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»Weshalb gebt Ihr nicht zu, daß Euch nachts auf der Straße jene Dame, die uns leider entkommen ist, als Dieuxdonne bezeichnete?« fragte er.

Auf Leons Gesicht trat erneut das Lächeln, etwas spöttisch und überlegen. Er zuckte die Schultern und blieb stumm.

»Gebt es doch zu«, sagte Termeulen. »Diese Lüge belastet Euch unnötig!«

»Es geben Dinge im Leben, die eine Kavalier niemals zugeben«, sagte Leon de Musset. »Und wenn Ihr mir hängen wollen. Ick 'abe nix gese'en Dame auf die Straße.«

Der Pfeifer hatte Teile der in holländischer, mit französischen Brocken durchsetzten Sprache verstanden. Er stand im Hintergrund und betrachtete den eleganten Franzosen. Der Mann war ihm ausgesprochen sympathisch, viel sympathischer jedenfalls als die Holländer, die jetzt unbegründet wütend wurden. Van Groots Züge verzerrten sich. Termeulen wurde puterrot im

Gesicht. Und obwohl es ihnen nach dem Gesagten hätte vollkommen klar sein müssen, daß Leon nicht auf ihre Schiffe geschossen hatte, vergaben sie ihm sein Leugnen in diesem einen Punkt nicht. Mochte dieser auch noch so belanglos sein. Sie fühlten sich eben gekränkt.

Van Groot machte seinem Unmut Luft.

»Abführen!« schrie er aufgebracht.

Und der Sergeant führte ihn ab.

Der Pfeifer drehte sich angewidert zur Seite. Und für diesen Burschen sollte er kämpfen? Er hatte auf einmal keine Lust mehr. Wer sich so ungerecht gegen andere Menschen benahm, brauchte nicht selbst auf seine Rechte zu pochen.

Er wandte sich zum Gehen. Aber Termeulens Stimme hielt ihn zurück.

»Was machen wir nun, da wir das vierte Schiff zum Kampf gegen Dieuxdonne nicht haben?«

»Kampf gegen Dieuxdonne? Ich denke, Sie haben ihn soeben verhaftet! Gegen einen Verhafteten braucht man nicht zu kämpfen!«

»Unsinn«, sagte Termeulen. »Er ist doch nicht Dieuxdonne.«

»Weshalb sperren Sie ihn dann ein?«

»Weil er die Begegnung mit der Frau leugnet.«

»Hören Sie«, sagte Michel scharf, »wer gibt Ihnen das Recht, einen Menschen so zu behandeln, weil er etwas nicht zugeben will, was Sie gar nichts angeht?«

»Das ist unsere Sache, Herr, hier entscheiden wir.«

»Nun, dann entscheiden Sie ohne mich. Guten Abend.«

Michel ging.

61

Ellen-Rose hatte, in einer Mauernische verborgen, die Verhaftung miterlebt. Sie machte sich die bittersten Vorwürfe. In ihren Augen war der Mann wirklich Dieuxdonne. Es konnte nicht anders sein. Sie kannte ihn zu gut, als daß eine Verwechslung möglich gewesen wäre.

Was sollte sie tun? Dieuxdonne war durch ihre Schuld in diese Situation geraten. Irgend jemand hatte gehört, wie sie ihn mit seinem Piratennamen angesprochen hatte.

Sie folgte in sicherem Abstand der Wachabteilung. In das Wachlokal konnte sie freilich nicht.

Sie zögerte. Sollte sie vielleicht doch hineingehen und einfach zugeben, daß sie diejenige war, die »Dieuxdonne« mit Dieuxdonne verwechselt hatte. Sie verwarf diesen Gedanken wieder. Man würde sie dann ausfragen, woher sie Dieuxdonne kenne. Man würde sie zwingen, alles zu berichten, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Man konnte sie der Mannschaft gegenüberstellen, von denen einige von der Besatzung der »Utrecht« sie kannten und gesehen hatten, als sie unter der Persenning des Rettungsbootes hervorkletterte. Nein, sie konnte ihm nicht helfen. Vielleicht erpreßte man von ihr gar den Standort des Schiffes.

Sie wollte ihre Dummheit wieder gutmachen und sofort eine Nachtwanderung antreten, um in die Bucht zu gelangen, wo der »Schwarzrote« vor Anker lag. Pierre, der alte Oberbootsmann, würde sicher Rat wissen.

Sie schlich sich in das Hotel zurück. In ihrem Zimmer kleidete sie sich um. Der verschlafene Nachtportier erkannte sie nicht wieder, als sie in einem gut sitzenden Herrenanzug mit breitem Sombrero auf dem Kopf durch die Pforte schritt. Nächtliche Besucher, die kamen und gingen, waren in dem geschäftigen »Adlon« keine Seltenheit.

Das Mädchen stapfte durch die Nacht nach Osten. Als die Sonne heraufkam, sank sie todmüde neben einem Mangrovenstamm zu Boden und schlief ein.

Aber das Unterbewußtsein blieb wach und wirkte wie ein Wecker. Sie taumelte nach einer Weile hoch, blieb eine Sekunde stehen und fühlte sich erfrischt, obwohl sie nur etwa eine halbe Stunde geruht hatte. Sie ging weiter.

Es war heiß. Und gegen Mittag widerstand auch der weiße Tropenanzug nicht mehr den unbarmherzigen Sonnenstrahlen. Sie warf die Jacke ab und ließ sie liegen. Das eng geschlossene Hemd, das sie anstelle einer Bluse trug, drückte gegen den Hals. Sie riß den Kragen auf. Sie trat in einen Wald ein. Es war kein Dschungel. Dennoch hinderte das Unterholz sie am schnellen Vorwärtskommen.

Gegen Abend verspürte sie Durst und Hunger. Sie fand keine Quelle und auch nichts Eßbares. Um Mitternacht begann sie erbärmlich zu frieren. Die Kühle der Nacht war empfindlich und schien durch die Haut zu dringen. Sie machte sich bittere Vorwürfe, weil sie die Jacke achtlos weggeworfen hatte.

»Halt«, rief plötzlich eine Stimme. »Wer ist da?«

»Ellen-Rose«, wimmerte sie. Sie hatte die Bucht fast erreicht. Dieuxdonne hatte die Aufstellung von Wachen befohlen, um auch von der Landseite her gesichert zu sein. »Ah, oui, Mademoiselle«, meinte der Posten freundlich und dankte dem Schicksal, daß es das Mädchen gerade hier an der Stelle, wo er als Wache aufgezogen war, ohnmächtig werden ließ. Er hob sie mit zarten Händen auf und trug sie, nicht ohne der Bewußtlosen einen gehauchten Kuß geraubt zu haben, zum Ufer der Bucht.

»Hol über!« brüllte er dann mit dem Aufwand seiner gesamten Lungenkraft.Bald war ein Boot zur Stelle. Ellen-Rose lag in tiefem Schlaf. Ihre Brust wogte. Feurige Blicke verschlangen ihren Körper. Die Piraten Dieuxdonnes waren allesamt Franzosen. Und mochte man sonst auf Piratenschiffen auch meistens Typen finden, die einander an Häßlichkeit übertrafen, in diesem Fall war es anders. Die Franzosen wirkten bis zum Moses hinunter alle galant und elegant. Wohl, sie waren wilde Gesellen; aber bei aller Wildheit wirkten sie nicht abstoßend. Mit einer Ausnahme allerdings: Pierre. Aber auch er war galant und höflich, ein Mann, der auf dem Montmartre genauso zu Hause war wie auf den sieben Weltmeeren.

Hände, die gewohnt waren, Frauen in den Armen zu halten, betteten sie in das Boot. Die Ruderer legten sich in die Riemen, daß die Holmen knarrten.

Es dauerte nicht lange, so hatten sie den »Schwarzroten« erreicht. Von oben wurde die Gangway hinuntergelassen. Das Mädchen wurde an Bord getragen.

Pierre benachrichtigte sofort den Kapitän. Rene ging zu ihr in die Kajüte, zog sich einen Schemel heran, setzte sich dicht neben ihr Bett und beobachtete die Frau, deren Vorhandensein ihm nun schon seit Tagen die Ruhe raubte.

Ein Lächeln lag auf seinem schönen Gesicht. Nach einer kleinen Weile fuhr er mit der Hand sacht streichelnd über das blonde Haar der Chansonette.

So sanft die Berührung auch war, Ellen-Rose schlug die Augen auf und sah auf Rene.

Plötzlich fuhr sie auf. Ungläubiges Erstaunen lag in ihrem Blick.

»Ihr seid hier? — Seid nicht gefangen?«

Das Erstaunen war jetzt auf Renes Seite.

»Gefangen? Wovon sprecht Ihr?«

Sie fuhr sich mit beiden Händen nach dem Kopf und preßte sie vor die Stirn.

»Und ich — — ich habe den ganzen Weg, diesen Höllenweg von Batavia bis hierher umsonst gemacht, weil ich fest daran glaubte, daß Ihr gefangen seid, nachdem ich Euch auf der Straße mit Dieuxdonne angesprochen hatte.«

»Auf welcher Straße, Mademoiselle?«

»Die vom »Adlon« zum Hafen führt. In Batavia.«

Rene wurde nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf.

»Berichtet«, sagte er kurz. »Was bringt Euch so aus der Fassung?«