»Gut«, sagte Michel, »dann berufen Sie Ihre Versammlung für heute abend ein.« »Wollen Sie im Hotel wohnen oder bleiben Sie auf dem Schiff?« »Wir bleiben auf den Schiffen.«
Kurz darauf versammelten sich Kapitän Porquez, Don Hidalgo, Abu Hanufa, Ibn Kuteiba, der kleine Jardin, Ojo, Fernando de Navarra, Ernesto, Tscham und Marina auf der »Trueno« um den Pfeifer.
»Senores«, begann Michel, »wir befinden uns in einer wahrhaft komischen Situation. Um nicht schief angesehen zu werden, müssen wir zu irgendeiner Nation gehören. Ich habe die preußische Flagge gewählt, weil das Land für den Welthandel unwichtig und in den Handelskreisen der seefahrenden Nationen als Partner so gut wie unbekannt ist.Ich habe vor, von dem ganzen verbliebenen Rest unseres Geldes Muskatnüsse zu kaufen und diese als Handelsfracht nach Afrika oder Lateinamerika weiterzuverkaufen. Ich werde gleich jetzt nach dieser Besprechung unbemerkt an Land gehen und mich umhören, wie die hiesigen Preise liegen, damit man uns nicht übers Ohr haut. Ich hoffe, ihr alle seid mit meinem Plan einverstanden. Kapitän Porquez jedenfalls erzählte mir kürzlich, daß im Muskatnußhandel viel Geld zu verdienen sei. Na, und Geld haben wir bitter nötig.«
Die Umstehenden murmelten beifällig. Nur Abu Hanufa meinte auf arabisch: »Wie soll man mich, bei Allah, für einen Preußen halten, wo ich doch kein Wort von der preußischen Sprache verstehe, ja — der Prophet möge mir verzeihen — nicht einmal weiß, wo dieses Land liegt und wie sein Sultan heißt.«
Ibn Kuteiba übersetzte zur allgemeinen Erheiterung die Worte des Kapitäns. Da ergriff Don Hidalgo das Wort:
»Was Abu Hanufa soeben vorgebracht hat, ist gar nicht so dumm. Wer von uns anderen weiß denn überhaupt etwas über dieses Land mit dem unaussprechlichen Namen, unter dessen Flagge wir segeln! Die Leute auf Banda werden höllisch verwundert sein, daß alle diese Preußen kein Wort von ihrer Muttersprache verstehen, dafür aber in allen anderen geläufigen Zungen reden.« »Keine Sorge«, sagte Michel. »Ich werde den Mynheers schon klarmachen, daß ihr zwar keine Preußen seid, aber unter preußischer Flagge auf preußische Rechnung und in den Diensten Preußens segelt und daß ich der vom König eingesetzte Treuhänder der Flotte bin. Dennoch möchte ich unsere arabischen Freunde bitten, sich an Land möglichst in europäischen Kleidern zu bewegen und Spanisch oder Englisch zu sprechen. Daß Araberkapitäne in preußischen Diensten stehen, kann man, glaube ich, selbst den Leuten auf Banda nicht weismachen.«
40
Wenige Minuten nach dieser Besprechung stieß von der »Trueno« wiederum ein Beiboot ab. Die Insassen waren Michel, Tscham und Ojo. Michel ließ sich nicht direkt durch die Bucht rudern, sondern befahl den Männern, einen Bogen über die offene See zu schlagen.
Sie landeten etwa dort, wo vor mehreren Tagen Mutatulli seinen Einbaum ins Wasser gebracht hatte.
Sie kletterten an der zerklüfteten Steilküste empor. Nun standen sie nur etwa zweihundert Meter von der Muskatnußbaumplantage des Mynheer van Groot.
»Ich glaube, wir umgehen das Fort, damit man uns von dort aus nicht bemerkt«, sagte Michel auf englisch und spanisch.
Ojo war gekleidet wie immer. Tscham trug einen weißen Anzug in europäischem Schnitt. Er wie auch Michel hatten, ihrer Kleidung entsprechend, gepuderte Perücken auf.
Erst als sie in der Stadt Banda waren, stellten sie fest, daß diese Perücken mehr Aufsehen erregten, als wenn sie den legalen Weg über den Hafen genommen hätten. Kein Mensch auf den Südseeinseln, mochte er aus noch so vornehmem Hause stammen, trug den europäischen Kopfputz.
Die Straßen wimmelten von Angehörigen aller Nationen. Da gingen einträchtig chinesische neben arabischen Kaufleuten, Kulis neben weißen Aufsehern, Sklaven neben ihrem Herrn, für den sie meistens etwas trugen.
Der Pfeifer steuerte aufs Geratewohl einem Gasthaus zu, über dessen Tür auf einem großen Schild deutsches Bier angepriesen wurde. Ihm lief das Wasser im Munde zusammen. Wie lange war es her, seit er das Gebräu aus Hopfen und Malz zum letztenmal gekostet hatte!
Sie gingen hinein und setzten sich an einen der großen, schweren Holztische, an dem noch ein paar Plätze frei waren.
Dieses Lokal schien eine der Stammkneipen der niederländischen Bewohner zu sein. Die drei Ankömmlinge waren die einzigen, die das Bild der sich ziemlich gleichmäßig tragenden holländischen Gäste unterbrachen.
»Ihr seid heute angekommen, Mynheer?« fragte Michels Nachbar und sog heftig an dem langen Stiel seiner Tonpfeife.
Michel lächelte und sagte die einzigen Worte, deren er auf niederländisch mächtig war:
»Kan nit verstaan, Mynheer.«
»Oh, Ihr seid ein Engländer«, fuhr der Nachbar fort.
»No, ich bin ein Deutscher.«
Da strahlte der Niederländer und meinte im schönsten rheinischen Dialekt: »Ich hatte lange Zeit eine Niederlassung in Köln, Herr - -.« »Baum, Michel Baum«, stellte sich der Pfeifer vor.
»Pieter Tijdeman«, sagte der andere. »Ich bin jetzt Handelsagent in Banda.« »Ist das nicht ein schlechter Tausch gegen Köln?« Tijdeman lachte verschmitzt.
»Ich will ja nicht ewig hier bleiben. Meine Geschäfte in Köln gingen schlecht. Da habe ich kurz entschlossen zugegriffen, als die Ostindien-Kompanie Handelsfachleute suchte. Zwei Jahre, nachdem ich hier angekommen bin, habe ich mich schon selbständig gemacht.«
»Handeln Sie mit Muskatnüssen?«
»Nein, bei Gott«, wehrte Tijdeman ab. »Ich mache dieSache einfacher. Ich habe ein kleines Küstenschiff. Damit fahre ich die Inseln ab und bringe den Eingeborenen Glasperlen, bunte Tücher und Messingringe, die sie sich durch die Nase ziehen können.« »Interessant. Und womit bezahlen die Eingeborenen?«
»Je nach der Fauna. Mit Elfenbein, Pythonhäuten, Moschus, Tiger- und Pantherfellen.« »Aber von alledem gibt es doch nichts auf Banda? Weshalb wohnen Sie da ausgerechnet auf der kleinsten Insel?«
»Es ist gleichgültig, wo man wohnt, wo man sein Lager hat. Ich bin nun einmal nach Banda gekommen und werde, solange ich in Ostindien bin, hier bleiben.«
»Ich möchte Muskatnüsse kaufen«, sagte Michel. »Ich habe Laderaum für eine ganze Menge Tonnen.«
»Oh, da kann ich Ihnen einen guten Bekannten als Lieferanten empfehlen. Mynheer van Groot hat die größten Plantagen auf dieser Insel. Fast dreihundert Sklaven arbeiten für ihn.« Michel glaubte sich verhört zu haben. »Sagten Sie Sklaven?«
»Ja. Jeder hat hier Sklaven. Wußten Sie das nicht?«
»Nein«, sagte Michel und verkniff sich die scharfe Erwiderung, die sich ihm auf die Lippen drängte.
»Die Sklaven haben hier nichts auszustehen«, sagte Tijdeman mit Überzeugung. »Sie arbeiten, essen und vermehren sich. Was will der Mensch mehr!«
Michel vermied es, zu diesen Worten Stellung zu nehmen. Er stellte die Frage:
»Kauft man bei Ihrem Bekannten preiswert?«
»Hm«, sagte Tijdeman, »das kommt auf die Menge an. Wenn es sich lohnt, können Sie vielleicht bis auf neunzig Cent herunterkommen.«
Michel freute sich insgeheim, so einfach zu einem Anhaltspunkt für die Preise gekommen zu sein.
»Neunzig Cent?« fragte er und tat sehr erfahren. »Ist das nicht ein wenig hoch?«
»Keineswegs, Herr Baum. Normalerweise liegt der Preis pro Pfund bei Abnahme einer Tonne bei fünfundneunzig Cent, manchmal auch steigt er bis zu einem Gulden. Muskatnüsse dieser Qualität gibt es in der ganzen Welt nur auf diesem gottgesegneten Archipel.«
Der Wirt brachte jetzt drei Krüge schäumenden Bieres. Als er sie vor Michel, Tscham und Ojo hinstellte, sagte er ein paar freundliche Worte, die Tijdeman bereitwillig übersetzte.