Der Pflanzenwuchs der Inseln war sehr reich. Hohe Bambushaine, regelrechte Dschungel säumten bei vielen das Ufer. Andere wieder stiegen in sanftem Grün vom Meer aus an, bis ein Wald oder ein Berg die Sicht nahm.
Und wenn auch Michel immer noch am Gelingen des Vorhabens zweifelte, so entschädigte ihn diese Naturschönheit doch für viele spöttische Blicke, die er während der letzten Zeit von Marina de Andalusia empfangen hatte.
Karo saß vorn und witterte voraus. Denn Mutatulli hatte jetzt etwas von dem Mehl der Muskatnüsse auf einen Lappen gerieben, den er dem Hund von Zeit zu Zeit vor die Nase hielt. Karo schien bald zu begreifen, was man von ihm wollte. Sofern man dicht am Ufer einer Insel vorüberstrich, richtete er sich auf und streckte schnuppernd die Nase vor. Aber er machte während der nächsten Stunden keine Anstalten, aus dem Boot zu springen und ans Ufer zu eilen. Die kleineren Inseln waren fast alle unbewohnt. Auf den größeren sah man durch das Glas ab und zu menschliches Leben. Manchmal stieg irgendwo Rauch auf. Als es dem späten Nachmittag zuging, kamen sie an einer vorüber, die eine weiße Ansiedlung trug. Man sah zwar niemanden außer ein paar Sklaven; aber das Herrenhaus hatte einen durchaus niederländischen Charakter.
»Da ist vielleicht schon jemand, der unsere Muskatnüsse erntet«, meinte Michel lächelnd, obgleich ihm innerlich überhaupt nicht nach Lachen zumute war.
»Kaum«, sagte Mutatulli. »Erstens würde Karo es sofort wittern, und dann kann ich an der ganzen Plantage auf einen Blick erkennen, ob hier Nüsse geerntet werden. Die Art des Erntens dürfte in ganz Niederländisch-Indien gleich sein.«
Sie fuhren weiter. Zwei, drei Inseln liefen sie noch an. Dann verschwand die Sonne. Sie kreuzten vor einer kleinen Bucht und warteten auf das Herannahen der Schiffe. »Etwas gefunden?« fragte Jardin, als sie an Bord stiegen.
»Noch nicht«, antwortete Michel. »Schließlich können wir ja nicht zaubern. Für ein kleines Weilchen werdet Ihr wohl Eure Ungeduld noch bezähmen müssen.«
Die Mannschaft stürzte sich auf Mutatulli und Ojo. Sie waren nicht besonders zart besaitet und sparten nicht mit Spottreden.
»Diablo!« fuhr Ojo sie an. »Wir können uns die Insel nicht aus dem Finger schneiden. Wartet gefälligst ab. Ein paar Tage wird die Suche schon noch dauern,« »Wir haben ja auch Zeit«, meinte einer voller Hohn.
»Seit wann hast du es so eilig?« fragte Ojo, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Aale dich in der Sonne und guck dir den schönen blauen Himmel an, damit du zu Hause mal was zu erzählen hast, du junger Hopser.« Die anderen lachten.
Später kamen Ernesto, der Maat, und Fernando de Navarra zu Ojo. Sie nahmen den Riesen beiseite, und Fernando fragte:
»Sag mal, glaubst du noch an einen Erfolg?«
»Ja. Warum sollte ich nicht?«
»Hier glaubt nämlich niemand mehr daran«, meinte Ernesto.
»Ach, laß mich in Ruhe! Ihr spinnt schon alle. Möchte wissen, weshalb es unmöglich sein soll, einmal etwas Außergewöhnliches zu entdecken! Der Senor Doktor glaubt daran, und so glaube auch ich daran. Das ist doch ganz einfach.« »Trotzdem--« sagte Ernesto und ließ das weitere offen.
»Ich weiß nicht, was mit euch los ist! Ihr habt doch hier nichts auszustehen! Ob wir ein paar Tage länger hier liegen oder nicht, das ist doch ganz gleichgültig.«
»Ich meine, wir sollten lieber machen, daß wir hier wegkommen«, sagte Fernando. »Immerhin sind das hier von den Holländern beherrschte Gewässer. Und wir alle glauben kaum, daß sie uns die Sache mit Dieuxdonne vergessen haben.« Ojo staunte.
»Seit wann habt ihr Angst vor einem kleinen anständigen Krieg?«
»Wir haben keine Angst vor dem Kampf. Aber erstens können wir uns hier zwischen den Inseln nicht richtig bewegen, und zweitens wird es Zeit, daß wir unsere Munition irgendwo mal wieder auffrischen.«
»Ah bah, für ein paar Holländer reicht es noch allemal. Außerdem, wo sollen wir überhaupt in der nächsten Zeit Munition hernehmen, wenn wir kein Geld haben, welche zu kaufen?« Die beiden Seeleute blickten einander an. Dann sagte Ernesto fest:
»Den Leuten fällt das Suchen nach Handelsobjekten allmählich auf die Nerven. Wenn es nach ihnen ginge, hätten wir längst, was wir brauchen.«
»Aha, daher weht der Wind. — Ihr seid eben unverbesserliche Piraten.«
»Ja.«
»Aber es geht nun mal nicht nach ihnen. Solange der Senor Doktor und ich an Bord sind, gibt es keine Seeräuberei, verdammt nochmal.« Ernesto und Fernando nickten.
»Hast schon recht«, sagte der Student. »Ich bin auch nicht dafür, wenn wir in zivilisierten Gewässern sind. Aber hier unten fahren doch alle möglichen Schiffe herum. Warum machen wir uns nicht an ein paar heran, ein paar englische zum Beispiel oder holländische? Wir brauchen sie ja nicht gleich zu versenken. Wir entern sie, und versorgen uns mit dem Nötigsten, und dann auf und davon — wieder in freundlichere Gefilde.« »Wie kommt ihr nur auf diese verfluchten Gedanken?«
»Weißt du«, fuhr Fernando fort, »das ist ganz einfach. Stell dir einmal vor: da bekämpfen wir einen Piraten, diesen Dieuxdonne, meine ich. Wir haben ihn fast unten, ein paar Schüsse noch, und er wäre erledigt gewesen. Wir hätten als gefeierte Helden in Batavia oder sonstwo einziehen können. Und da plötzlich läßt ihn Don Silbador laufen, nachdem er sich stundenlang mit ihm unterhalten hat. Immerhin war es ja mal unsere Absicht, alle Piraten zu bekämpfen und zu vernichten.«
Ojo starrte die beiden an.
»Ich begreife überhaupt nichts mehr. Seid ihr plötzlich auf seiten des Holländers? Und weshalb dieser Umschwung? Euch war doch der Dieuxdonne auch sympathischer als dieser Fettkloß.«
»Mein Gott«, sagte Fernando, »die Ansichten ändern sich eben.«
»Jedenfalls wäre es andersherum vorteilhafter für uns gewesen«, nickte Ernesto schlau.
»Hol euch der Teufel!« schimpfte Ojo. »Macht, was ihr wollt; aber laßt mich in Ruhe. Ein paar Tage noch, und ihr braucht euch keine Gedanken mehr zu machen. Wenn wir die Insel haben, haben wir auch Muskatnüsse in Hülle und Fülle. Und zwar gratis.«
»Ja, wenn — — —«
78
Die Suche der drei Unentwegten verlief auch am nächsten und übernächsten Tag nicht viel anders als am ersten.
Selbst Ojo ließ jetzt den Mut sinken.
»Glaubt Ihr noch daran, Senor Doktor?«
Michel nickte, verzichtete aber auf eine Antwort. Nein, der Pfeifer glaubte auch nicht mehr. Unverzagt waren allein Mutatulli und sein Hund.
Am vierten Tag hatten sie fast den gesamten Archipel durchlaufen. Gegen Nachmittag erreichten sie die nordöstliche Spitze der langgestreckten Insel. Es kamen noch, sich daran anschließend, ein paar kleinere Gruppen, und dann, nach Norden hinaus, war Wasser, nichts als Wasser. Mutatulli stand vorn im Bug des Bootes neben seinem Hund. Mit scharfen Augen spähte er in die Weite. Es mußte diese Insel geben. Er ließ sich trotz allem Spott nicht beirren. Er hatte im Lauf der letzten Tage gemerkt, wie man sich überall über den Pfeifer und seinen Glauben an einen Eingeborenen lustig machte. Niemand wagte zwar offenen Spott. Aber dafür wurde hinter dem Rücken des Mannes, dem die meisten alles verdankten, sogar das Leben, getuschelt. Und was das schlimmste war, die Kapitänin hörte zu wie jeder andere und duldete es.
»Ich glaube, wir können die Suche aufgeben«, sagte Michel resigniert, aber ohne Vorwurf in der Stimme zu Mutatulli.
»Wir wollen den Weg, den wir gekommen sind, noch einmal in der anderen Richtung absuchen, Herr. Vielleicht haben wir etwas übersehen, vielleicht stand der Wind schlecht, und Karo hatte keine gute Witterung.«