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Der eine oder andere der auf den Pritschen liegenden Soldaten wurde langsam wach; aber seine Augen reagierten nicht schnell genug, um die Flucht der beiden wahrzunehmen. Dieuxdonne und der Befreite hatten die Straße erreicht und rannten hinunter zum Hafen. Mit einem Satz waren sie im Boot. Im Osten graute schon der Morgen.

Auf den drei Schiffen, der »Trueno«, der »Mapeika« und der »Dimanche«, erwachte das erste Leben. Auf der »Trueno« bemerkte ein Wachtposten voller Erstaunen ein mit hastigen Ruderschlägen getriebenes Boot, das jenem weißen Schiff zuzustreben schien, das draußen vor dem Hafen lag. Dieses Schiff hatte volle Segel gesetzt und schien nur darauf zu warten, im nächsten Augenblick auf die offene See hinauszustürmen.

»Rene«, sagte Leon de Musset zu Dieuxdonne, »wie konntest du von meinem Pech so schnell Kenntnis erlangen?«

Dieuxdonne entledigte sich der Augenklappe und lächelte dem Befreiten zu, unterdes die Ruderer sich mächtig in die Riemen legten.

»Erinnerst du dich der Frau, die dich in der Nacht mit mir verwechselte?« »Natürlich. Ihr habe ich ja mein Pech zu verdanken.«

»Aber auch deine Befreiung. Sie gehört zu unserer Mannschaft, eine tüchtige Spionin, die ich auf van Groot angesetzt hatte.«

»Na, so tüchtig ist sie nun auch wieder nicht. Sonst hätte sie mich nicht mit dir verwechselt!« Das Boot legte am »Schwarzroten« an.

Dieuxdonne enterte rasch die Strickleiter hinauf. Das Boot stieß wieder ab und führte Leon de Musset zu seinem eigenen Schiff. Dabei mußten sie dicht an der »Mapeika« vorbei. Die Glocke glaste gerade zum achtenmal, als an Bord der »Mapeika« die abgelöste Wache das Boot wahrnahm. Der Posten rief den Mann, der für ihn aufgezogen war. Beide standen nebeneinander an der Reling und beobachteten, wie das Beiboot Richtung auf Mussets Schiff nahm. »Teufel«, sagte der eine, »sitzt da nicht der kleine Franzose drin, den sie gerade erst verhaftet haben, dieser Seeräuber, den wir jagen sollen?«

»Ich glaube, ich wecke Don Hidalgo. Er wird wissen, ob wir da etwas unternehmen müssen.«Leon hatte inzwischen sein Schiff erreicht. Er rief die Wache an, die ihm mit einem verhaltenen Jubellaut ein Tau zuwarf. In Sekundenschnelle hangelte sich der Kapitän an Bord. »Weckt die Leute. Wir müssen in wenigen Minuten klar sein zum Auslaufen. Sieh mal, wer da drüben auf uns wartet.«

Er deutete auf das weißgetünchte Schiff Dieuxdonnes. Der Matrose zuckte mit den Schultern. »Was meint Ihr, mon Capitain? Den weißen Kahn da vorn?« »Ja«, lachte Leon. »Sagt dir ein Blick darauf nichts?« Der Matrose schüttelte den Kopf.

»Du bist ein Esel, Henri«, meinte der Kapitän. »Wenn du dir die weiße Farbe wegdenkst, was könnte dann darunter sein?« »Ein brauner Rumpf.«

»Ah, braun, kein brauner. Ein schwarzer. Und auf hoher See führt er rote Segel.«

Der Mund des Matrosen stand weit offen. Es dauerte Sekunden, bis er erfaßt hatte, was für ein Schiff da vor seinen Augen lag.

»Dieuxdonne«, hauchte er.

»Du hast genug gestarrt. Weck jetzt die Mannschaft, sonst wird es zu spät.«

Der Himmel hellte sich immer mehr auf. An Bord der anderen im Hafen liegenden Schiffe zeigten sich verschlafene Gestalten.

Bei Musset wurde kein lautes Wort gesprochen. Unter Zeichen, die der Kapitän gab, wurden die Segel von den Rahen gerollt und in den Wind gestellt. Die Ankerkette quietschte, als man den schweren Anker einhievte. Dann setzte sich der Segler langsam in Bewegung. Unterdessen waren auf dem »Schwarzroten« die Kanonen klargemacht worden. Dieuxdonne wollte den Preußen zeigen, was es hieß, sich in Dinge zu mischen, die sie nichts angingen. Als Leons Schiff die Hafenausfahrt fast erreicht hatte, spien die Schlünde des »Schwarzroten« Qualm, Feuer und Kugeln.

Drüben auf der »Mapeika« gingen die Segel in Fetzen, stürzte die Flagge vom Mast, wurde die Hütte des Rudergängers getroffen.

Die Schiffsglocke läutete Alarm. Die Salve hatte den ganzen Hafen mobil gemacht. An Deck der Schiffe wimmelte es plötzlich von Menschen. Von droben her, wo die Seefestung lag, erschollen Trompetensignale. Die Soldaten rannten halbangezogen an die Geschütze und schwenkten sie ein; aber es war zu spät.

Der weißgetünchte »Schwarzrote« und Leon de Mussets Schiff hatten das offene Meer erreicht.

63

Marina und der Pfeifer verließen fast zu gleicher Zeit ihre Kabinen. »Was gibt es?« fragte die Gräfin.

»Ich weiß nicht mehr als Ihr. Ich hörte den Kanonendonner und zog mich sofort an. Kommt, wir wollen sehen.«

Auch Tscham war bereits auf den Beinen. Senor Virgen, Ojo und Jardin standen schon an Deck. »Man hat die »Mapeika« überfallen, Senor Doktor«, rief Ojo.

»Die »Mapeika«?« rief Michel zurück.»Ja. — Dort draußen schwimmen die Burschen.«

»Es waren mehrere?«

»Ein weißes Schiff und noch eins.«

»Also zwei.«

In diesem Augenblick rief Marina:

»Seht dort hinüber, Miguel, der Franzose ist weg!«

Michel wandte seine Augen dem Liegeplatz von Leon de Mussets Schiff zu. Es war verschwunden.

»Ich denke, Monsieur Musset ist eingesperrt«, wunderte sich Marina. »Das wird er auch sein. Vielleicht haben Piraten das Schiff gekapert.« »Dieuxdonne ! ?«

»Möglich; aber nicht wahrscheinlich. Weshalb sollte Dieuxdonne unsere »Mapeika« angreifen? Man sagt, daß er nur Schiffe der Reederei van Groot aufs Korn nimmt.« Er wandte sich an Ojo. »Mach ein Boot klar, amigo, ich will hinüberfahren zur »Mapeika«, um selbst zu sehen, was los ist.«

Ojo gab seine Anweisungen.

»Sollen wir inzwischen klarmachen zum Auslaufen, Senor Doktor?« ließ sich die Stimme des kleinen Jardin vernehmen.

Der Pfeifer überlegte. Sollte er einfach den Hafen verlassen, ohne mit van Groot gesprochen zu haben? Vielleicht würde dieser ihm die Aktion auf eigene Faust verübeln. Ach was, er mochte den Reeder nicht. Er war schließlich Zeuge gewesen, wie dieser mitsamt seinen Leuten das Recht gebeugt hatte, gebeugt kraft seines Geldes und seines Ansehens, als er zuließ, daß Leon de Musset, dessen Unschuld für ihn, Michel, feststand, ins Gefängnis geworfen wurde. »Ja«, meinte er, »bereiten wir uns auf sofortiges Auslaufen vor. Ich werde gleich feststellen, wieweit die »Mapeika« operationsfähig ist.« Er blickte durch das Rohr hinüber. »Die Beschädigungen scheinen geringfügig zu sein.« Er ließ sich am Tau hinab und sprang ins Boot.

Auf der »Mapeika« war der Teufel los. Das Schiff glich einem Bienenhaus, in das ein fremdes Insekt eingedrungen war. Vor allem fand niemand eine Erklärung für das merkwürdige Benehmen der flüchtenden Schiffe.

Kapitän Porquez sprach mit Don Hidalgo, seinem Steuermann.

»Es sind nur kleinere Schäden, Capitan«, meinte Don Hidalgo, »es sah schlimmer aus, als es tatsächlich ist. Ein paar Segel, ein Stück vom Toppmast und die Flagge. Es ist nichts.« Kapitän Porquez schüttelte den Kopf. »Und niemand verletzt?« fragte er. »Nein.«

»Bueno, gehen wir wieder schlafen. Es ist noch sehr früh. Aber weshalb uns die Burschen eine Breitseite auf den Hals geschickt haben, ist mir unbegreiflich.«

Er wandte sich ab. Da meldete ihm ein Matrose, daß der Senor Doktor auf dem Weg zur »Mapeika« sei. Porquez trat an die Reling und reichte dem an Bord Kletternden die Hand. »Nun, Senor Porquez, was ist geschehen?«

Der Kapitän berichtete. Er sprach von der Angelegenheit, als ginge sie ihn nichts an. »Habt Ihr Euch Gedanken darüber gemacht, wer der Angreifer sein könnte?« »Nein. — Vielleicht irgendwelche von der englischen Ostindien-Kompanie gedungene Wasserbanditen.«

»Ihr habt nicht an Dieuxdonne gedacht?«

»Dieuxdonne? Meine Wache sagte, es sei ein weißes Schiff gewesen.»Dieuxdonne«ist doch schwarzrot.«

»Hm. — Auf alle Fälle muß es ein tollkühner Pirat gewesen sein, der so einfach in den Hafen kommt, ein Schiff kapert, auf ein anderes das Feuer eröffnet und dann verschwindet.« »Ein Schiff kapert? Hat er ein Schiff gekapert?«