Die oben verstanden nicht, was die unten sagten, und umgekehrt.
Michel trat an die Reling. Er wurde von unten kaum gesichtet, als Mynheer van Groot ihn auch schon mit Fragen überhäufte.
»Wann werden Sie die Piraten nun endlich gefangennehmen und mir ausliefern?« »Dazu sehe ich keinen Grund.«
»Was? — Sie sehen keinen Grund dazu? Sind Sie wahnsinnig geworden? Meinen Sie, ich habe den Rest meiner Flotte geopfert, nur damit Sie keinen Grund zur Auslieferung der Verbrecher sehen?«
»Haben sie sich Ihnen ergeben oder uns?« fragte Michel. »Was soll das?«
»Das soll heißen, daß keine Veranlassung besteht, sie Ihnen auszuliefern. Übrigens muß ich mich berichtigen. Sie haben sich bis jetzt noch gar nicht ergeben. Es herrscht im Augenblick nur ein Waffenstillstand.«
»Waffenstillstand? Daß ich nicht lache! Waffenstillstand mit Piraten!« »Ich habe mein Wort gegeben, Mynheer van Groot.«
»Ihr Wort, was interessiert mich Ihr Wort! Die Piraten will ich haben ! Ich will sie hängen sehen --hängen sehen!«
»Kaum«, sagte Michel. »Es sind nämlich keine echten Piraten, Mynheer.«
»Sie haben mich vernichtet, geschäftlich ruiniert!« schrie der Reeder erbost. »Wollen Sie mich nun endlich auf das Schiff kommen lassen?«
»Dazu besteht keine Veranlassung mehr.«
»Keine Veranlassung? Sind Sie des Teufels?«
»Ich möchte nur eine Frage an Sie richten.«
»Sie haben keine Fragen zu stellen. Wenn hier jemand fragt, bin ich es.«
»Dann können wir das Gespräch abbrechen. Auf Wiedersehen oder besser: leben Sie wohl, Mynheer.«
Schweigen.
»Warten Sie--warten Sie! Was ist das für eine Frage?«
»Kennen Sie die Familie Mounsier, de Mounsier, Mynheer?«
Der Pfeifer konnte erkennen, wie van Groot sich überrascht nach seinem Sekretär umdrehte. Frans Termeulen hatte große Augen. Sie flüsterten miteinander. Der Pfeifer wartete die Antwort nicht ab, sondern fuhr fort:
»An Ihrem Benehmen erkenne ich, daß dem so ist.«
»Meinetwegen«, schrie van Groot unbeherrscht. »Was wollen Sie mit dieser Frage?« »Sie kennen also den Reeder de Mounsier, der eines Tages von einer Seereise nicht mehr zurückkam?«
»Viele kommen nicht zurück«, sagte Mynheer van Groot bissig. »Die Mounsiers sind zurückgekommen, Mynheer.
Zwar nicht der Reeder selbst; denn den hatten Sie ermorden lassen. Aber seine Söhne. Und diese nannten sich seit dieser Zeit---Dieuxdonne.«
Diese Eröffnung schlug unten im Boot wie eine Bombe ein. »Das ist nicht wahr!« schrie der Reeder.
»Dieuxdonne — nannten sie sich seitdem«, wiederholte Michel nur. »Lassen Sie mich an Bord!«
»Nein, wir haben nichts mehr miteinander gemein. Rudern Sie zu Ihrem Schiff. Ihre Zimmerleute werden das Steuer wieder klarkriegen. Und überlegen Sie sich in Zukunft, daß Verbrechen immer wieder Verbrechen zeugt. Auch das größte Verbrechen macht sich nicht bezahlt. Leben Sie wohl!« Er wandte sich ab und rief seinen Leuten zu:
»Beachtet sie nicht mehr, amigos. Wir haben nichts mit ihnen zu schaffen, gar nichts.«
»Ich will Ihnen das erklären«, klang van Groots Stimme herauf. »So warten Sie doch. Ich erkläre Ihnen alles.«
Das Geschrei nahm kein Ende. Es fiel dem Pfeifer auf die Nerven. Er eilte in seine Kabine und holte seine Muskete. Er stellte sich an die Reling und legte an. Er rief nur ein Wort: »Weg!«
Drohende Fäuste reckten sich gegen ihn. Aber die Ruderer zogen es vor, sich mit Macht in die Riemen zu legen.
70
»Was wird nun aus unseren Muskatnüssen?« fragte Marina am Abend, als ihr der Pfeifer alles erzählt hatte, was er über die Zusammenhänge des Kampfes zwischen Dieuxdonne und van Groot wußte.
»Das habe ich mich auch schon gefragt. Sollen wir einfach zu Jan van Groot fahren und die Muskatnüsse laden?«
»Nein, Miguel, das wird unmöglich sein; denn ich bin der Meinung, daß sich die Kunde von den Geschehnissen wie ein Lauffeuer über die Inseln verbreiten wird. Man wird uns überall feindselig empfangen; denn natürlich hält Jan van Groot zu seinem Bruder, und die Pflanzer halten zu Jan. Den Kitt für alle bildet die Kompanie.«
»Schade«, sagte Michel, »sehr schade. Muskatnüsse wären ein lohnendes Objekt gewesen. Man hätte sie überall auf der Welt verkaufen können.«
Sie schwiegen. Da war das alte Problem wieder aufgetaucht. Wovon sollte man leben? Man mußte schließlich irgendwann einmal wirklich anfangen, Handel zu treiben. — Zwei Tage waren seit der Seeschlacht vergangen. Das Wetter blieb gleichmäßig schön. Die Schiffe lagen nach wie vor an derselben Stelle auf hoher See. Von überall her klangen die Schläge der Hämmer über die Wasseroberfläche. Am schlimmsten sah der »Schwarzrote« aus. Aber auch van Groots beide Schiffe, die nicht untergegangen waren, lagen noch immer manövrierunfähig im Wasser.
Ojo und Jardin saßen an diesem Abend in der Kombüse der »Trueno« beim Smutje. Neben dem Koch machte sich Mutatulli in der Küche nützlich. Durch die gute Pflege und das reichliche Essen hatte er die Folgen der Flucht von Banda bald gänzlich überstanden. Karo, der Schäferhund, und er waren unzertrennliche Freunde geworden. »Ich glaube, der Senor Doktor hat große Sorgen«, meinte Ojo.
»Ist ja auch nicht anders zu erwarten«, sagte der Smutje. »Wir hätten uns eben doch nicht mit den Piraten verbünden sollen.«
»Wir sind nicht verbündet«, warf der kleine Alfonso ein. »Der Senor Doktor hat aber erkannt, daß die sogenannten Piraten im Recht sind. Und der Senor Doktor hat noch nie für eine ungerechte Sache gekämpft.«
»Aber unsere Muskatnüsse sind hin«, zeterte der Koch. »Ein Geschäftsmann ist Don Silbador nicht.«
»Ach, du bist ein Quatschkopf, Smutje. Kümmere dich um dein Essen und nicht um die Muskatnüsse. Wir werden schon einen Ausweg finden.«
Mutatulli hatte in den wenigen Tagen seiner Anwesenheit auf dem Schiff ein wenig Spanisch gelernt. Aufmerksam lauschte er dem Gespräch. »Ihr reden von Nüsse?« fragte er. Ojo und Jardin nickten.
»Wir können sie doch nun nicht mehr kaufen. Kein Mensch in Niederländisch-Indien wird uns welche geben. Die Holländer halten zusammen wie Pech und Schwefel.«
»Nix brauchen kaufen«, sagte Mutatulli. »Mutatulli wissen, wo Nüsse und Holländer nicht wissen etwas von die Nüsse.«
Jardin rutschte von seinem Hocker herab.
»Komm mit zum Doktor«, sagte er. »Komm rasch.«
Mutatulli nickte und wischte sich die Finger ab.Sie gingen zu Michels Kabine und klopften an die Tür.
»Herein«, rief der Pfeifer. Sie standen vor ihm.
»Mutatulli weiß, wie wir ohne die Pflanzer zu Muskatnüssen kommen können.« Michel sprang auf.
»Redet«, sagte er auf englisch zu dem Eingeborenen. Mutatulli nickte.
»Es gibt eine Muskatnußinsel nördlich von den Kei-Inseln. Sie hat keinen Namen und gehört auch niemandem. Sie ist wahrscheinlich noch nicht von den Holländern entdeckt worden. Ich hörte einmal einen englischen Seemann davon sprechen. Er beschrieb mir die Lage ganz genau. Ich würde sie finden.
Der Pfeifer blickte ihn ein wenig ungläubig an.
»Wie paßt das damit zusammen, daß Ihr Euerm Herrn Muskatnüsse gestohlen habt, um ein wenig Geld damit zu verdienen, wenn Ihr auf der anderen Seite ein ganzes Eiland kennt, das Euch viel mehr einbringen könnte?«
»Sehr einfach, Herr. Ich wurde bald darauf als Sklave nach Banda gebracht und lernte dort erst die Bedeutung der Muskatnuß für den Handel kennen. Der einzige, dem ich diese Insel hätte verraten können, war Hassan, der Händler. Der Erfolg wäre gewesen, daß ich von dem betrügerischen Araber nie einen Cent zu sehen bekommen hätte. Und sollte ich vielleicht meinem Herrn darüber Auskunft geben? — Ich behielt das Geheimnis für mich.« »Und warum verratet Ihr es mir nun?«