte. Aber noch hatte der Verstand die Oberhand. Er wollte sich nicht in unlösbare Verwirrungen verstricken, nicht, bevor er sich durch Augenschein davon überzeugt hatte, was mit Charlotte Eck geschehen war. Er war Arzt. Und als solcher mußte er versuchen, Marinas immer größer werdende Verkrampfung zu lösen und ihre Seele zu heilen. Solche Patienten behandelte man am besten durch eine Schockwirkung. Er sammelte sich. Alles in ihm war Wachsamkeit. Mit einem plötzlichen Ruck wandte er sich ihr wieder zu und stieß hart heraus :

»Ich liebe Euch nicht, Marina. Ich werde Euch nie lieben können. Ich muß dies einmal deutlich sagen.«

Marinas Augen wurden groß. Die Iris schillerte. Die Pupillen waren wie zwei Flammen. Dann entspannte sich ihr Gesicht. Ein spöttisches Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie richtete sich zu voller Größe auf, machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Fischblut.«

Dann drehte sie sich um und ließ den Pfeifer stehen.

39

Die »Dimanche« verlangsamte ihre Fahrt, und Kapitän Abu Hanufa al Dinaweri ließ durchwinken, daß Land in Sicht sei.

Michel Baum stand neben Senor Virgen, als der Signalgast die Meldung durchgab. »Wir wollen nicht als Kriegsflotte in den Hafen einlaufen«, sagte Michel. »Ich werde Befehl geben, an allen Schiffen die Kanonenschächte zu verdecken. Sie werden sich, schätze ich, im Hafen genugsam darüber wundern, daß eine Kauffahrteiflottille von drei Schiffen ohne festen Auftrag über die sieben Meere segelt.« Er rief Jardin.

»Gebt den Befehl weiter, alle Kanonenluken zu verdecken, wenn wir in den Hafen einlaufen.« »Si, Senor Doktor. Und welche Flaggen sollen wir setzen?«

»Ja, was für Flaggen«, lachte Senor Virgen. »Auf irgendeine müssen wir uns ja einigen, sonst hält man uns womöglich für Piraten.«

Sie überlegten. Das war wirklich ein Problem. Man mußte bei der Auswahl der Flaggen auf jeden Fall Rücksicht auf das bunte Nationalitätengewimmel der Mannschaften nehmen. Die in Akjab angeworbenen Seeleute stammten aus allen Kulturnationen, setzten sich aber überwiegend aus Engländern zusammen.

»Wenn wir das Georgskreuz wählen, setzen wir uns von vornherein dem Zweifel aus«, sagte Michel. »Ich bin der Überzeugung, daß die Holländer in enger Beziehung zu den Briten stehen, mit denen sie ja schließlich die Herrschaft über Ostindien teilen.«»Nehmen wir doch die Flagge irgendeines kleinen Staates und machen den Leuten weis, daß eben dieser Staat sich anschickt, eine wichtige Handelsmacht zu werden.«

»Das ist nicht schlecht«, stimmte Virgen zu. »Es wird uns nicht schwerfallen, neugierigen Fragern diesen Bären aufzubinden.« »Also welche denn?« fragte Jardin.

»Oh, da habe ich eine Idee«, sagte Michel. »Wir nehmen einfach die preußische. Sie ist schwarzweiß. Sie läßt sich mit ein bißchen Teer und einem weißen Tuch sehr einfach herstellen. Außerdem werden sie die braven Holländer kaum je auf dem Meer gesehen haben. Sie werden unserer Erzählung von der kommenden Seemacht Preußen Glauben schenken müssen.« Alle waren einverstanden. Die Spanier, die Engländer, die Franzosen, Italiener, Irländer und anderen Fahrens-leute, aus denen sich die Mannschaften der drei Schiffe zusammensetzten, hatten wenig von diesem Staat in Mitteleuropa gehört. Deshalb lehnte sich auch niemand gegen die Verwendung der schwarz-weißen Flagge auf. Die meisten kannten sie gar nicht. Die Schiffshandwerker hatten nach Michels Angaben im Nu drei Fahnen hergestellt. Die Schiffe legten sich Bord an Bord und übernahmen die vom Teer noch klebrigen Fahnen. Ein paar Stunden später liefen zur Verwunderung der niederländischen Hafenbehörden drei Schiffe unter den preußischen Farben in den Hafen von Banda ein. Das heißt, sie ankerten vor dem eigentlichen Becken, das gar nicht über genügend Kaianlagen verfügte. Als sich die Boote mit den Kapitänen der Schiffe dem Kai näherten, ließ der aufgeregte Hafenkommandant, ein kleiner, dicker, rotgesichtiger Holländer, seine »Seepolizei« antreten. Die ganze Streitmacht bestand aus acht Mann, von denen jeder einzelne gleichzeitig einen Büroposten im Schiffahrtsamt bekleidete.

Die regulären Truppen in den beiden Forts nahmen von der Ankunft von Schiffen keine besondere Notiz; denn der Verkehr mit den berühmten Muskatnußinseln war ziemlich rege.

Als erster kam der Pfeifer an Land. Ein Schwall niederländischer Begrüßungsworte ergoß sich über ihn. Und obwohl die dem Plattdeutschen ähnelnden Laute vertraut klangen, verstand Michel kein Wort.

»Do you speak English?« fragte er.

»Yes«, strahlte ihn der kleine Dicke an.

»Well«, sagte Michel. »Wir sind die erste staatliche Handelsflotte Preußens und möchten mit Euch Handel treiben. Da wir noch keine erfahrenen Kaufleute sind — Ihr wißt sicher, daß Preußen bisher nicht zu den seefahrenden Nationen gehörte —, so hätten wir gern Ratschläge von erfahrenen Männern, wie ihr Niederländer es zweifelsohne seid.

Mynheer van Straaten strahlte immer mehr. Wenn er Geschäfte witterte, erwachte er aus seinem traumverlorenen Dasein auf der kleinen Insel.

Mynheer van Straaten war nicht nur Hafenkommandant, sondern nebenher auch noch Handelsmakler. Alle großen Geschäfte gingen durch seine Hände. Die Pflanzer waren froh, daß sie sich mit so vertrackten Dingen wie Valutaberechnung, Börsenkursen und Weltmarktpreisen nicht auseinandersetzen mußten. Sie zahlten an Mynheer van Straaten gerne die ansehnlichen Provisionen, die dieser verlangte.

»Willkommen, willkommen«, sagte van Straaten jetzt auf deutsch. »Wenn Sie aus Preußen kommen, so verstehen Sie ja sicher Deutsch«, setzte er weise hinzu.

Der Pfeifer freute sich, wieder einmal die vertrauten Mutterlaute zu vernehmen.

»Haben Sie hier einen Raum, ein Restaurant oder ein Hotel, wo man bei einer guten Flasche Wein verhandeln kann?«

»Oh, ja, natürlich, Herr Admiral«, meinte van Straaten. »Ich werde alle Pflanzer zusammenrufen. Wir können uns dann im Hotel »Den Haag« an einem Abend treffen und die Geschäfte besprechen. Es wird einen Sturm auf der Insel geben, wenn man hört, daß die ganze preußische Handelsflotte nach Banda gekommen ist.«