»Aber sie schreien Zeter und Mordio, wenn wir sie nicht an Deck lassen.« »Laß sie schreien. Was gehen sie uns an? Haben wir nicht genug für sie getan?« Aber er ging doch hinüber.
»Ah, da seid Ihr endlich!« rief Frans Termeulen hinauf. Sein Ton war frech. »Muß Mynheer van Groot immer so lange warten, wenn er Euch zu sehen wünscht?«
»Ihr verkennt eure Lage«, antwortete Michel scharf. »Er hat gar nichts zu wünschen. Er kann höchstens bitten.«
Schweigen.
Der Pfeifer tat nichts. Er stand nur da und blickte hinab.
»Wollt Ihr uns nun an Bord lassen?« kam es gereizt von unten herauf.
»Wenn ihr wartet, bis meine Leute Zeit haben, um euch die Gangway hinabzulassen, so steht dem nichts im Wege.«
»Unverschämtheit !«
»Ich sagte bereits« — Michels Stimme war eisig — »ihr verkennt eure Lage. Hier an Bord befehle ich.«
Er wandte sich ab und dem unteren Deck zu. Sein Weg ging in die Krankenkoje, wo er EllenRose auf der weißen Pritsche sitzen sah. In den Augen des Mädchens stand der Ausdruck einer tiefen Liebe. Voller Angst fragte sie: »Steht es schlimm mit ihm, Herr Baum?«
»Gar nicht, mein Fräulein. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich möchte Sie bitten, uns jetzt allein zu lassen, da ich Monsieur Dieuxdonne gründlich untersuchen will.« Sie nickte und warf einen scheuen Blick auf den Geliebten, bevor sie ging. »Weshalb schickt Ihr sie hinaus?« fragte Rene.
»Ich möchte mich jetzt ungestört mit Euch unterhalten. Ich würde diese Unterredung gern hinausschieben, bis Ihr Euch erholt habt. Es geht aber nicht; denn ich muß wissen, woran ich mit van Groot und Euch bin. Van Groot wartet in seinem Boot an der Backbordseite, daß man ihn heraufkommen läßt.«
»Was habt Ihr davon, wenn ich Euch meine Lebensgeschichte erzähle? Das ändert nichts an der Tatsache, daß mein Leben bis zu dieser Minute allen formalen Gesetzen Hohn sprach. Dennoch bereue ich keinen Augenblick, was ich getan habe.«
»Ja, ja. Das ist alles richtig und schön. Mich interessieren die Gesetze der zivilisierten Länder nur nebenbei; denn sie werden von den Angehörigen der Regierungen, die sie selbst geschaffen haben, nur zu oft mißbraucht. Mich interessiert Euer eigenes Schicksal. Wenn ich weiß, was Euch treibt, dann kann ich vor mir selbst entscheiden, ob Ihr richtig oder falsch gehandelt habt. Und danach wird es sich richten, ob Ihr nur freies Geleit bis auf Euer Schiff bekommt oder ob wir als Freunde scheiden.« »Ihr maßt Euch also das Amt eines Richters an?«
»Nein. Ich will nur wissen, mit wem ich es zu tun habe. Jeder ist sein eigener Richter.« »Nun gut. Hört zu. Ich bin in der Bretagne geboren. Wir waren einst eine große und reiche Familie, weitverzweigt über ganz Nordfrankreich. Mein Vater war das Oberhaupt. Alles hing von ihm ab. Jeder hing an ihm. Und ohne ihn war unsere Familie nichts; denn sein Reichtum trug die Vettern, Onkel, Seitenlinien und so weiter. Mein Vater war ein großer Reeder, so groß wie van Groot jetzt ist. Damit nahm die Sache ihren Anfang. Sie befuhren die gleichen Linien. Sie kamen sich wirtschaftlich ins Gehege. Van Groot drohte meinem Vater, der doch ältere Rechte hatte. Mein Vater lachte und meinte, es gäbe genug Platz auf der Welt für zwei gleich große Reedereien. Van Groot steigerte sich in einen Haß hinein, der durch nichts begründet war. Und eines Tages schlug die Glocke in unserem Büro. Und vierzehn Tage später läutete sie wieder. Innerhalb eines halben Jahres gingen sieben Schiffe der Reederei de Mounsier verloren. Mein Vater verlor fast den Verstand. Er hatte keine Erklärung für diese Pechsträhne. Er beschloß, mit den letzten Schiffen selbst hinauszufahren und — — — « »Kam nicht wieder«, ergänzte Michel.
»Oui. Ihr habt recht«, sagte Rene schwer, »kam nicht wieder. Mein Bruder und ich gingen, nachdem meine Mutter vor Gram gestorben war, nach Amerika. Und hier trafen wir durch Zufall einen betrunkenen Matrosen, der uns berichtete, weshalb die Schiffe der Reederei von durch van Groot gedungene Piraten auf den Grund des Meeres geschickt wurden. Wir gaben uns nicht zu erkennen. Von diesem Tag an nannten wir uns nicht mehr Mounsier, sondern Musset. Ich ging eines Tages, nachdem wir nach Europa zurückgekehrt waren, nach Rotterdam. Verkleidet machte ich mich auf den Weg zu van Groot. Ich bot mich ihm als ehemaliger Kapitän der Reederei Mounsier an. Ein Patent konnte ich erbringen. Unsere Kapitäne standen im Ruf, gute Seeleute zu sein.
Van Groot nahm mich. Im Verlauf der Unterhaltung gab ich zu erkennen, daß ich Mounsier während meiner Zeit in seinen Diensten hassen gelernt hätte. Van Groot freute sich darüber. Und dann ließ er die Worte fallen: ,Da wird es Ihnen ja Freude bereiten, daß ich die Brut von den sieben Meeren entfernt habe. Sie waren Konkurrenten schlimmster Sorte, kann ich Ihnen sagen. Auf ihren Märkten hatte ich nichts zu bestellen. Nun, wir haben diese Konkurrenz ausgeschaltet, für immer ausgeschaltet. Sie sind erledigt. —
Ihr könnt Euch denken, daß ich mich gewaltsam beherrschen mußte. Ich ging nach der Bretagne zurück und berief einen Familienrat ein. Wir, die männlichen Angehörigen der ganzen Familie, verkauften allen Besitz. Von dem Erlös rüsteten mein Bruder Leon und ich zwei Schiffe aus. Eines davon ist der »Schwarzrote«. Mit dem anderen ist mein Bruder geflüchtet. Die Männer meines Schiffes« — er lachte — »sie sind erst Piraten geworden, wir alle sind erst Piraten geworden. Sie sind meine Vettern. Pierre ist ein Vetter meines Vaters. Ja, die ganze Familie ist aufgebrochen, um an van Groot Rache zu nehmen. Bien, das ist meine Geschichte.--Gefällt sie Euch?«
»Ihr seid eine tüchtige Familie, scheint es.«
»Gemessen an den Schiffen, die van Groot noch geblieben sind, ja. Aber gemessen an Euch und Euern Burschen auf diesem Schiff hier, sind wir Stümper. Ich sagte schon, daß ich die »Trueno« kenne. Von der Flagge mit den zwei Händen hat jeder Seemann schon gehört. Habt Ihr diese geschulte Piratenflottille aufgebaut?« Michel sah ihn an.
»Es ist eine lange Geschichte. Ich werde sie Euch irgendwann einmal erzählen. Jetzt muß ich hinaus, um nachzusehen, ob der Reeder noch immer in seinem Bootsitzt und wartet. Wahrscheinlich spuckt er schon Gift und Galle.« Er erhob sich vom Rand der Koje.
Bevor er den Verwundeten allein ließ, stellte dieser noch eine Frage: »Ihr werdet Euer Wort halten und mir freien Abzug gewähren?«
»Ich habe noch nie mein Wort gebrochen. Und im Vertrauen, Monsieur, wenn ich an Eurer Stelle gewesen wäre, ich hätte genauso gehandelt. Wo die natürliche Macht des Rechts aufhört, muß man ihr mit Gewalt Geltung verschaffen. Das einzige, was mir an der Art Eurer Vergeltung nicht gefällt, ist, daß Ihr keinen Unterschied gemacht habt zwischen der Person van Groots und den vielen Menschen, die von ihm abhängen. Ihr habt geschossen, habt seine Schiffe versenkt, habt also Eure Rache ausgedehnt auf alle, die ahnungslos für die van Groot'sche Reederei tätig waren. Wieviel Unschuldige sind dieser Rache zum Opfer gefallen?« »Sehr wenige nur. Getötet haben wir mit Absicht nie. Bisher ist noch jede Mannschaft in die Boote gezwungen worden und meines Wissens auch gerettet worden. Irgendwie mußte ich den größten Hai der sieben Meere treffen.«
Michel nickte und reichte ihm die Hand hin.
»Jeder tut es auf seine Weise. Ich selbst habe kein Talent zur Rache, ja, ich lehne sie ab; denn Rache zeugt wieder Rache und wird zu dem endlosen Kreis des Leidens, an dem unsere ganze Welt krankt. Der Mensch ist zu unvollkommen, um Richter über andere Unvollkommene zu sein. Faßt das nicht als Vorwurf auf. Es ist nichts als meine ganz persönliche Meinung.« »Ihr habt so Schweres nicht erlebt«, sagte Rene kurz. Und in seiner Stimme war ein Anflug von Unwille.
»Lassen wir das«, antwortete Michel freundlich. »Schlaft ein wenig und erholt Euch.« Er ging hinaus. Zum erstenmal seit langer Zeit pfiff er wieder ein paar Takte vor sich hin. Ohne Eile schlenderte er über den Gang und stieg die Treppe zum Oberdeck hinauf. An der Reling stand mittlerweile die gesamte Schiffsbesatzung versammelt. Vom Wasser her erklangen wüste Schimpfworte, über die sich die Leute amüsierten. Englische, deutsche und spanische Brocken flogen hin und her.