Nun legte sich auch die »Unicorn« Deck an Deck mit dem türkischen Schiff.
Grearson ging über den Laufsteg. Die Besatzung der »Trueno« war dabei, die eigenen Toten bei sich aufzubahren. Es waren viele gefallen, nicht im Nahkampf, sondern durch die Kanonen der Sklavenhändler.
Marinas Augen füllten sich mit Tränen, als sie zählte. Fünfzehn Tote und ebenso viele Schwerverwundete.
Capitan Porquez erholte sich langsam. Als er wieder klar denken konnte, schweiften seine Blicke über das Trümmerfeld auf seinem alten Schiff. Erschüttert starrte er auf die, die sich für ihn geopfert hatten. Langsam hob er den Blick zu Marina und sah ihr fest in die Augen.
»Ich habe gesehen, daß Ihr zuerst gesprungen seid, Gräfin. Es gehört der Mut eines Helden dazu, sich über die feuernden Schlünde zu setzen, als seien sie nicht vorhanden.«
»Aber bitte — bitte«, sagte Marina verlegen. »Seht Euch unsere Männer an. Da liegen die wahren Helden.«
Sie deutete auf die Toten und Verwundeten.
»Ich weiß«, sagte der Alte, »sie haben sich für mich geopfert. Aber hätten sie es mit der gleichen Unbedenklichkeit getan, wenn Ihr nicht vorangegangen wäret?«
»Bestimmt! Es sind doch alles Eure Leute gewesen.«
Porquez lächelte. In seiner Stimme war keine Bitterkeit, als er sagte:
»Gewesen! Ihr habt recht, Marina«, — er nannte sie zum erstenmal Marina — »es sind einmal meine Leute gewesen. Sie haben mir gehorcht; aber Euch liebten sie. Als sie riefen: Sieg oder Tod für Kapitän Porquez, da meinten sie in Wahrheit Euch. Ich habe sie heulen hören, als Ihr hinter dem Rauchvorhang verschwandet. Diese letzte Schlacht hat mir bewiesen, daß Ihr mehr seid als eine Abenteurerin. Ihr könnt Menschen führen und Schiffe.«
Er reichte ihr die Hand. »Hört, Kind, bis heute war ich nie so recht einverstanden damit, daß Ihr mich von meiner »Trueno« verdrängt habt. Ab heute aber gehört sie Euch, und zwar diesmal nach Recht und Gesetz. Kommt in die Kajüte. Wir setzen die Übereignungsurkunde auf.« Marina war blaß geworden. In ihr regte sich etwas, was lange Jahre verschüttet war, was vielleicht noch nie in ihr gelebt hatte. Ihr war seltsam weich zumute. Sie brachte kein »Danke« über die Lippen.
Glücklicherweise wurde diese Szene von der dröhnenden Stimme Captain Grearsons unterbrochen:
»Glückwunsch, Madam. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Aber sagt mir, weshalb sich Eure Leute in den Tod gestürzt haben, statt erst die Kanonen des Gegners außer Gefecht zu setzen! Ihr solltet noch ein wenig mehr von der Seekriegführung lernen, Madam«, setzte er belehrend hinzu. . »So?« sagte Marina spöttisch.
»Ich wollte Euch nicht beleidigen, Madam. Aber Ihr könnt von einem in vielen Seeschlachten erprobten Offizier schon noch einige Feinheiten lernen. Die vielen Toten brauchten nicht zu sein.«»Fragt Capitan Porquez, weshalb sie sein mußten«, meinte Marina mit einem abweisenden Ton in der Stimme.
Porquez suchte sein Englisch zusammen und radebrechte:
»Ich--wir alle--hier auf dieser Seite an Mast gebunden. »Trueno« feuern--wir tot.«
»Oh«, sagte Grearson. Sein Gesicht rötete sich. »Verzeiht, Madam. Das konnte ich natürlich nicht ahnen.« Er wollte sich zurückziehen.
»Bleibt«, meinte Marina versöhnlich. »Wir müssen noch einiges besprechen. Ihr seht, daß meine Mannschaft recht zusammengeschmolzen ist. Die Türken sind alle tot. Ich habe nurmehr zwanzig Mann übrig. Könnt Ihr einige Leute auf die »Mapeika« abstellen, damit Kapitän Porquez Mannschaften hat?« Grearson überlegte. Er zögerte.
»Ich darf es eigentlich nicht. Es ist gegen die Vorschriften. Aber in diesem Fall werde ich es auf eigene Verantwortung tun.« »Danke«, sagte Porquez.
»Ich möchte vorschlagen«, fuhr Grearson fort, »daß Ihr bis in die Nähe der Küste geht und in ihrem Schutz langsam nach Norden bis Kalkutta fahrt. Die offene See ist bei dem geringen Bestand an Mannschaften nicht gerade das Richtige.« Marina nickte.
»Ja, einen Sturm könnten wir kaum bewältigen. Ich werde Euerm Rat folgen. Bleibt Ihr im Verband?«
Jetzt war es an Grearson, nachdenklich zu werden. An sich hatte er keine Eile, nach Kalkutta zu kommen. Aber er dachte wohl an die langsame, jedem echten Seemann widerstrebende Küstenfahrt und bedauerte höflich.
»Ich nehme geraden Kurs auf Kalkutta, Madam. Kann ich vielleicht etwas für Euch ausrichten, einen Gruß oder - - -«
»Ja«, sagte Marina. »Wenn Mr. Baum schon wieder in Kalkutta sein sollte, so sagt ihm, er möchte dort warten.«
Grearson mußte an das denken, was er von dem Krieg gegen Bihar gehört hatte. Man glaubte in Kalkutta felsenfest, daß Mr. Baum und sein Freund, der lange Spanier, verschollen waren. Wenigstens war das das letzte, was Grearson vor seinem Auslaufen gehört hatte. Sollte er der Frau, die diesen ungewöhnlichen Mann offensichtlich liebte, sagen, daß dieser vielleicht längst von den Thags gefangen und erdrosselt war? — Nein. Er entschloß sich zum Schweigen und verbeugte sich leicht.
»Es wird mir ein Vergnügen sein, Madam, Euern Gruß auszurichten. In ein paar Minuten werde ich Euch zehn Mann herüberschicken. Jetzt darf ich mich verabschieden.«
Er küßte ihr galant die Hand.
»Auf Wiedersehen in Diamond Harbour, Madam.«
»Auf Wiedersehen, Captain Grearson, und gute Fahrt.«
5
Die »Dimanche« hatte nur wenige Segel gesetzt. Sie lag träge vorm Wind und hatte kaum Fahrt. Die Matrosen langweilten sich. Dort drüben lag die Stadt Akjab. Weshalb ließ man sie nicht an Land?
Es behagte ihnen überhaupt nicht, daß ein arabischerKapitän das Kommando über sie führte. Und dann dieser Steuermann, der zugleich die Stelle des Ersten und Zweiten Offiziers einnahm; er ließ keine andere Meinung gelten als die seine.
Sicher, die Matrosen waren angeheuert worden nach englischem Seerecht. Sie hatten ordentliche Heuerverträge unterschrieben, und sie bekamen ihre Heuer pünktlich. Dennoch, sie mochten diese Araber nicht. Sie waren Christen oder bildeten sich wenigstens ein, welche zu sein, und es war ihnen zuwider, sich von diesen Heiden etwas befehlen zu lassen. Daß der Steuermann, Ibn Kuteiba, ein gebildeter Mensch war und die europäischen Sprachen glänzend beherrschte, verstärkte nur noch ihren Widerwillen gegen ihn. Kein Mensch, der in der Einbildung lebt, zu einer höherstehenden Rasse zu gehören, gesteht einem »Minderwertigen« gern zu, daß dieser ihm überlegen sei.
Ibn Kuteiba und Abu Hanufa saßen in der Kapitänskajüte.
»Du spürst also auch, daß uns die Mannschaft nicht wohlgesinnt ist?« fragte Abu Hanufa. »Schon lange, Sayd. Aber deshalb brauchen wir sie noch nicht zu fürchten. Sie stehen ja durch Vermittlung der Ostindien-Kompanie in unseren Diensten. Und solange sie keinen Verdacht schöpfen, daß wir nicht mehr so ganz mit dieser Kompanie einverstanden sind, brauchen wir nichts zu fürchten. Besonders mutig sind sie ohnehin nicht.«
»Allah akbar«, seufzte der Kapitän. »Mir wäre wohler, wenn ich noch auf der »Trueno« wäre. Dort hatte man wenigstens Menschen um sich, von denen man wußte, was man von ihnen zu halten hatte.«
Fünf Tage noch mußten sie warten. Kamen der Pfeifer, Jardin und Ojo überhaupt wieder? War ihnen vielleicht doch etwas zugestoßen?
Abu Hanufa wäre am liebsten gleich aufgebrochen, um die »Trueno« zu suchen. Aber wenn den dreien in Kalkutta etwas zugestoßen war, wenn sie vielleicht gerade am letzten Tag der Wartezeit eintreffen würden, um mit der »Dimanche« zu fliehen, und die »Dimanche« war nicht da, was dann?
An Deck wurde es mit einemmal lebhaft. Ein Maat erspähte die beiden von Süden herankommenden Schiffe zuerst. Sie fuhren nebeneinander. Ein anderer Maat setzte ein Fernrohr an und beobachtete die Schiffe aufmerksam.
»Teufel!« schrie er. »Das eine ist der Türke, mit dem es neulich beinahe eine Seeschlacht gegeben hätte!« Tumult erhob sich.