»Nun, werd nur nicht tragisch, mein Junge. Das hört sich ja fast wie eine Liebeserklärung an.«
»Ist es auch, Ellen-Rose. Sing uns eins. Wir wollen lustig sein. In Batavia werden wir nicht viel Abwechslung haben, denn wir segeln gleich nach Holland weiter.«
»Weshalb meinst du, daß ihr in Batavia keine Abwechslung finden werdet? Ist es dort so langweilig? Nehmt mich mit!«
Der Junge wurde auf einmal wieder nüchtern.
»Ist das dein Ernst?« fragte er heiser.
»Warum nicht? Meinst du, daß Makassar kurzweiliger ist als Batavia?«
Die übrigen Matrosen lachten und wandten sich an ihren Kameraden.
»Wenn man dich so hört, dann könnte man fast glauben, du würdest ernsthaft erwägen, sie mitzunehmen.«
»Ja, ja. Sie könnte sich in meiner Koje verstecken.« Ellen-Rose lachte laut.
»Und wo würdest du während dieser Zeit schlafen?« »Bei dir — — bei dir«, lallte er trunken.
»Na, dann lieber nicht«, wehrte sie ab, stand auf und sang ein Chanson.
Eine Weile später erfuhr sie auch den voraussichtlichen Abfahrtstermin des Schiffes.
»Habt ihr auch Rettungsboote an Bord?«
»Welch eine Frage! Unsere Reederei ist eine der größten der Welt. Wir haben Boote, groß und seetüchtig, die für die ganze Mannschaft ausreichen würden. Aber sie hängen da in ihren Vertäuungen und werden nicht gebraucht; denn die »Utrecht« ist ein starkes Schiff, dem kein Sturm etwas anhaben kann.«
54
»Nun, Pierre, hast du herausfinden können, wann die »Utrecht« in See sticht, und wohin sie geht?«
»Non, mon Capitain, bis jetzt noch nicht. Aber ich habe ein paar von uns auf die Matrosen angesetzt. Vielleicht können sie sie betrunken machen, daß sie in der Weinlaune verraten, was wir wissen wollen. Die Besatzung der »Utrecht« scheint Order zu haben, nicht über Weg und Ziel zu sprechen.«
»Das glaube ich gern. Wahrscheinlich haben sie Angst vor Dieuxdonne. Nun, sieh zu, was du machen kannst, ich gehe wieder an Land. Bin heute abend zum Souper eingeladen.« — Gegen acht Uhr erschien Rene im Haus seiner Braut.
»Schön, daß du kommst«, begrüßte ihn Jessie van Meeren. »Du wirst heute abend einen bekannten Herrn kennenlernen.«
»Wen?«
»Mynheer de Witt, einen Kapitän der Reederei van Groot.«
»Oh, wie interessant«, sagte Rene. Es gelang ihm nur schlecht, seine freudige Überraschung zu verbergen.
»Ja«, sagte das Mädchen. »Vater und Herr de Witt haben einen Plan. Man möchte wissen, ob du ihnen helfen willst.« Rene horchte auf.
»Gern, wenn ich kann«, meinte er verbindlich.
Mynheer de Witt ließ nicht lange auf sich warten. Bald saß die ganze Familie mit den beiden Gästen beim Souper. Malaiische Diener servierten lautlos.
Bald danach zogen sich die drei Männer in das Rauch-zimmer zurück. Bei einer guten Pfeife und einem funkelnden Wein in den Gläsern floß das Gespräch munter dahin. Die beiden Kapitäne bestritten den größten Teil davon mit Fachgesprächen.
»Euer zukünftiger Herr Schwiegervater sagte mir, daß Ihr auch schon von den Verbrechen dieses seeräubernden Dieuxdonne gehört habt.«
»Wer hätte davon nichts vernommen?« entgegnete Rene. »Aber dieser — dieser — wie nanntet Ihr ihn doch gleich?«
»Dieuxdonne.« Mynheer de Witt war verwundert, daß der junge Kapitän sich nicht einmal den Namen merken konnte.
»Ganz recht. Dieser Dieuxdonne ist mir noch nie zu nahe gekommen. Ich würde es ihm auch nicht empfehlen. Mein Schiff ist gut bewaffnet.« Der Kapitän der »Utrecht« lachte schallend.
»Oh, Mynheer, glaubt Ihr, die Schiffe unserer Reederei seien schlechter bewaffnet als Ihr? Trotzdem sind sie dem Piraten nicht gewachsen.«
»Hm«, machte Rene. »Es käme auf einen Versuch an. Wenigstens kann ich Euch versichern, daß ich mich nicht ohne weiteres geschlagen geben würde, wenn der Bursche etwa auf den Gedanken kommen sollte, mich einmal anzugreifen.« Der Resident mischte sich ins Gespräch.
»Statuiere ein Exempel, Rene. Du verfügst über große Mittel. Laß dein Schiff zu einem Kriegsschiff umbauen und mache Jagd auf Dieuxdonne. Niemand wäre dir dafür dankbarer als ich.«
Rene sah seinen zukünftigen Schwiegervater erstaunt an. »Ihr? Was könnt Ihr für ein Interesse daran haben?«
»Nun, das ist leicht zu erklären. Ich besitze Aktien der Reederei. Und diese sind natürlich in letzter Zeit gewaltig im Wert gesunken. Das heißt, mit dürren Worten, daß ich mein ganzes Vermögen verloren habe, wenn sie nicht wieder steigen. Und steigen können sie nur, wenn es keinen Dieuxdonne mehr gibt.«
»So? Ich habe immer gedacht, die Reederei sei reiner Privatbesitz.«
»Das war sie sehr lange. Aber vor fünf Jahren vergrößerte sich van Groot erheblich. Er übernahm verschiedene kleine Reedereien und verschmolz sie zu einem Riesenunternehmen. Da er durch diese Zusammenlegung die Barmittel aufgebraucht hatte, gab er Aktien aus, allerdings nur fünfundzwanzig Prozent des Gesamtkapitals. Na, und fünf Prozent davon sind in meinem Besitz.«
Rene hatte aufmerksam zugehört. Eine Unmutsfalte stand auf seiner Stirn. »Wer hat sonst noch Aktien, etwa auch kleine Leute?« Mynheer van Meeren schüttelte den Kopf.
»Nein. Soweit ich unterrichtet bin, würde den meisten ihre Einbuße nicht wehtun. Die Besitzer der Anteilsdieme sind alle Großkaufleute, die in den van Groot-schen Aktien eine gute Vermögensanlage erblicken.« »Und wie seid Ihr dazu gekommen?«
»Durch den Bruder des Reeders, Jan van Groot, den größten Plantagenbesitzer auf Banda. Ich kenne ihn gut, und er empfahl mir, mein Vermögen in diesen guten Stücken anzulegen. Kein
Mensch rechnete ja mit dem Auftauchen irgendeines dahergelaufenen Seebanditen.«
»So seid Ihr mehr oder weniger der einzig wirklich Geschädigte, nicht wahr?«
»Ich glaube schon.«»Nun gut«, sagte Rene. »Ich werde mir den Vorschlag überlegen. Vielleicht sollte man ihn wirklich vernichten, diesen Dieuxdonne.«
»Sollte? Man muß ihn vernichten«, warf Herr de Witt ein. »Solche Kreaturen gehören an den Galgen.«
»Hm«, machte Rene einsilbig. »Ich werde es mir wirklich überlegen.«
»Ihr habt keine Lust, die »Utrecht« nach Batavia zu begleiten? Wir laufen morgen aus.«
»Nein«, bedauerte Rene. »Ich habe noch einen anderen Auftrag zu erledigen. Ich laufe übrigens auch morgen aus, aber nach der entgegengesetzten Richtung.«
»Schade«, sagte de Witt.
»Schade«, schloß sich van Meeren an.
55
Als Rene auf sein Schiff zurückkehrte, trat ihm der Oberbootsmann mit Leichenbittermiene entgegen.
»Es ist wie verhext, mon Capitain«, sagte er. »Wir haben nicht herausfinden können, wann die »Utrecht« in See sticht. Entweder wissen es die Matrosen nicht, oder es ist ihnen eingeschärft worden, nichts darüber verlauten zu lassen.« Der junge Kapitän schlug dem Alten gutmütig auf die Schulter.
»Mach dir nichts draus, Pierre. Dafür weiß ich es. Ich kenne sogar die genaue Route. Sie stechen morgen in See und fahren nach Batavia.«
»Ihr seid ein Teufelskerl. Wer hat Euch das gesagt?«
»Mynheer de Witt.«
»Und wer ist dieser Monsieur?«
»Der Kapitän der »Utrecht««, lachte Rene.
»Teufel, Teufel! Ausgerechnet der hat Euch das verraten? Man sollte es nicht für möglich halten!«
»Wundere dich nicht. Der Rachegott ist mit uns. Morgen früh um sechs laufen wir aus, und zwar zuerst nach Norden. Dann schlagen wir einen Bogen und fassen die »Utrecht« auf offener See in der Flanke. Vielleicht schon morgen abend, vielleicht aber auch erst in den nächsten Tagen. Wer weiß.« —