Die Obereinkunft zwischen der »Trueno« und dem »Schwarzroten« war abgeschlossen. EllenRose befand sich wohlbehalten an Bord.
Michel rief, bevor die Feindseligkeiten wieder auflebten, hinüber: »Ergebt Euch, Dieuxdonne, Ihr habt keine Chancen mehr!« Rene antwortete lachend:
»Ergeben? Wozu? Um in Batavia am Galgen zu enden?« »Ich werde versuchen, Euch zu verteidigen.«
»Das ist sehr edel von Euch; aber gegen den abgefeimtesten Schurken Hollands, diesen van Groot, würdet Ihr nicht aufkommen.« »Was habt Ihr gegen van Groot?« Wieder kam das Lachen.
»Es ist so viel, daß ich Stunden brauchen würde, um es Euch auseinanderzusetzen. Ich schätze, Ihr werdet nicht so lange warten wollen. Aber wenn Ihr mich zuNeptun geschickt habt, und solltet Ihr Leon de Musset je in Euerm Leben wieder begegnen, so laßt es Euch von ihm erzählen. Dann werdet Ihr einsehen, daß Ihr auf der falschen Seite gekämpft habt.« »Weshalb habt Ihr heute morgen im Hafen eines meiner Schiffe angegriffen?« »Wegen eines Mißverständnisses. Die Dame, die jetzt neben Euch steht, berichtete mir, daß Ihr im blauen Salon des »Adlon« eine Absprache mit den Holländern gegen mich getroffen habt. Ich wollte Euch einen Denkzettel geben und erfuhr leider erst zu spät von Leon de Musset, daß Ihr Euch noch gar nicht klar entschieden hattet. — Nun also, schießt eine Salve über unser Grab, wenn der Traum vorbei ist. Es gilt. —»Feuer frei!«« schrie er.
»Haltet ein, haltet ein!« rief Michel; aber seine Worte gingen im Donner der Breitseiten unter.
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»Na, endlich«, sagte van Groot. »Ich dachte schon, sie würden sich verbrüdern.«
»Sie schießen wieder«, stellte Ibn Kuteiba fest.
»Steuerbordgeschütze, Feuer frei«, kommandierte Abu Hanufa.
Wieder brach der Kugelregen von beiden Seiten über den »Schwarzroten« herein.
Michel zuckte die Schultern.
»Schade«, sagte er. »Vielleicht hätte ich mich mit Dieuxdonne länger unterhalten sollen.« »Er scheint den Tod zu suchen«, sagte Marina nachdenklich.
Michel starrte in den Rauch. In seinem Innern meldeten sich Bedenken. Dieuxdonne hatte ihn dahingehend aufgeklärt, daß der Angriff auf die »Mapeika« einem Mißverständnis entsprungen war. Wieso machte er, Michel Baum, selbst Kommandeur von Piratenschiffen, sich zum Richter über einen Mann, der offensichtlich seine Gründe hatte, gegen van Groot zu wüten? Im Lärm der Geschütze wandte er sich an Ellen-Rose. »Excusez, Mademoiselle, darf ich Euch etwas fragen?«
Ellen-Rose verstand nicht genug Französisch, um die Frage zu beantworten. Sie zuckte die Schultern und sagte : »Kan nit verstaan.« »Do you speak English?«
»Englisch«, sagte sie auf niederländisch, »ein wenig.«
»Oder Deutsch?«
Ihr Gesicht erhellte sich.
»O ja, ich spreche Deutsch ganz gut.«
»Fein«, sagte Michel. »Bitte, erzählen Sie mir etwas über Dieuxdonne und seinen Haß gegen van Groot.«
»Oh, ich weiß nicht viel davon. Ich bin noch nicht lange bei ihm. Ich weiß nur, daß Leon und er Zwillingsbrüder sind. Van Groot muß ihrer Familie großen Schaden zugefügt haben: aber über Einzelheiten bin ich leider nicht unterrichtet.«
»Zwillingsbrüder«, rief Michel überrascht. »Dann wird mir vieles klar. Dann sind sie also beide Mussets--hm--und sie haben aus familiären Gründen einen Haß auf van Groot, sagen Sie. — Wie könnte man ihnen helfen?« Ihre Stimme war flehend, als sie jetzt sagte:
»Helfen Sie Rene! Er ist kein Verbrecher. Was nützt es Ihnen, wenn er stirbt?« Michel erwiderte nichts mehr darauf.Er überlegtebereits krampfhaft, wie er etwas zur Rettung des Franzosen unternehmen konnte. Er ließ das Mädchen stehen und rannte hinüber zu Ojo. Wie aus dem Boden gewachsen stand Marina neben Michel.
»Hört auf zu schießen!« schrie sie Ojo an. »Ich will das nicht! Ich kann es nicht ertragen, diesen jungen, tapferen Kapitän auf den Meeresgrund zu schicken.«
Zu Michels Erstaunen reagierte Ojo diesmal sofort. Im Gegensatz zu vorhin zuckte ein freudiges Licht über sein Gesicht. Auch ihm war der den Tod verachtende junge Mann da drüben sympathisch geworden. »Stopfen«, schrie er. »Feuer einstellen!«
Marina war mit wenigen Sdiritten zum Hauptmast geeilt. Unter dem Arm hielt sie ein Paket. —
Drüben sah man, wie die preußische Fahne am Mast hinunterglitt.
»Sie streichen die Flagge!« rief Pierre. »Sie streichen die Flagge! — Sie ergeben sich!«
Rene stand taumelnd auf der Back. Er blutete aus mehreren Splitterwunden.
»Sie müssen verrückt sein«, sagte er gepreßt. »In den nächsten Minuten hätten sie uns klein gehabt.«
»Da! — Da!« schrie Pierre erneut. »Eine neue Flagge steigt hoch.«
Rene betrachtete die Flagge eingehend. Irgendwo in seinem Innern tauchte eine Erinnerung daran auf. Er mußte sie schon einmal gesehen haben. Zumindest aber hatte er davon sprechen gehört.
»Die schwarze Flagge mit den beiden Händen«, murmelte er vor sich hin. »Teufel, Pierre — — mon Dieux — -ich werde verrückt! Weißt du, mit wem wir da angebunden haben? Mit dem berühmtesten Piraten des Atlantischen Ozeans. Jetzt wird mir manches klar. Das kann nur das Schiff der wilden Gräfin aus Andalusien sein.«
In diesem Augenblick rief einer der Kanoniere:
»Sie haben das Feuer eingestellt. Sollen wir weiterschießen?«
»Stopfen!« schrie Rene, aber es kam nur ein heiseres Krächzen aus seinem Mund.
Pierre wiederholte den Befehl. Und kurz darauf schwiegen die Geschütze.
»Kommando übernehmen«, konnte Rene noch zu Pierre sagen. Dann sank er zusammen. —
Auch Ibn Kuteiba und Abu Hanufa hatten Befehl gegeben, das Feuer einzustellen. Der arabische Steuermann stand unschlüssig neben dem Kapitän, der auch nicht wußte, was er von der Sache halten sollte. Ibn Kuteiba gab nach einer Weile an den Flaggast durch, daß er signalisieren solle, was los sei.
»Abwarten«, kam die Antwort.
»Bei Allah, sie haben die schwarz-weiße Flagge eingezogen«, staunte der Kapitän, als sich der Pulverdampf verflüchtigt hatte und die Sicht wieder einigermaßen klar war. — Michel hatte das Sprachrohr am Mund und rief:
»Dieuxdonne soll herüberkommen. Ich will mit ihm sprechen. Ich garantiere freien Abzug.«
»Der Kapitän ist schwer verwundet. Er kann nicht kommen«, rief Pierre zurück. »Wollt Ihr nicht mit mir verhandeln?«
»Schwer verwundet? Lebensgefährlich?«
»Ich weiß nicht. Ich bin kein Arzt.«
»Habt ihr keinen Arzt an Bord?«
»Nein.«
»Gewährt ihr mir ebenfalls freien Abzug, wenn ichnach drüben komme, um nach dem Verwundeten zu sehen?« »Unser Wort darauf.«
»Gut, ich komme. Ich werde ihm helfen. Ich bin Arzt. Verbandzeug an Bord?« »Ja.«
»In fünf Minuten bin ich drüben.« Er warf das Sprachrohr weg.
»Diaz, mach ein Boot klar! Schnell, drüben braucht jemand meine Hilfe.« »Sind viele Verwundete auf dem »Schwarzroten«?« fragte Marina. »Ich weiß es nicht. Aber es ist anzunehmen.«
»Gut, dann begleite ich Euch, Miguel. Laßt mich an Eurer Seite wieder einmal den Arztgehilfen spielen. Es ist lange her, seit ich es tat. Erinnert Ihr Euch noch?«
Sie lächelte. Und er lächelte zurück.
»Ich kann mich noch daran erinnern. Und wäret Ihr mein Heilgehilfe geblieben, so wären wir heute wahrscheinlich längst im Land unserer Sehnsucht, in Amerika. Ich möchte wissen, ob wir wohl jemals noch dahin gelangen werden.« »Böse?« fragte sie.