Der Pfeifer stand neben seinem Begleiter. Marina, Jardin und Senor Virgen starrten ebenfalls voller Spannung hinüber.
Da sahen sie, wie der »Schwarzrote« einen Bogen beschrieb, nach Norden, und dann parallel mit der »Trueno« auf diese zusteuerte.
»Er stellt sich«, jubelte Ojo, »er stellt sich. Tapferer Bursche, er stellt sich! Adelante, amigos, an die Steuerbordgeschütze, und zielt gut. Wir werden ihm eins auf den Pelz brennen!« Der Kampf mit gleichen Waffen begann. Renes Armierung war ausgezeichnet. Die Kanonen hatten ein noch größeres Kaliber als die der »Trueno«. Und die Piraten schienen keine Furcht zu kennen. Sie schössen gut; aber ihnen fehlte ein Geschützmeister, wie Ojo einer war. An Zielsicherheit und schnellem Laden konnten sie es mit der »Trueno« nicht aufnehmen. Leon de Mussets Schiff hatte den Befehl, sich abzusetzen, befolgt. Leon stand auf dem Vorderkastell, mit dem Glas vor den Augen. Nachdem sie außer Gefahr waren, hatte er Befehl zum Backbrassen gegeben. Das Schiff lief also nur noch mit halber Fahrt. Sein Steuermann und Vertrauter stand neben ihm.
»Wir können doch Euern Bruder nicht im Stich lassen«, empörte er sich. »Wir müssen ihm zu Hilfe kommen. Koste es, was es wolle.«
Leons Züge waren wie im Schmerz verzerrt. Er biß die Zähne zusammen, und seine Lippen bildeten einen schmalen weißen Strich. Dann schüttelte er den Kopf.
»Non, mon cher Marcel, glaub mir, es wird mir schwer genug zuzusehen, wie mein Bruder ins sichere Verderben geht! Aber er würde mit einem Fluch auf den Lippen sterben, wenn van Groot zum Schluß doch noch über uns beide triumphieren würde.«
Marcel seufzte. Die Männer starrten mit finsteren Gesichtern hinüber, wo sich der fürchterliche Kampf zwischen der »Trueno« und dem »Schwarzroten« abspielte.
Die »Mapeika« und die »Dimanche« waren mittlerweile näher gekommen. Die »Mapeika« erhielt den Befehl, sich um die Schiffbrüchigen zu kümmern. Die »Dimanche« kam der »Trueno« zu Hilfe. Sie schlug ebenfalls einen Bogen, um auf die andere Seite des »Schwarzroten« zu gelangen. Jetzt lag Rene zwischen zwei Feuern.
Immer wieder polterten neue Aufbauten auf die Planken. Die roten Segel verwandelten sich in flammende Tücher. Kaum jemand hatte noch freie Sicht. Dennoch waren bisher nur wenige der Franzosen gefallen.
»Mon Dieux«, rief Pierre plötzlich erschrocken aus. Er war seinem Kapitän bisher nicht von der Seite gewichen. »Mon Dieux, mon Capitain, Mademoiselle Ellen-Rose — — wo ist sie?« Rene verfärbte sich.
Mit einem jähen Satz über Trümmer und Brände hinweg erreichte er den Eingang zum unteren Deck. Weiter stürmte er, vorbei an den Kabinen und erreichte die Kajüte, in der sich Ellen-Rose befinden mußte. Er riß die Tür auf.
Da stand das Mädchen, hatte einen Säbel in der kleinen Hand und schrie:
»Lebend kriegt ihr mich nicht!«Sie stürzte sich mit dem Mut der Verzweiflung auf Dieuxdonne.
Der fing den Säbelhieb mit dem Lauf seiner Pistole geschickt auf und rief:
»Halt ein, Mädel, halt ein! Ich bin es, Rene!«
Sie starrte ihn an, der, geschwärzt von Pulverrauch und schweißverklebt, vor ihr stand. »Du bist es?«
Sie sank in seine Arme. Und mitten im Donner der Kanonen fanden sich ihre Lippen. »Was wird deine Braut dazu sagen?« lächelte sie.
»Oh, sie wird nichts mehr sagen können, denn diesmal überleben wir den Kampf nicht.« Sie klammerte sich fester an ihn. Er sagte hastig: »Komm an Deck!« und zerrte sie mit sich. Draußen rief er Pierre zu: »Wir müssen sie in Sicherheit bringen, aber wie?«
Er hatte französisch gesprochen, und so verstand sie ihn nur halb. »Fragt die Preußen, ob sie eine Kampfpause genehmigen!« »Glaubt Ihr, sie werden es tun?« »Sicher.«
Rene zerrte sie weiter, bis sie auf der Back standen. Plötzlich schwenkte er ein weißes Tuch. — Jardin sah diese Bewegung zuerst. Der Qualm verzog sich; denn der »Schwarzrote« hatte das Feuer eingestellt. »Feuer stop«, rief er Ojo zu.
Der starrte ihn an, als habe er einen Verrückten vor sich, und kümmerte sich nicht um den Befehl des Kleinen.
»Stell das Feuer ein!« schrie ihn Jardin an. »Da drüben ist eine Frau an Bord.«
»Geh zum Teufel!« rief Ojo erbost zurück. »Noch fünf, sechs richtige Breitseiten, und sie sind erledigt.«
Jardin suchte den Pfeifer. Er berichtete ihm. Michel war damit beschäftigt, die Verwundeten zu versorgen.
Er sprang auf und eilte auf Ojo zu. »Feuer einstellen!« befahl er ihm energisch. Ojo zuckte beleidigt die Schultern und schrie:
»Feuer einstellen, amigos! — Wegen eines dämlichen Frauenzimmers den schönen Kampf unterbrechen«, murmelte er leise für sich, rannte zu einer Taurolle, holte eine tönerne Flasche hervor und benutzte die Pause, um einen kräftigen Zug zu tun.
Die Besatzung der »Trueno« stand fast vollzählig an der Reling. Alle starrten hinüber, wo über der Back des »Schwarzroten«, einen halben Meter seitlich von Dieuxdonne, eine Frau stand. Dieuxdonne trat jetzt vor, ließ das weiße Tuch sinken, legte die Hände trichterförmig um den Mund und rief auf englisch:
»Man sagt, die Preußen seien ritterliche Kämpfer. Wir wissen, daß wir unterlegen sind; aber wir werden weiterkämpfen. Nur bitten wir euch, diese Dame hier an Bord zu nehmen und in Sicherheit zu bringen.«
Er beugte sich lauschend vor und wartete auf Antwort. Dann kamen die Worte des Pfeifers. »Wir sind einverstanden. Setzt ein Boot aus und laßt die Dame von Euern Leuten herüberbringen. Der Kampf ruht, bis Eure Männer wieder an Bord sind.« »Merci bien«, rief Rene und grüßte mit weit ausholender Handbewegung, wobei er es sich nicht nehmen ließ, eine höfliche Verbeugung zur »Trueno« zu machen.
Unterdessen hatte man auf der »Dimanche« gemerkt, daß irgend etwas anders war. Abu Hanufa gab den Befehl zur Einstellung des Feuers. Und sofort schwiegen auch Dieuxdonnes Backbordgeschütze.»Ein ehrlicher Kämpfer und ein tapferer Mann«, stellte Ibn Kuteiba fest, und Hochachtung schwang in seiner Stimme mit.
Ellen-Rose, die jetzt erst merkte, was Rene ausgehandelt hatte, klammerte sich mit einem verzweifelten Aufschrei an ihn. Ganz zart strichen die rußgeschwärzten Finger Renes über das blonde Haar des Mädchens, und seine Lippen flüsterten:
»Es muß sein, Ellen-Rose. Du bist zu jung, um schon zu sterben.«
Von der »Trueno« her beobachtete man durch die Gläser alle Einzelheiten dieser Abschiedsszene.
»Die Geliebte des Piraten«, stellte Marina fest, wobei sie Michel anblickte. »Es muß schön sein, so geliebt zu werden. Könnte man dem Piratenkapitän und seinem Mädchen nicht das Leben schenken?«
»Ich habe nicht den Eindruck, daß er bereit wäre, sich zu ergeben«, sagte Michel. »Außerdem würde ihm das auch nichts nützen; denn van Groot brennt wahrscheinlich darauf, ihn hängen zu sehen.« —
Van Groots Flaggschiff, das durch einen Schuß ins Ruder schon seit Beginn der Schlacht manövrierunfähig geworden war, hatte Boote ausgesandt, um im Verein mit der ihm zu Hilfe geeilten »Mapeika« die von Bord gesprungenen Seeleute der brennenden Schiffe zu retten. Als drüben die Kampfpause einsetzte, stampfte van Groot zornig mit dem Fuß auf. »Was ist in den Preußen gefahren? Sie werden doch nicht etwa den Verbrecher entkommen lassen.«
Auf Frans Termeulens Stirn hatten sich tiefe Falten gebildet. »Ich habe den Eindruck«, sagte er, »daß die Burschen verhandeln.«
»Haha«, lachte der Reeder bitter auf. »Das ist nun die vielgerühmte preußische Tapferkeit! Man sollte meinen, daß es ihnen ein Bedürfnis wäre, ihre Erzfeinde, die verdammten Franzosen, in den Grund zu bohren.«
»Ich fürchte«, sagte Termeulen, »dieser Kommodore hat überhaupt keine solchen Bedürfnisse.« »Es ist und bleibt eine Schande, daß sie uns zu Anfang im Stich gelassen haben! Da, seht Euch das an, Frans, was von der stolzen Flotte unserer Reederei nun übriggeblieben ist! Aber immerhin, wenn Dieuxdonne fällt, so können wir wenigstens mit Ruhe von neuem beginnen. Ich bringe das dazu nötige Kapital schon noch einmal auf die Beine.« »Gott geb's«, nickte Frans. —