De Witt, der Erste und der Zweite Offizier der »Utrecht«, warteten schon. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Der Reeder schüttelte seinem Kapitän stumm die Hand. De Witt erstattete Bericht.Nachdem er geendet hatte, wandte sich van Groot an Frans. »Ich kann hier nicht mehr länger ruhig sitzen. Meine letzte Hoffnung ist und bleibt Laarsens Muskatnußflotte. Wir machen ein Schiff klar und stechen morgen früh in See nach Banda. Ich will meinen Bruder bewegen, mir noch größeren Kredit in Form von Ware zu geben.« De Witt, die Offiziere und der Hauptagent Miller starrten auf den Boden. Sie schienen von dem, was ihr Chef soeben gesagt hatte, keine Notiz zu nehmen.
Benjamin, der im Laufe der letzten Zeit zu einem Nervenbündel geworden war, fuhr sie heftig an.
»Was sitzt Ihr da wie die Ölgötzen! Macht Vorschläge !« Miller räusperte sich.
»Äh--äh--ich--das heißt--da draußen im Vorzimmer ist noch jemand, der Euch eine Nachricht zu bringen hat, Mynheer«, stotterte er. Van Groot fuhr auf.
»Nachrichten für mich? Von wem, worüber?« Seine Augen gingen irrlichternd von einem zum ändern. »So sprecht doch endlich«, schrie er unbeherrscht. De Witt nahm sich zusammen.
»Der Herr, der draußen wartet«, erklärte er, »ist der Kommodore einer Handelsflottille, die uns aufgenommen hat. Er kommt direkt von Banda, von Euerm Bruder. Die Botschaft, die er bringt, ist — — niederschmetternd - -« »So redet doch, Mensch!«
»Zwei Schiffe von Laarsen sind ebenfalls versenkt.«
»Das — — das — — ist doch nicht möglich!« Van Groot wurde kreidebleich. Miller stand auf und ging hinaus, um gleich darauf mit dem Pfeifer wieder einzutreten. Michel nahm sofort wahr, daß die Stimmung in diesem Raum bereits den Tiefpunkt erreicht hatte. Sein Blick blieb an Benjamin van Groot haften. Er sah seinem Bruder so ähnlich, daß Michel sofort wußte, wen er vor sich hatte. Der Mann tat ihm leid. Und er nahm sich schon jetzt vor, ihm zu helfen.
»Wer seid Ihr, junger Mann?« fragte van Groot.
»Kan nit verstaan«, sagte Michel. »Sprechen Sie nicht Deutsch?«
»Doch«, sagte van Groot. »Also wer sind Sie?«
»Ich bin der Kommodore einer preußischen Frachterflottille und bringe Ihnen Grüße von Ihrem Bruder und Kapitän Laarsen.«
»Und — und weiter, was ist mit Laarsen?«
»Tja«, sagte Michel. »Es ist eine betrübliche Sache. Dieuxdonne hat zwei Frachter von Laarsens Schiffen in den Grund gebohrt.«
»Ich weiß schon — — ich weiß schon. Und sonst?«
»Sonst — — nichts. Nur soviel, ich befehlige drei Schiffe, die alle erstklassig ausgerüstet sind, waffenmäßig meine ich. Ich hätte unter Umständen Lust, diesen Herrn Seeräuber zu jagen.« »Unter welchen Umständen?« Michel lächelte.
»Daß ich ihn kriege, daß ich ihn mit meinen Schiffen einholen kann, was nicht ganz einfach sein dürfte.«
»Versuchen Sie es, junger Mann, versuchen Sie es!« Benjamin wurde wieder lebhaft. »Verfügen Sie über eine kampferprobte Mannschaft?«
»Oh, meine Gesellen dürften sich mit denen Dieux-donnes jederzeit messen können. Ich denke nur, daß drei Schiffe zuwenig sind. Ein viertes, ebenfalls gut bewaffnet, würde uns nicht schaden. Es bestünde dann die Möglichkeit, eine regelrechte Treibjagd zu veranstalten.« »Meine Schiffe sind zu schwerfällig«, antwortete Benjamin. »Ich würde sie hingeben, wenn es einen Sinn hätte. Aber sie sind nichts als Zielscheiben, nichts als Zielscheiben.« Frans warf ein:
»Vergessen Sie nicht Monsieur de Musset. Er wird mit Freuden daran teilnehmen, denn er ist ein Kämpfer.«
Van Groot blieb bei der deutschen Sprache, als er jetzt mit aufgehelltem Gesicht sagte: »Ich schlage vor, Herr Kommodore, wir besprechen das heute abend in meinem Hotel. Ich werde auch Monsieur de Musset bitten lassen.« »Einverstanden«, sagte Michel und ging.
Er dachte, daß es notwendig war, seinen Jungen endlich einmal wieder etwas zu bieten. Sie konnten nicht ständig ohne Kampf auskommen. Eigentlich ging ihn die Sache ja nichts an. Andererseits taten ihm weniger der Reeder als vielmehr dessen brotlos gewordene Leute leid. Ja, es schien die Aufgabe der »Trueno« zu bleiben, sich mit den Freibeutern der Meere auseinanderzusetzen.
60
Es war Abend geworden. Zahlreiche Gäste saßen im Restaurant des »Adlon«. Es gab mehrere Speisesalons, davon den sogenannten blauen, der stets für die Elite der Kundschaft reserviert war.
Hier saßen um eine reichgedeckte Tafel van Groot, Frans Termeulen, Leon de Musset und der Pfeifer.
Das Thema war, wie nicht anders zu erwarten, Dieuxdonne.
Leon hatte sich bereit erklärt, sich noch einmal an der Jagd auf den Flibustier zu beteiligen. Und obwohl er die Preußen nicht gerade liebte, unterstellte er sich dennoch widerspruchslos dem Kommando Michels.
Man wollte noch zwei Tage im Hafen bleiben, um dann, gestärkt und mit frischen Kräften, wie ein Blitz aus heiterem Himmel über den Räuber zu kommen. Der Pfeifer entwarf Einzelheiten des Plans.
Niemand achtete währenddessen auf eine sehr vornehm gekleidete und sehr zurückhaltende junge Dame, die zwei Tische entfernt saß.
Die vier Männer sprachen leise. Ein ungeschultes Ohr hätte in der Entfernung, in der das Mädchen saß, nichts vernommen als ein einziges Raunen.
Ellen-Rose aber lauschte nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen. Sie hatte die Fähigkeit, den meisten Menschen wie eine Schwerhörige die Worte von den Lippen abzulesen. Auf diese Weise erfuhr sie alle wichtigen Einzelheiten. Und obwohl es für sie eigentlich hätte schreckniserregend sein müssen, war sie vollkommen ruhig und hielt auch nicht das Lächeln zurück, das von Zeit zu Zeit ihre Lippen umspielte. Ihre Blicke hafteten, unmerklich für den Beobachteten, auf Leon, und daher kam ihr Lächeln.
Sieh an, dachte sie, er schickt mich auf Kundschaft, nur um mich zu beschäftigen und ohne jeden Sinn! Dennoch werde ich ihm genug erzählen, worüber sich die Herren dort unterhalten. Ich werde meine Fähigkeiten unter Beweis stellen.Ein Kellner kam und brachte eine Flasche Wein. Sie wartete nicht, sondern zahlte gleich. Aber so, daß es niemand von den Gästen bemerkte. Sie blieb noch eine Weile sitzen und erhob sich dann, um den blauen Salon zu verlassen. Sie ging in die Halle des Hotels und ließ sich dort in einem der tiefen, weichen Sessel nieder. Es währte nicht lange, dann kamen auch die vier Herren, die ihr Gespräch beendet zu haben schienen. Gerade wollten sie sich voneinander verabschieden, als zwei Männer in der Uniform der Reederei eintraten. Es waren de Witt und sein Erster. Noch einmal nahmen alle gemeinsam Platz.
Ellen-Rose jedoch interessierte sich nun nicht mehr für ihre Gespräche; denn schließlich war er ja dabei. Die Probe ihres Könnens würde sie abgeben, und das sollte genügen.
Eine Viertelstunde später stand Leon auf und verabschiedete sich.
Ellen-Rose glaubte auch ihre Zeit gekommen und folgte Monsieur de Musset unauffällig.
Draußen ging sie eine Weile hinter ihm her. Weit und breit machte sich kein Mensch bemerkbar.
»Monsieur Dieuxdonne«, rief sie halblaut.
Der vor ihr Gehende verhielt den Schritt mit einer Plötzlichkeit, als habe er diesen Anruf nicht erwartet. Er wandte sich langsam zu ihr um. Überraschung stand in seinem vom hellen Mond beschienenen Gesicht.
»Madame?--Meinen Sie mich?«
»Wen sonst?« fragte sie dagegen. »Ich halte es nicht sehr fair von Euch, mich auf Spionage zu schicken, wenn Ihr selbst dabei seid und so tut, als wolltet Ihr mit Euerm Gegner paktieren. Ich habe alles gehört.« Leon war starr vor Überraschung.