Sie glaubte, daß es das beste wäre, wenn sie ihre Erlebnisse der Reihe nach wiedergab. Sie sprach davon, wie sie zwei Tische weiter als der Holländer mit seinen Gesprächspartnern im blauen Salon gesessen, wie sie gehört und gesehen hatte, welche Pläne zur Vernichtung Dieuxdonnes in Gegenwart eben dieses Dieuxdonne, wie sie meinte, ausgetüftelt worden waren, wie sie hinausgegangen war, um in der Halle auf den vermeintlichen Dieuxdonne zu warten, und so weiter.
Rene kaute an einem Stückchen Holz. Das Mahlen seiner Zähne war deutlich zu vernehmen. Seine Erregung wuchs im Lauf der Schilderung. Als sie geendet hatte, meinte er: »Ich glaube Euch jedes Wort, ja, selbst meine Gefangennahme. Wir werden noch in dieser Nacht auslaufen, um mich zu befreien. Die ganze Angelegenheit wäre zum Lachen, wenn sie nicht so fatal wäre. Weshalb sind diese Preußen eigentlich gegen mich? Was habe ich ihnen getan? Was geht sie Dieuxdonnes Kampf gegen die Reederei an? — Freilich, die Herrschaften aus Deutschland mischen sich immer in Dinge, die ihnen gleichgültig sein könnten. Sie haben sich seit je gern als Polizei aufgespielt. Nun, diesmal werden sie keine Freude daran haben.«
»Der Kommandant dieses preußischen Geschwaders macht einen guten Eindruck«, sagte EllenRose. »Er blickt offen drein und hat ein ehrliches Gesicht.«
»Oui, das haben sie alle. Ich kenne die Geschichten um den Marquis von Brandenburg. Er ist ein großer Feldherr, ein Philosoph und Staatsmann. Er hat unseren berühmten Voltaire an seinem Hof gehabt. Ich glaube, er ist jetzt schon tot, und ist wahrscheinlich ein feiner Mann gewesen; aber trotzdem sehe ich nicht ein, weshalb sich seine Leute um unsere Angelegenheiten in Niederländisch-Indien kümmern sollen. Allons, ich werde ihnen die Suppe versalzen. Euch, Mademoiselle, danke ich sehr. Ihr habt Euern Auftrag lobenswert ausgeführt.« Sie verzog die Lippen. Man konnte nicht recht sehen, ob es ein Lächeln sein sollte. Sie fragte: »So werdet Ihr mich nicht hängen?«
»Oh, Mademoiselle«, rief er aus, »wo denkt Ihr hin! Eine so schöne Dame wie Euch hängen, welcher Franzose könnte das?« »Nun, Ihr wolltet es doch!«
»Keine Spur! Der einzige Tod für Euch wäre, totgeküßt zu werden.« »Monsieur!« Ihre Augen funkelten. Er verbeugte sich tief.
»Nicht jetzt, Mademoiselle, später, wenn Dieuxdonne frei ist und die Preußen außer Gefecht gesetzt sind.«
Er verließ ihre Kabine und rief nach Pierre. Der Bärtige kam.
»Auf, mon ami, laß mein Schiff klarmachen. Wir segeln nach Batavia. Wir müssen Dieuxdonne aus dem Gefängnis holen. Mademoiselle Ellen-Rose hat gesehen, wie sie ihn eingesperrt haben.« Pierre machte zwar große Augen, seine Überraschung schien aber weniger der Tatsache zu gelten, daß Dieuxdonne von »Dieuxdonne« sprach, als vielmehr der Verhaftung. Es war noch nicht eine Stunde seit Ellen-Roses Ankunft vergangen, als der »Schwarzrote« aus der Bucht lief und der See zustrebte. Es herrschte ein rauher Wind. Und so kam der Segler schnell vorwärts.
An Seilen befestigt, hingen die Leute außenbords. In den Händen hielten sie große, breite Pinsel. Die Kalkfarbe wurde in breiten Schichten an die Bordwände geschmiert. Der Tag graute noch nicht, da stand man bereits auf der Höhe von Batavia.
62
Rene stieg in ein Boot und ließ sich mit schnellen Schlägen an Land rudern. Dann hallten seine eiligen Schritte durch die nächtlichen Straßen. Er ging zum Hotel »Adlon«. Neben diesem lag ja — nach Ellen-Roses Beschreibung — das Wachlokal, in dem man Leon, seinen Doppelgänger, gefangenhielt.
Dieuxdonne lockerte die Pistolen in seinem Gürtel. Mit leisen Sohlen schlich er die wenigen Stufen hinauf. Dann riß er mit plötzlichem Ruck die Tür auf und stand vor zwei verschlafen dreinblickenden Soldaten, die ihre Verblüffung nicht verbergen konnten.»Ich hoffe, ich habe euch nicht im Schlaf gestört, meine Herren?« sang er mit leiser Stimme, deren Drohung nicht mißdeutet werden konnte. Die bereit gehaltenen Pistolen unterstrichen noch seine wahren Absichten.
»Wa--was--wollt Ihr, Mynheer?« fragte ein Sergeant.
»Sorgt erst einmal dafür, daß Eure Leute nicht wach werden. Ich benutze Euch als Geißel. Wenn mir jemand droht, so habt Ihr ein Loch im Bauch.«
Der Sergeant wollte, als treuer Soldat, diese Warnung nicht beachten. Seine Gestalt straffte sich, und er meinte mit durchaus nicht gedämpfter Stimme: »Ich verhafte Euch, Monsieur!«
Einige der auf den Pritschen liegenden Männer rekelten sich. Der laute Ton der Stimme war in ihren Schlaf gedrungen, reichte aber nicht aus, um sie vollends aus dem Land der Träume in die Wirklichkeit zu befördern.
Dieuxdonne stand mit einem Sprung bei dem Sergeanten und preßte ihm die Pistolenmündung auf den Bauch.
»Ihr glaubt wohl, ich scherze, wie?« zischte er. »Los, gebt mir Monsieur de Musset heraus, sonst bekommt Ihr es mit dem wirklichen Dieuxdonne zu tun.«
Jetzt erst warf der Soldat einen Blick auf das Gesicht des Eindringlings. Und da bemerkte er, daß jener eine rote Augenklappe über dem linken Auge trug und ein mit Ruß geschwärztes Gesicht aufwies.
Dem Sergeanten wurden die Knie weich.
Fester drückte sich der Lauf der Pistole in seine Bauchgegend.
»Na, wird's bald?«
»Ich mache — — mache mich strafbar«, meinte der Sergeant mit ängstlich leise gehaltener Stimme, »wenn ich Mynheer de Musset herausgebe.«
»Redet kein dummes Zeug. Ihr habt Euch strafbar gemacht, als Ihr ihn auf Geheiß einer Privatperson ohne Urteil und Beweis seiner Schuld festhieltet. Ich bin Dieuxdonne, und ich dulde nicht, daß andere an meiner Statt verhaftet werden, weil Ihr nie imstande sein werdet, den echten zu fangen. Nun los, heraus mit Monsieur de Musset!«
Schwer atmend wandte sich der Sergeant dem neben ihm stehenden, zitternden Soldaten zu, einem ganz jungen Bürschchen noch, das wahrscheinlich bisher noch keine Kugel pfeifen gehört hatte.
»Nimm die Schlüssel, Jan, und hol' den Eingesperrten heraus; aber leise, damit die anderen nicht wach werden.«
Jan nickte. Dieuxdonne glaubte nicht, befürchten zu müssen, daß der Junge hinterhältige Gedanken habe. Er schien wahrscheinlich froh zu sein, wenn ihm niemand etwas tat.
Rasch öffnete er die Tür, die auf den Zellengang führte.
Der Mann mit der roten Augenklappe blieb unbeweglich stehen. Seine Blicke hielten den Sergeanten fest. Dieser rührte sich jedoch nicht.
Dem Seeräuber wurde das sture Benehmen des Sergeanten zuviel. Er machte mit dem Lauf der Pistole eine Bewegung zur offenen Tür hin und sagte leise:
»Los, folgt dem Soldaten. Oder meint Ihr, ich würde allein nachgehen und Euch die Möglichkeit lassen, inzwischen die ganze Wache zu wecken?«
Widerstrebend gehorchte der Sergeant. Als sie den Gang betraten, hörten sie weiter unten schon das Klirren eines Schlüsselbundes. Dann quietschte eine Tür in den Angeln. Jan stand vor der offenen Zelle und leuchtete mit einerLaterne hinein. Es rührte sich nichts darin. Erst als Dieux-donne und der Sergeant näher kamen, arbeitete sich unter einem Haufen alter Decken eine Gestalt hervor und blinzelte ins Licht.
»Mon Dieux«, hörte man sagen, »lassen Sie mich nicht schlafen einmal in die Nacht! Was wollen Sie?«
Der Sergeant und Jan blieben stumm. Dieuxdonne sagte auf französisch:
»Besinne dich nicht lange, mon ami. Noch steht die Tür zu deiner Freiheit offen; aber ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand andauern wird. Voila, eil dich!«
Der Gefangene horchte beim Klang dieser Stimme überrascht auf.
Ein Ruf drängte sich von seinen Lippen; aber er unterdrückte ihn. Einen Augenblick später stand er neben dem Befreier. Jan und der Sergeant erhielten einen Stoß und taumelten in die Zelle. Der Schlüsselbund drehte sich, und sie waren gefangen.
»Vite, vite«, sagte Dieuxdonne und stürmte, des Geräusches seiner Schritte nicht achtend, den Gang entlang durch die Wachstube.