»Ick sollt Sie 'aben geschickt auf Kundschaft? Ick--ick? Wie kommen Sie auf diese kuriose Gedanke?«
»Weshalb verstellt Ihr Eure Sprache? Weshalb sprecht Ihr jetzt ein so schauderhaftes Niederländisch? Was soll dieses Theater?«
»Ick verstehe nix, Madame, ick verstehe nix, über'aupt gar nix. Wer seid Ihr?« »Hört, Dieuxdonne, macht nicht ein solches Theater! Erst wolltet Ihr mich hängen lassen, dann gabt Ihr mir statt dessen diesen albernen Auftrag. Jetzt bin ich hier und, nachdem ich ihn ausgeführt habe, wollt Ihr mich nicht mehr kennen. Was soll das?«
»Ick nix wissen, was das soll. Ick kennen diese Dieuxdonne nur wegen seine berühmte Namen. Ick nix mehr wollen wissen etwas davon. Sie ge'en nach 'ause und vergessen, was Sie sich 'aben eingebildet.«
Ellen-Rose wurde jetzt ungemütlich. Was dachte sich dieser Kerl? Hatte er nichts anderes vor, als nur mit ihr zu spielen? Sie trat einen Schritt näher.
»Kein Zweifel«, rief sie dann laut, »Ihr seid Dieuxdonne! Eine Verwechslung ist gar nicht möglich! Ich gehe nach Hause; aber da nach Euerm Willen mein Zuhause Euer schwarzrotes Schiff ist, können wir auch zusammen gehen.«
Plötzlich lauschten sie angestrengt ins Dunkel. In der Ferne hörten sie immer leiser werdende, hastende Schritte.
»Mon Dieux«, meinte Leon plötzlich, »was saggen Sie da von eine schwarzrote Schiff?« Sie schüttelte den Kopf.
»Seid Ihr verrückt, oder bin ich es? Ihr werdet wohl noch Euer eigenes Schiff kennen!«»Natürlich kenne ick meine Schiff. Meine Schiff sind nicht rot und schwarz. Es liegen 'ier ganz friedlich in die 'afen. Und ick werde jetzt ge'en auf meine Schiff. Und sag nix noch einmal zu mir Dieuxdonne . . .« Er drehte sich ganz plötzlich um und ging weiter.
Ellen-Rose folgte ihm nicht mehr. Sie hatte wirklich Zweifel bekommen. So sehr konnte sich doch ein Mensch gar nicht verstellen!
Sie wandte sich in entgegengesetzter Richtung, hatte aber kaum zwei Schritte getan, als aus einer Seitenstraße ein ganzer Zug holländischer Kolonialsoldaten im Laufschritt auftauchte. »Hier entlang ist er!« rief einer. Ein anderer:
»Hier stand er mit einer Frau!« Die letzte Stimme gehörte dem Zweiten Offizier de Witts. Dieser war mit dem Kapitän nicht ins Hotel gegangen, sondern wartete draußen. Er beobachtete, wie zunächst Leon de Musset aus dem Eingang kam.
Nun, dagegen gab es nichts einzuwenden. Es gab auch nichts einzuwenden gegen eine--hm --Dame, die ihm offensichtlich folgte. Solche »Damen« gab es in den Städten der Südsee genau wie in allen anderen Städten der Welt.
Der Zweite Offizier blickte dem Mädchen sinnend nach. Schade, daß so ein nettes Mädchen sich nicht um ihn kümmerte. Aus einem unbewußten Drang heraus schlich er den beiden ein Stück nach.
Jetzt hatte die Verfolgerin Leon de Musset fast erreicht. Da hörte er sie rufen: »Monsieur Dieuxdonne !«
Der Zweite Offizier stand für Sekunden erstarrt. Der Name erregte ihn mehr, als alle nächtlichen Küsse der Welt das getan haben würden. Er war auf einmal hellwach.
Er hörte teilweise, was die beiden sprachen.
Im Verlauf des Gesprächs wurde es ihm vollständig klar, daß der so Angeredete tatsächlich niemand anders sein konnte.
Hastig entfernte er sich, während die beiden weiterschritten.
Es waren seine Schritte, die Leon und Ellen-Rose gehört hatten.
Er benachrichtigte de Witt, den er im Hotel zusammen mit den anderen antraf.
Neben dem Hotel war ein Wachlokal der Kolonialarmee. Im Nu war der Wachzug formiert. Die Jagd begann, und alle schlössen sich an.
In Michel stieg die Spannung von Minute zu Minute.
Dieser Mann, der sich selbst »Gottgegeben« nannte — sollte er auf einmal einen solchen Fehler machen? — Wenn der Bericht des Zweiten Offiziers der »Utrecht« stimmte, dann war Dieuxdonne bodenlos leichtsinnig geworden.
»Da vorn geht einer«, rief der Zugführer jetzt.
»Das ist er«, flüsterte der Zweite und beschleunigte den Schritt.
»Halt! — Stehenbleiben!«
Leon fühlte sich nicht angesprochen. Er ging ruhig weiter, ein wenig zu ruhig vielleicht. Dann hatten sie ihn umringt, und er sah sie mit gutem Erstaunen an. »Womit ick Ihnen kann dienen, Messieurs?«
»Aber, meine Herren«, ließ sich da die Stimme Ter-meulens vernehmen (Benjamin hatte es vorgezogen, dasErgebnis der Razzia im Hotel abzuwarten), »das ist ja Monsieur de Musset, mit dem wir soeben beraten haben.« Verblüffung ringsum.
»Ganz reckt, Messieurs«, ließ sich freundlich Leon vernehmen, »zweifelt ihr daran?« Aber der Zweite war seiner Sache sicher.
»Laßt euch nicht verblüffen«, sagte er scharf. »Ich bin kein kleines Kind. Was ich mit eigenen Ohren gehört habe, das habe ich gehört. Dieser Herr war sichtlich erschrocken, als ihn die Dame mit Dieuxdonne ansprach.«
»Welche Dame?« fragte Leon lächelnd.
»Ah, seht ihr, er streitet sogar das ab.«
Man stand unschlüssig herum. Der Pfeifer gedachte sich nicht in diese Sache zu mischen. In Frans Termeulens Gesicht aber begann es plötzlich zu arbeiten. Er hielt den Zweiten gar nicht für so verrückt.
Der Offizier würde schließlich nicht irgendeine Behauptung aus der Luft greifen. De Musset hätte wenigstens das Zusammensein mit der Dame eingestehen können. Ein solches Treffen hätte auch eine Verwechslung mit dem echten Dieuxdonne sein können. Vielleicht kannte die Frau den echten und war von einer zufälligen Ähnlichkeit getäuscht worden.
»Ihr behauptet also, daß Ihr gar keine Frau getroffen und gesprochen habt?« sagte der Zweite Offizier jetzt scharf.
»Oh, dann müßte ick lügen, Monsieur. Ick 'aben gesprochen viele Damen in meine Leben.«
»Wollt Ihr uns verhöhnen, Herr?«
»Mais non, ick antworten nur auf Eure Frage.«
»Ihr streitet also ab, daß Euch vorhin eine Frau mit dem Namen des berüchtigten Flibustiers angesprochen hat?« De Musset nickte.
»Mich 'at nix angesprochen eine Dame.« »Dann verhaftet ihn, Sergeant«, sagte Termeulen.
Für den Sekretär war es klar, daß Leon log. Und für diese Lüge gab es in den Augen der Holländer nur einen Grund: er war Dieuxdonne. Termeulen glaubte plötzlich Zusammenhänge zu erkennen. Er konnte nicht ahnen, daß der galante Franzose sich lieber würde verhaften lassen, als daß er eine Dame kompromittierte, die zu so unziemlicher Stunde mit ihm auf der Straße gesehen worden war. Was jedem Franzosen eine Selbstverständlichkeit war, ging anderen Europäern gar nicht in den Kopf. Nein, Leon würde nie eine Dame bloßstellen. Die Wachsoldaten nahmen Leon de Musset in ihre Mitte. Sie brachten ihn in ihr Wachlokal. Und es dauerte keine zehn Minuten, so war auch Benjamin van Groot zur Stelle. Er bebte vor Wut. Es fiel den Soldaten nicht leicht, den schlanken Franzosen vor dem Reeder zu schützen.
»Du Schwein!« schrie van Groot. »Dir also habe ich mein Unglück zu verdanken! Du bist der Hund, der meine Schiffe in den Grund gebohrt hat ! Du hast dich bei uns angebiedert, hast uns ausgehorcht und dann das Wissen gegen uns verwendet. Hängen wirst du! Am Hals aufgehängt, wie es mit allen Piraten geschieht!«
Leon blieb ruhig. Nicht eine Muskel seines feingeschnittenen Gesichtes zuckte.
»Monsieur«, sagte er, »es ist mir zu dumm, Euch zu geben eine Antwort darauf. Ihr wart auf eine von Eure Schiffe, als uns der richtige Pirat 'at angegriffen und zwei 'at versenkt. Ick bin gefahren als eine Köder für die Pirat. Meine Schiff war fast die ganze Zeit zusammen mit Ihre Schiff. Sie 'aben gese'en, wie Pirat kammit seine schwarzrote Segler hinter die Vulkan vor. Und ick stand mit meine Schiff auf die gleiche Zeit vor die Vulkan. Non, Monsieur, es ist mir zu dumm.«
Die Wahrheit dieser Worte war nicht anzuzweifeln.
»Stimmt«, sagte Termeulen verlegen.
»Hm«, machte der Reeder und stand unschlüssig.
Aber der Zweite Offizier der »Utrecht« wußte, was er gehört hatte. Er wollte sich von keinen noch so klaren Indizien ins Bockshorn jagen, lassen.