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»Nein. Man kann nicht für Jahre böse sein. — Bueno, kommt, das Boot ist klar.« —

Finstere Blicke trafen sie aus glühenden Augen, als sie an Bord kamen. Die Franzosen standen oder lagen an Deck. Wohl jeder von den Piraten hatte etwas abbekommen. Ihre Gesichter waren rußgeschwärzt. Und über diese Schwärze zog sich bei manch einem der Umstehenden ein dünnes Rinnsal Blut.

»Wo ist Dieuxdonne?« fragte der Pfeifer.

»In der Kajüte.«

Sie folgten ihm schweigend. Von den Leuten schien sidi jetzt niemand mehr um sie zu kümmern. Entweder hatten sie mit sich selbst oder mit der Löschung immer wieder aufflackernder Brände zu tun. Trotzdem fühlte Michel deutlich, daß Marina und er unter gesenkten Lidern hervor von aller Augen scharf beobachtet wurden.

Als er sich mit dem bewußtlosen Dieuxdonne beschäftigte, hielten alle in ihrer Arbeit inne, bereit, sich sogleich auf den Arzt zu stürzen, wenn dieser die Lage des Besinnungslosen für dunkle Zwecke ausnützen sollte.

»Sie scheinen ihren Kapitän zu lieben«, flüsterte Manna dem Pfeifer zu.

»Denkt, was Eure Leute in der gleichen Lage tun würden«, antwortete Michel ebenso leise.

»Stellt Euch das Gesicht von Ernesto vor oder das von Fernando.«

Er wusch die Wunden mit Wein aus. Die Verletzungen waren nicht lebensgefährlich; aber der Blutverlust hatte den Körper geschwächt. Zudem war Rene eine sehr schmale, feingliedrige und zarte Gestalt, der man ohnehin nicht allzu große Strapazen zutrauen würde. »Möchte wissen, wie ein solcher Mann dazu kommt, Pirat zu werden«, wunderte sich der Pfeifer. Dann wandte er sich zu Pierre und fragte diesen, ob er irgendwo einen Sdiluck Rum auf treiben könne.

Es dauerte nicht lange, und der Koch kam mit einem ganzen Tonkrug voll angelaufen.

Michel hob den Kopf des Bewußtlosen an und goß ihm das scharfe Zeug zwischen die Zähne.

Dieuxdonne erwachte fast augenblicklich.

Er lächelte, als er die Augen aufschlug. Sein Blick fiel auf Pierre.

»Ich danke dir, mon ami.«

Pierre stand verlegen da und stammelte irgendwelcheszusammenhangloses Zeug. Das einzige, was man verstehen konnte, war »mon Capitain«.

Als die übrigen wahrnahmen, daß Dieuxdonne erwacht war, schwand ihr Mißtrauen, und sie widmeten sich nun wirklich ihrer Arbeit.

Renes Blicke blieben erstaunt an dem Gesicht des Fremden über ihm haften. »Wer seid Ihr?« fragte er. »Der Arzt«, lächelte Michel. »Der Arzt? Welcher Arzt?«

»Der Arzt von der »Trueno«. Ich bin herübergekommen, um nach Euch zu sehen, als ich von Euerm Bootsmann hörte, daß Ihr bewußtlos wart. Ich hoffe, Ihr nehmt es mir nicht übel. Der Bärtige hat mir übrigens freies Geleit zugesprochen.« Rene lachte bitter.

»Freies Geleit?« spottete er. »Wie kann sich ein Sieger freies Geleit zusichern lassen?« Marina schaltete sich jetzt ein.

»Ich glaube, wir sprechen besser nicht von Sieger und Besiegtem. Wir haben einen Waffenstillstand geschlossen, aus dem vielleicht ein echter Friede werden kann.« Rene hatte sie bisher nicht bemerkt, da sie hinter ihm kauerte. Er wandte den Kopf nach hinten. In seinen Augen stand Überraschung.

»Ihr seid — — seid — — die spanische Gräfin, nicht wahr?« »Woher kennt Ihr mich?«

»Nun, wer hat noch nicht von der »Trueno« gehört? Ihr hißtet die berühmte Flagge. Daran habe ich Euer Schiff erkannt. Wie kommt es, daß Ihr unter preußischer Flagge segeltet? — Haben sich die Preußen Piraten zu Dienst verpflichtet?«

»Das ist nicht wichtig«, meinte Marina. »Vielleicht erklären wir Euch das später. Wollt Ihr mit auf unser Schiff kommen?«

Ein Erschrecken glitt über die Züge des Piratenkapitäns.

»Soll das heißen, daß ich gefangen bin? In diesem Fall hättet Ihr Euch nicht erst um mich zu bemühen brauchen. Ich sterbe lieber unter Pulverdampf, als daß ich mich in Batavia hängen lasse.«

»Hört vernünftig zu«, meinte Michel jetzt. »Wir sichern Euch freies Geleit zurück zu Euerm Schiff zu. Aber wir müssen uns mit Euch unterhalten. Wenn diese Unterhaltung so ausfällt, wie ich es mir vorstelle, dann können wir sogar als Freunde scheiden.«

»Was mischt Ihr Euch als Schiffsarzt in die Angelegenheiten des Kapitäns?« fragte Dieuxdonne ungehalten.

»Monsieur le docteur ist ein wenig mehr als nur Schiffsarzt«, sagte Marina. »Er ist nämlich nebenher auch noch der Kommodore unseres ganzen Geschwaders.«

»Mon Dieux, excusez, Monsieur. Das konnte ich natürlich nicht wissen. Admirale sehen im allgemeinen ganz anders aus als Ihr.«

»Ich bin es auch nur zeitweise. Macht Euch nichts daraus. Ich mache mir auch nichts daraus. — Nehmt Ihr unsere Einladung an?« »Oui, wenn Euer Wort gilt?«

»Es gilt. Laßt Euch in unser Boot tragen. Ich kann Euch zudem auf unserem Schiff besser behandeln. Ich habe dort mehr Mittel zur Verfügung.«

Dieuxdonne gab seine Anweisungen. Pierre machte zwar ein bedenkliches Gesicht, und die anderen murrten, aber Rene, der sich mühsam aufgerichtet hatte, meinte:

»Weshalb seid ihr mißtrauisch? Sie hätten uns jederzeit den Garaus machen können und können es noch. Wir sind also ohnehin in ihrer Hand. Steht nicht herum, mes amis. Seht lieber zu, was von den Aufbauten und auch sonst auf unserem Schiff noch zu retten ist. Vielleicht bekommen wir es wieder klar.«

Die Leute drehten sich ganz langsam um. Immer wieder wanderten ihre Blicke zu dem Kapitän. Nur zögernd machten sie sich an die Arbeit.

69

Van Groots Gesicht nahm einen erstaunten Ausdruck an, als er sah, daß man das Feuer zum zweitenmal eingestellt hatte. Frans Termeulen schaute angestrengt durch das Glas. »Signalisiert und fragt an, was das zu bedeuten hat«, wies er den Flaggast an. Aber sie erhielten keine Antwort. Jardin überlegte, was er ihnen antworten könnte, fand aber keine Ausrede. Außerdem wußte er nicht klar und eindeutig, was eigentlich gespielt wurde. Er wie Ojo konnten sich zwar denden, daß Marina und der Senor Doktor einfach keine Lust mehr hatten, gegen einen Gegner zu kämpfen, der — wie sich herausgestellt hatte — gar kein richtiger Feind war. Bei den eigenen Leuten erschollen bereits laute Sympathiekundgebungen für die ritterlichen Kämpen der anderen Seite. —

»Sie antworten nicht«, erwiderte der Signalgast auf Termeulens Frage.

»Sie antworten nicht«, äffte Termeulen wütend den Mann nach, der schließlich am wenigsten dafür konnte.

»Weshalb antworten sie nicht?« fragte van Groot töricht.

Termeulen zuckte die Schultern. Plötzlich fiel sein Blick auf die neue Flagge, die über den Toppen der »Trueno« wehte. Er hatte den Wechsel während der letzten Phasen des Kampfes nicht bemerkt.

»Seht durch das Glas, Mynheer«, wandte er sich an seinen Herrn. »Irre ich mich? Täusche ich mich? Narrt mich ein Trug? Sie fahren jetzt nicht mehr unter preußischer Flagge!« Van Groot riß ihm das Glas aus der Hand. Immer wieder starrte er kopfschüttelnd hindurch. »Was soll das? Was soll das nur bedeuten?« Sie waren ratlos.

»Laßt ein Boot klarmachen, Frans. Wir fahren hinüber.«

Sie fuhren hinüber. Sie kamen fast im gleichen Augenblick an wie Michel und Marina mit dem verwundeten Gegner. Nur von der anderen Seite.

»Hallo!« schrien sie unten. »Hallo! Laßt die Gangway herunter. Ich bin hier, Mynheer van Groot! — Hört ihr nicht? Mynheer van Groot möchte euern Kommodore sprechen!« Jardin wurde von einem Matrosen auf das Geschrei an der anderen Seite des Schiffes aufmerksam gemacht, während man drüben gerade damit beschäftigt war, den Verwundeten an Bord zu hieven. Er eilte nach Backbord und blickte hinab. Große Augen bekam der Kleine, als er den Holländer erkannte. Gerade jetzt würde ihn der Senor Doktor bestimmt nicht an Bord gebrauchen können. Er rief ihnen etwas auf spanisch zu, was sie nicht verstanden, und eilte hinüber nach Steuerbord, wo Michel gerade über die Reling stieg.»Der Holländer ist mit einem Boot auf der anderen Seite, Senor Doktor«, meldete er aufgeregt. »Laß ihn warten«, sagte Michel trocken. »Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit ihm zu unterhalten.«