»Sie scheinen die Zuständigkeiten eines preußischen Kommodore zu überschätzen, Herr van Groot. Ich muß mich an meine Orders halten. Ich habe keine Befugnis für solche Abstecher.« »Wie mein Inspektor«, sagte van Groot kopfschüttelnd. »Orders, Befugnisse, Kompetenzen. Initiative gibt's bei Ihnen in Deutschland wohl gar nicht, wie?«
»Seien Sie unbesorgt. Für die Zwecke unserer Flotte reicht meine Initiative völlig aus.« »Schade«, sagte van Groot, »ich wäre mit meinem Muskatnußpreis vielleicht auf neunundachtzig Cent heruntergegangen.« »Achtundachtzig«, sagte Michel. »Ist das Ihr Ernst?«
»Mein voller Ernst. Für eine Preissenkung zugunsten der Staatskasse darf ich Ihnen einen Gefallen tun.«
»Top«, sagte der Pflanzer.
»Top«, schlug Michel ein.
Die Tür öffnete sich, und Katje trat ins Zimmer. Michel wurde ihr vorgestellt, und nicht ohne einen gewissen Spott in der Stimme setzte Laarsen des Vaters Worte fort: »Der Herr Kommodore hat sich soeben entschlossen, Monsieur Dieuxdonne zu fangen.« »Nicht zu fangen«, sagte Michel, »nur Informationen über ihn zu sammeln. Das Fangen ist dann Ihre Sache.«
»Viel Glück dazu«, freute sich Katje.
47
Schon acht Tage, nachdem Benjamin van Groot seine vier Schiffe nach Banda geschickt hatte, erhielt er die bestürzende Nachricht, daß einer seiner Frachter, der nach Kalkutta unterwegs gewesen war, von Dieuxdonne versenkt worden sei. Die Bemannung hatte wie üblich in die Boote gehen dürfen und war von einer britischen Fregatte gerettet worden. Die Geretteten wurden in Rotterdam abgesetzt, und der Kapitän stand zu dieser Stunde vor seinem Reeder, um Bericht zu erstatten.
»Hätte ich das geahnt«, sagte Benjamin van Groot, »dann hätte ich Laarsen mit den vier Muskatnußfrachtern nicht in den Indischen Ozean geschickt. Vermutlich macht der verdammte Pirat jetzt die ganze Gegend da unten unsicher.« »Das mag wohl sein«, erwiderte der Kapitän einsilbig. Benjamin stand auf.
»Ich sehe, Kapitän, daß Ihr Euch noch immer nicht von Euerm Schrecken erholt habt. Anstatt begierig darauf zu sein, diesem Räuber der Meere eins aufzubrennen oder zumindest dabei zu helfen, steht Ihr wie ein begossener Pudel da und sagt »das mag wohl sein«. Ihr könnt gehen.« Als der Kapitän sich entfernt hatte, ließ van Groot sich stöhnend in einen Sessel fallen. »Noch zwei, drei Stück«, murmelte er vor sich hin, »und ich bin bankrott.« Er zog an der Klingelschnur. Mit behutsamen Schritten trat Frans Termeulen ein. »Ihr wünscht, Mynheer?«
»Ich habe mit entschlossen, Frans, mit unserem schnellsten Segler nach Batavia zu fahren. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich Dieuxdonne dort herumtreibt. Ich muß seine Vernichtung selbst in die Hand nehmen, sonst können wir zumachen. Ihr begleitet mich.«
»Sehr wohl, Mynheer«, sagte Frans Termeulen und deutete eine leichte Verbeugung an. »Wenn ich mir einen Vorschlag gestatten darf?«
»Bitte, Frans.«
»Wir sollten mit allen Schiffen aussegeln, die uns noch verblieben sind. Sie sind bewaffnet. Der zusammengefaßten Feuerkraft ist auch Herr Dieuxdonne nicht gewachsen.«
»Euer Vorschlag ist nicht schlecht. Gebt Weisung, daß alles vorbereitet wird. Wir stechen morgen früh in See.«
»So rasch, Mynheer?«
»Sofort.«
»Sehr wohl, Mynheer.«
Acht Tage, nachdem die Muskatnußflotte, das heißt, ihre Reste auf Banda eingetroffen waren, landete der Konvoi, das letzte Aufgebot der Reederei Benjamin van Groots, wohlbehalten auf Java und ging in Batavia vor Anker.
Benjamin saß im Büro seiner dortigen Agentur und hielt eine Konferenz ab, bei der sein in Indien stationierter Agenturleiter, mehrere höhere Polizeioffiziere, der Standortkommandant der javanischen Truppen und zwei Herren der Ostindischen Handelskompanie — Fachleute für Seefahrtsangelegenheiten — zugegen waren.
»Ich habe Eure Empfehlungen gelesen, meine Herren«, wandte sich Benjamin an die Fachleute. »Ihr seid dafür, dem Dieuxdonne einen Köder hinzuwerfen und dann aus allen Richtungen auf ihn zuzustoßen, um ihn endlich zu fällen.«Einer der Angesprochenen erhob sich und meinte:
»Ich sprach Euern Fall mit Monsieur Leon de Musset durch. Monsieur de Musset ist Sachverständiger in der Verfolgung von Piraten. Er entwickelte den Plan. Monsieur de Musset ist selbst Kapitän und führt sein privates Schiff.« »Von welcher Reederei?«
»Ich sagte bereits, Mynheer, privat. Er fährt sozusagen zum Vergnügen durch die Meere und nimmt hier und da einmal Fracht auf, um seine Fahrten zu finanzieren. Ihr solltet ihn Euch zum Freund machen.«
»Sehr gern. Wann kann ich diesen Monsieur treffen?«
»Er wohnt im Hotel »Stadt Groningen«.«
»Ich danke Euch, ich werde Euern Rat befolgen.« —
Am Nachmittag sprach van Groot in dem ihm bezeichneten Hotel vor. De Musset ließ ihn in sein Zimmer bitten.
Der Franzose war ein mittelgroßer und feingliedrig gebauter, quicklebendiger Mann. Er trug ein schwarzes Bärtchen auf der Oberlippe, was den Ausdruck seiner dunklen Augen noch unterstrich. Seine Züge waren ebenmäßig, von Wind und Wetter gebräunt.
»Ah, Bonjour, Monsieur«, begrüßte er den schwerfälligeren Holländer in seiner lebhaften Art.
»Ich 'abe ge'ört schon serr viel von Ihre Reederei und Ihre glänzende Name.«
Benjamin fühlte sich offensichtlich geschmeichelt.
»Danke, danke, Mynheer. Man spricht auch von Ihrem Ruhm hinsichtlich der Aufbringung von Piraten.«
De Musset zog die Brauen hoch, lächelte aber sogleich wieder.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Groot. »Ihr habt nicht gern, daß man über Eure Taten spricht. Euer Vorschlag, den Bu1 mir durch die Schiffahrtssachverständigen der Kompanie unterbreiten ließet, ist sehr gut.« »Ah, bien, bien, Monsieur, 'at man gesagt, daß diese Vorschlag sein von mir?« »Stimmt das nicht?«
»Aaah — non. — — Mais, oui, oui, Monsieur, 'aupt-sache, es sein eine Vorschlag, die Ihnen gefällt. Wollen Sie, daß ick mir beteilige an die Jagd auf die Pirat?« Der Reeder war von dem Gedanken begeistert.
»Ich würde Euch die gesamte Beute überlassen, wenn Ihr mir Eure Hilfe gewährt. Meine Leute sind im Nahkampf unerfahren. Sie können zwar eine Kanone und ein Gewehr abschießen; aber nicht mit Messer und Degen umgehen. Also haltet Ihr mit?«
Der Franzose zog die Stirn in Falten, als überlege er angestrengt. Dann meinte er:
»Ick werden mich entscheiden bis morgen früh. Wohin kann ick schicken eine Botschaft?«
»Ich wohne im besten Hotel von Batavia, mir fällt augenblicklich der Name nicht ein.«
»Ah, beste 'otel ist »Adlon«.«
»Ganz recht, im »Adlon«. Ihr findet mich dort morgen früh.« -
Am Mittag des nächsten Tages nahm Benjamin aufatmend die Zusage von Monsieur de Musset entgegen.
48
Die Karimanen-Inseln liegen etwa hundert Meilen vor der javanischen Küste. Sie sind ein kleiner Archipel, der aus zwei größeren Hauptinseln und einem rundenDutzend kleiner, unbewohnter Eilande besteht. Vor der nördlichsten dieser Inseln, auf der es einen Vulkan, einige Kanarienbäume und eine Süßwasserquelle gab, kreuzte ein schlankes, pechschwarz gestrichenes Schiff, dessen Segel rot im Wind leuchteten. Es hatte keine Flagge gesetzt. Kein Name stand an seinem Bug.