Die Besatzung bestand aus vierzig Leuten, die sich der französischen Sprache bedienten. Es waren wildaussehende Gesellen, denen die Messer und Pistolen aus den Gürteln schauten. Sie lagen entweder faul an Deck herum und sonnten sich oder machten sich an der Takelage zu schaffen.
Oben auf dem Mast war der Ausguck angeseilt. Der Mann suchte ununterbrochen mit seinem Fernrohr den Horizont ab. Aber er konnte nichts entdecken.
Auf dem Vulkan der Insel, hoch droben am Kraterrand, stand eine andere Gestalt, die der gleichen Beschäftigung nachging wie der Ausguck im Mastkorb.
Vom Kraterrand aus hatte man einen viel, viel weiteren Blick; denn der Vulkan erhob sich fast tausend Meter aus dem Meer.
In der Kabine saß ein gutgekleideter, junger Mann. Ihm gegenüber ein alter, bärtiger Geselle. »Wo sie nur bleiben mögen, Pierre«, sagte der Junge. »Ich habe Hunger. Wir werden ihnen einige Schiffe wegschießen oder zumindest stark beschädigen, aber ständig unter Wind bleiben. Aufs Entern können wir uns nicht einlassen; denn es mit Sechsen aufzunehmen, möchte ich doch nicht wagen.«
Die Augen des Alten blinzelten listig.
»Schade, daß die Sache nur ein halbes Vergnügen wird. Seit den Muskatnußfahrern haben wir niemanden mehr vor die Rohre bekommen.«
»Mach dir nichts draus, mein Alter. Der Ozean ist weit, und van Groot hat noch viele Schiffe.« »Und was wird, wenn Eure Rache beendet ist, mon Capitain?« »Dann jagen wir Walfische, Alter; aber bis dahin hat es noch gute Weile.« Es klopfte.
»Entrez«, rief der Kapitän.
In der Tür erschien ein junger Bursche.
»Gustave winkt vom Vulkan, mon Capitain. Sie kommen.«
In den Augen des jungen Kapitäns blitzte es.
»En avant, mes amis, es ist soweit.«
Er griff hinter sich, hielt dann einen Tonkrug in der Hand, griff hinein, brachte die Hand, die voller Ruß war, wieder heraus, fuhr sich damit ein paarmal übers Gesicht, nahm aus einer Schublade eine rote Augenklappe und setzte sie auf. »Nun, Freunde, erkennt ihr mich noch?« Der Junge und der Alte lachten.
»Non, mon Capitain«, sagte Pierre. »Ihr seht aus, wie Dieuxdonne immer aussieht.« Sie gingen nach oben.
»Hallo, Ausguck, kannst du schon etwas erkennen?« »Non, mon Capitain.«
»Bien, komm herunter, damit dir die Zeit da oben nicht lang wird! Pierre, nimm Ostkurs! Wir verschwinden hinter dem Vulkan.«
Dieuxdonne sprang auf die Kommandobrücke, nahm einen Spiegel zur Hand, suchte die Sonnenstrahlen einzufangen und blinkte dann hinüber zu seinem Mann auf dem Vulkan.
49
Sieben Schiffe näherten sich. Sechs gehörten dem Reeder. Das siebente war Eigentum Leon de Mussets.
Noch bevor sie in Sichtweite der Insel kamen, verlangsamten die Holländer ihre Fahrt. Leon führte im Topp ebenfalls die Flagge der van Grootschen Reederei. Er hatte sich erboten, als Lockschiff zu fahren. Er war die Beute, mit der man den Piraten ködern wollte. Niemand wußte eigentlich so recht, woher man den Glauben nahm, daß Dieuxdonne sich bei den Karimanen-Inseln aufhalte. Irgendwelche unbestimmbaren Gerüchte hatten sich jedoch zur Gewißheit verdichtet. Irgendwo würde man ihn bestimmt finden; denn sieben Flaggen van Groots so dicht beieinander mußten einen besonders starken Reiz auf den Piraten ausüben. Van Groot stand an Bord seines bestausgerüsteten Schiffes. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Er konnte es nicht erwarten, den gehaßten Feind in die Ewigkeit zu schicken. Zwei Offiziere und der Kapitän standen neben ihm.
»Ich staune über den Mut des Franzosen«, sagte der Kapitän. »Mir würde die Lust vergehen, mein eigenes Schiff dem Seeräuber als Köder hinzuwerfen.«
Immer weiter zog Leons Schiff seine Bahn. Ganz klein war es schon. Dann tauchte der Rumpf unter, und nur noch die Segel waren zu sehen.
»Ha«, rief der Kapitän, »hört, Mynheer van Groot! — Hört genau hin! Kanonendonner! — Seht — seht Ihr das Blitzen hinterm Horizont?«
Van Groot zitterte. Jetzt war es soweit. Jetzt konnte der Traum seines Lebens in Erfüllung gehen. »Gebt das Zeichen zum Angriff, Kapitän.«
Grüne Leuchtraketen stiegen von der Kommandobrücke auf. Aus sechs verschiedenen Richtungen schössen sechs Schiffe sternförmig auf den Schlachtort zu. Der Donner der Kanonen und das Blitzen der Mündungsfeuer wies ihnen den Weg.
Doch bevor sie noch die kämpfenden Schiffe sichteten, verstummte der Lärm. Als sie näher kamen, bemerkten ,sie nur ein Schiff. Es war dasjenige ihres Verbündeten Leon.
Sie hatten einen etwa zwei Seemeilen im Durchmesser messenden Kreis um das einsame Schiff gelegt.
Leon ließ hinüberwinken:
»Hatte Feindberührung. Seeschlacht war im Gange. Plötzlich war der Pirat verschwunden.« Auf den anderen Schiffen schüttelte man die Köpfe. War Dieuxdonne ein zweiter Fliegender Holländer?
Das Geschwader lag dicht vor dem Vulkan. Niemand achtete auf den beweglichen Punkt neben dem Kraterrand.
Erst als erneut Kanonendonner aufklang, flogen aller Blicke nach Osten, wo das äußerste Schiff des Halbkreises stand.
Sie sahen, wie die Fetzen flogen, wie Segelmasten niederstürzten und die van Grootsche Flagge auf die Planken sank.
Wie einen Schatten nahmen sie einen dunklen Schiffsrumpf wahr, der aus allen Rohren feuernd an dem unglücklichen Flankenschiff vorbeisegelte.
Van Groot gab sofort Befehl, sich auf diesen Gegner zu stürzen.
Der Pirat beschrieb vor der Insel eine scharfe Wendung um 180° und stürzte sich auf das nächste Schiff. Wiederspien seine Kanonen Tod und Verderben, als er Breitseite an Breitseite vorüberfuhr.
Das nächste Schiff, wenn der Pirat so weiter gemacht hätte, wäre das des Reeders gewesen. Aber Dieuxdonne mußte sich mit den zweien begnügen, die als weithin sichtbare Brandfackeln auf dem Meere standen. Die Hauptstreitmacht des Reeders war dem Seeräuber bedenklich nahe gerückt. Dieuxdonne stand auf der Kommandobrücke und schrie durch das Sprachrohr: »Allons, Pierre, Kurs Südost bei Ost! Setzt alle Segel! Volle Fahrt voraus!« Auf den van Grootschen Schiffen traute man seinen Augen nicht, als man sah, daß der vollbestückte Segler zusätzlich immer noch Segel um Segel aufzog. Ganz unglaublich aber fand man es, als sich vor aller Augen plötzlich die Masten verlängerten und weitere Segel im Winde knatterten. Das schwarze Schiff war doppelt so hoch wie ein normaler Segler. Niemand konnte hoffen, es je einzuholen.
50
Die übriggebliebenen Schiffe der zur Vernichtung Dieuxdonnes ausgelaufenen Reedereiflottille drehten bei und nahmen Kurs auf Batavia. Leon de Musset schloß sich an.
Der kleine lebhafte Franzose saß in seiner Kajüte und prostete seinem Steuermann zu. Eigenartigerweise schienen die beiden Männer keine Trauer um die verlorenen Schiffe zu tragen, obwohl auch über ihren Toppen ein schwarzes Band wehte.
»Der arme van Groot«, lachte Leon. »Er wird einen schönen Schreck ausgestanden haben, als seine beiden Kähne auf Grund gingen. Hast du die Rettungsarbeiten beobachtet?« Der Steuermann nickte.
»Ja, es scheint niemand umgekommen zu sein. Sie haben alle aufgefischt. Dieuxdonnes Breitseiten saßen hart an der Wasserlinie. Die Schiffe haben nicht nur gebrannt, sie sind auch von unten her vollgelaufen.«
»Es ist ein Vergnügen, den Piraten kämpfen zu sehen.«
Der Steuermann lachte breit, griff aber statt zu einer Antwort zum Becher und leerte ihn mit einem Zug. —
In der Kabine van Groots war die Stimmung keineswegs ausgelassen oder heiter. Benjamin ließ den Kopf hängen.
»Jetzt habe ich nur noch zehn Schiffe, der Lump hat es bald geschafft. Ich möchte nur wissen, was ich ihm getan habe, daß er sich ausgerechnet meine Frachter aussucht! — Ist Euch zu Ohren gekommen, daß er je an einem anderen Schiff sein Mütchen gekühlt hätte?« »Nein, Mynheer«, antwortete der Kapitän. »Er bleibt bei der Reederei van Groot.« Der Reeder schwieg eine Weile. Doch dann sagte er: