Als der Morgen graute, hievten sie den Anker ein und gingen in Wind. Als sie den Hafen hinter sich hatten, kreuzten sie ein Stück nach Norden, bis gegen Mittag, um bald darauf auszuscheren. Gegen Abend kam schwere Dünung auf.
»Wir werden doch keinen Sturm kriegen«, sagte Rene zu Pierre und betrachtete kritisch den Zug der Wolken.
»Es sieht fast so aus, mon Capitain.«
»Dann müssen wir damit rechnen, daß wir die »Utrecht« verfehlen.«
Die Wogen schlugen immer höher. Der in diesen Breiten übliche Ostpassat änderte schlagartig seine Richtung und kam aus Süden. Dunkle Wolken türmten sich am Himmel. Die Sonne versank, und das dunkle Grau ging bald in eine blitzzerrissene Nacht über.
Pierre bekam plötzlich einen heftigen Schreck. Er schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf, daß es knallte. Dann stürmte er auf die Back, wo sich der Kapitän, Ausschau haltend, aufhielt.
»Was ist, Pierre?«
»Oh, ich Esel, ich Unglückswurm, ich habe das Wichtigste vergessen! Ich habe die weiße Farbe nicht abklopfen lassen.«
»Mon Dieux«, der Kapitän ließ das Glas sinken, »eine schöne Bescherung. Nun können wir sie nicht einmal angreifen, selbst wenn sie uns jetzt vor die Rohre kämen.« »Soll ich Befehl geben, daß die Leute es sofort in Angriff nehmen?«
»Bei diesem Sturm? Das wäre Selbstmord. So bleibt uns nichts übrig, als zu warten, bis die See wieder ruhig geht. Wir müssen den Angriff eben verschieben. Wir haben ja auch genügend Zeit; denn von heute auf morgen fährt kein Schiff nach Batavia.«
Gegen Morgen erst wurde das Wetter ruhiger. Und als die Sonne wieder klar am Himmel stand, hingen die Männer der Freiwache außenbords angeseilt und klopften die Kalkfarbe vom Rumpf.
Am Mittag meldete der Ausguck ein Schiff.
Man ließ es fahren und kümmerte sich vorläufig nicht darum, denn noch immer waren große Flächen des Rumpfes weiß.
Bei Eintritt der Dunkelheit war die Arbeit getan. Der Kapitän gab das Kommando, die Segel zu wechseln. Die weißen wurden eingetauscht und durch rote ersetzt. Dieuxdonnes schwarzes, namenloses Schiff lag auf der Lauer.
Fünfzehn Stunden vergingen in schneller Fahrt. Dann hatte der Ausguck die »Utrecht« im Rohr. »Klarschiff!« donnerte die Stimme des Oberbootsmannes über Deck. Die Piraten jubelten auf. Endlich bekamen sie etwas zu tun. Vielen sah man an, daß sie am liebsten gar nicht erst geschossen, sondern gleich herangefahren wären und geentert hätten. —
56
Mynheer de Witt stand in strahlend weißer Uniform auf der Kommandobrücke der »Utrecht«.
Seine zwei Offiziere waren bei ihm.
»Die Fahrt scheint ruhig zu verlaufen«, sagte der eine.
»Jedenfalls bitte ich euch, meine Herren, darauf zu achten, daß die Mannschaft in höchster Alarmstufe bleibt«, mahnte der Kapitän.
»Ihr habt recht, Mynheer, man ist vor diesem Schurken nie sicher.«
Der Kapitän wollte sich zum Gehen wenden; denn der Smutje hatte zum Mittagessen geglast. Dabei wandte er sich um und blieb wie erstarrt stehen.
Von Nordosten her schoß das Verderben heran: brandrote Segel über einem schwarzen Rumpf. Und wie hoch der Segelwald war! Er rief den Offizieren zu : »Klar Schiff zum Gefecht! Er kommt!«
Auch die Matrosen waren bereits aufmerksam geworden. Die weißen Uniformen glitten wie helle Schatten vom Bug nach Achtern, von Backbord nach Steuerbord. Die Kanonen wurden ausgefahren, die Mündungen von den Deckeln befreit. In den Fäusten glühten die Lunten.
Niemand achtete in dem Getriebe auf die Rettungsboote, die von einer Persenning bedeckt waren. Die Plane des größten hob sich leicht, und ein ängstliches Gesicht kam zum Vorschein. Die Mannschaft hätte sich sicherlich sehr verwundert, wenn sie es gesehen hätte. Es war das hübsche Antlitz einer jungen Frau. Ängstlich verfolgten ihre Blicke die Vorbereitungen zur Schlacht.»Mein Gott«, flüsterte sie, »in welch eine Situation bin ich da geraten!« Die blinde Passagierin war niemand anders als Ellen-Rose, die Sängerin aus Makassar. Sie hatte die Matrosen in jenem Weinkeller deshalb nach Abfahrt und Ziel gefragt, weil die Reiselust in ihr wieder einmal übermächtig geworden war. Es war ihr gelungen, unbemerkt an Bord zu gelangen und sich, mit etwas Proviant und einem kleinen Beutel Gulden versehen, in dem Beiboot zu verbergen. Der ganze Beweggrund ihres Tuns war, den ziemlich hohen Preis für die Überfahrt zu sparen. Es war nicht das erstemal, daß sie auf diese Weise reiste. -Inzwischen war der schwarzrote Segler herangekommen. Er änderte jetzt etwas den Kurs, so daß er in gleicher Richtung mit der »Utrecht« stand.
Kapitän de Witt beobachtete, wie er noch mehr Segel setzte. Und kurz darauf hatte er den Holländer eingeholt.
Seite an Seite fuhren die Schiffe. Von drüben hörte man das Geschrei der kampfbegierigen Piraten. Dann krachte die erste Breitseite.
Die »Schwarzroten« waren ausgezeichnete Schützen. Schon die ersten Kugeln zerfetzten die Segel der »Utrecht«. Doch jetzt waren auch die Angegriffenen soweit. »Feuer frei!« kam das Kommando. Die Seeschlacht war entbrannt.
Hin und her wogte der Kampf. Aber die Holländer vermochten das Übergewicht des starken Gegners nicht zu brechen.
Da kam eine neue Breitseite und schlug in die Aufbauten der »Utrecht«, daß Planken, Taurollen und Stücke der Reling in die Luft wirbelten. Und plötzlich kam der schreckliche Befehclass="underline" »Jeder verfügbare Mann an die Pumpen.« Die »Utrecht« sank.
Wildes Geheul kündigte den nahen Sieg der Piraten. Der »Schwarzrote« legte ständig feuernd an.
Die Degen der niederländischen Offiziere flogen zum Empfang der enternden Piraten aus der Scheide.
De Witt wurde von einem jungen Mann mit einer roten Augenklappe über dem linken Auge heftig angegriffen. Das Gesicht dieses furchterregenden Kerls war über und über mit Ruß beschmiert, der seine Züge unkenntlich machte. Neben ihm focht ein alter, bärtiger Geselle. Der mit der Augenklappe zischte dem Bärtigen einige französische Worte zu. Im gleichen Moment fast schlug er de Witt den Degen aus der Hand und setzte ihm den eigenen auf die Brust.
Der mit dem Bart sagte:
»Ergebt Euch. Euch und der Mannschaft geschieht nichts. Ihr könnt unbeschadet in die Boote gehen.«
»Ich bin in Ehren Kapitän gewesen«, erwiderte de Witt, »und verlasse mein Schiff nicht. Ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr feiges, schmutziges Räuberpack!« Pierre — das war der Bärtige — lief rot an.
»Was sagst du? Dreckiges Räuberpack? Daß dich der Satan kleinhaue!«
Er wollte sich auf ihn stürzen; aber ein Zischlaut des Jungen hielt ihn zurück.
»Wollt Ihr diese Beleidigung auf uns sitzen lassen, mon Capitain?« wandte er sich entrüstet an Dieuxdonne.
De Witt wurde aufmerksam. Er verstand genügend Französisch und wandte sich an Dieuxdonne: »Weshalb versteckt Ihr Euch hinter Ruß? Ihr seid doch Dieuxdonne, oder nicht?«Dieuxdonne stieß mit unkenntlicher Stimme in rascher Folge wieder einige Worte aus, und Pierre sagte: »Macht, daß ihr in die Boote kommt. Gleich ist es zu spät.« Sie wandten sich ab und ließen de Witt einfach stehen.
Die meisten der Holländer hatten sich ergeben, als sie sahen und hörten, daß man ihnen nicht ans Leben wollte. Mehrere waren schon damit beschäftigt, die Boote klarzumachen.
Auf einmal gab es Geschrei. Sowohl die Piraten als auch die Matrosen hatten Ellen-Rose entdeckt. Das Mädchen wehrte sich verzweifelt gegen kräftige Männerhände.
Dieuxdonne hörte das Zetern und wandte sich um. Wie der Blitz war er dazwischen.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Madame?« fragte er höflich.
»Ich will nach Batavia«, sagte Ellen-Rose. »Eure Leute wollen mich ins Boot werfen. Ich will aber nicht ertrinken. Könnt Ihr mich nicht mitnehmen?«
Dieuxdonne wandte sich an Pierre und bedeutete ihm, das Mädchen an Bord des »Schwarzroten« zu bringen.