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Am Abend, als sie in ihr Hotel zurückkehrten, sagte Ernesto :

»Von Kalkutta haben wir ja nun eine ganze Menge gesehen; aber wie wir hier den Senor Silbador finden sollen — wenn er überhaupt noch da ist — das ist mir vorläufig noch schleierhaft.«

»Mir auch«, sagte Fernando.

»Wir müssen ihn finden«, behauptete Marina. Aber auch sie hatte keine Ahnung, wie man das bewerkstelligen konnte.

Der einzige, der sich nicht äußerte, war Ibn Kuteiba. Er saß still auf einem Sitzkissen und trank in langen Zügen gekühlten Feigensaft. Seine Augenlider waren niedergeschlagen. Und wer nicht genau hinsah, mußte annehmen, daß er schlief.Tausenderlei Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Tausend Pläne kamen ihm in den Sinn, die er alle wieder verwarf.

»Maschallah«, rief er dann plötzlich. »Dieser alte General, mit dem Senor Baum ins Innere des Landes ging, hatte doch eine Tochter. Vielleicht kann sie uns helfen!«

Marina bekam glänzende Augen.

»Diablo, Ihr habt ausgezeichnete Ideen, Steuermann! Ich weiß sogar, wie ich sie finden kann; denn ich erinnere mich noch, bei welcher Familie sie Anschluß fand, bevor wir Kalkutta verließen. Es waren die Tennessys, eine einflußreiche Familie in Kalkutta.« »Na also«, sagte Fernando.

»Dann können wir ja für heute unsere Sitzung abbrechen«, meinte Ernesto.

»Schlecht ist nur, daß ich keine europäische Kleidung habe«, sagte Marina. »Ich kann in diesem Aufzug ja nicht der Familie Tennessy meine Aufwartung machen.«

»Gibt es hier keinen europäischen Laden?« fragte Ibn Kuteiba.

Marina zuckte die Achseln.

»Ich habe keinen gesehen.«

»In meiner Satteltasche befindet sich ein Hemd und eine Hose. Man könnte es unter Umständen wagen, in diesen Sachen das Europäerviertel aufzusuchen, um dort etwas für Euch einzukaufen, Senorita«, schlug Fernando vor.

»Ihr wollt also einen offiziellen Besuch machen?« warf Ibn Kuteiba ein. »Ja. Weshalb nicht? Habt Ihr Bedenken?«

»Ja, gehörige Bedenken. Ich kann mir vorstellen, daß die Weißen hier alle zusammenhalten. Und wenn Ihr sogar sagtet, daß diese Familie Einfluß hat, so muß sie mit der Ostindien-Kompanie in enger Verbindung stehen.« »Was ratet Ihr mir also?«

»Wir müssen versuchen, unmittelbare Fühlung mit der Tochter des Generals zu bekommen. Ich kenne sie, und Ernesto kennt sie. Wir können uns in der Nähe des Hauses herumtreiben, in dem sie wohnt, um sie abzufangen, wenn sie allein ist.«

»Mich könnt Ihr auch zu diesem Spiel laden«, lachte Fernando. »Ich habe die Dame einmal gesehen und glaube, daß ich sie sofort wiedererkenne.«

»Bueno«, sagte Marina, »sehen wir zu, daß wir morgen europäische Kleider beschaffen können, damit wir auf unseren Beobachtungsposten nicht auffallen.«

10

Zwei Tage danach war Sonntag. In der englischen Stadt bereiteten sich die Menschen zum Kirchgang.

Isolde Hawbury nahm ihr Gesangbuch. Es war erst halb neun, und sie wollte heute zum Frühgottesdienst, weil sie mit Bekannten verabredet hatte, um elf Uhr eine Picknickfahrt in die Umgebung zu machen.

Die Kirche war nicht weit, und da die übrigen Bewohner des Hauses noch nicht aufgestanden waren, sich das Anspannen des Wagens aber für Isolde allein nicht lohnte, verließ sie das Haus zu Fuß. Sie trug den Hut in der Hand und schlenderte die sonnenbeschienene Straße entlang.

Erschrocken verhielt sie den Schritt.

»Miss Hawbury«, sagte eine tiefe, wohlklingende Stimme.

Sie drehte sich um.

Ein Mann mit tiefbraun getönter Haut trat auf sie zu. Weit und breit war sonst niemand zu sehen.

Isolde runzelte die Stirn und wandte sich wieder zum Gehen. Unverschämtheit, dachte sie, was will der Kerl? Sie kümmerte sich nicht um ihn und beschleunigte ihre Schritte. Aber der Fremde war gleich darauf an ihrer Seite und meinte höflich:

»Ich glaube, daß Ihr mich in diesem Anzug nicht wiedererkennt, zumal ich mir den Bart gestutzt habe. Erinnert Ihr Euch nicht mehr an Algier, daran, daß auch ich mit Euren Freunden in den Steinbrüchen von El Mengub war? Mein Name ist Ibn Kuteiba. Ich war einmal Steuermann auf Baba Alis Schiff »Medina«.«

Jetzt war Isolde nicht mehr empört. Freudig streckte sie dem Araber die Hand hin und meinte: »Willkommen, Sir, was tut Ihr in Kalkutta? Seid Ihr nicht mehr bei der Flottille der Gräfin de Andalusia?«

»Doch, Miss Hawbury. Die Gräfin de Andalusia werden wir gleich treffen. Sie steht am nächsten Häuserblock, um Euch dort abzufangen, wenn ich Euch nicht getroffen hätte.«

»Mein Gott, was ist denn geschehen? Ihr hättet mich doch besuchen können.«

»Nein, das hätten wir nicht. Wir dürfen uns in Kalkutta nicht sehen lassen. Wir haben uns in die Stadt gewagt, um Mr. Baum, Mr. Ojo und Mr. Jardin zu suchen; denn sie sind hier vor einigen Wochen verschwunden. Wir müssen annehmen, daß sie von den Behörden der Kompanie zurückgehalten werden.«

Sie hatten inzwischen eine Querstraße erreicht, aus der in diesem Augenblick eine elegant gekleidete Dame trat.

»Oh, Gräfin Marina«, sagte Isolde. Sie reichten sich die Hände. »Ich kann gar nicht fassen, was mir Mr. Kuteiba über den Pfeifer, Ojo und Jardin erzählt hat.«

»Nun«, sagte die Gräfin, »wir haben nicht umsonst die Strapazen einer langen Reise zu Pferde auf uns genommen. Ihr müßt uns helfen, Miß Hawbury. Können wir uns nicht irgendwo ungestört und ungesehen unterhalten?«

»Wo wohnt ihr?« fragte Isolde.

Marina nannte die Adresse des indischen Hotels.

Isolde schaute etwas unglücklich drein.

»Das ist schlecht. Dort kann ich unmöglich hingehen. Wollt ihr nicht auf einen Sprung ins Haus kommen?« »Das möchten wir nicht wagen. Sind die Tennessys nicht eng mit der Kompanie verbunden?« »Allerdings. Robert Tennessy ist ein enger Mitarbeiter von Sir Warren Hastings.« »Das ist einesteils gut; denn wenn Ihr ein wenig klug seid, werdet Ihr von ihm in Erfahrung bringen können, wo wir den Pfeifer suchen müssen. Andererseits verbietet es sich von selbst, daß wir uns der Gefahr aussetzen, sein Haus zu betreten.«

»Ich habe eine Idee«, meinte Isolde. »Können wir uns nicht am Nachmittag wie zufällig im Reitpark treffen? Ihr habt doch eure Pferde sicher auch in Kalkutta?« »Glänzender Gedanke«, sagte Marina.

Sie verabredeten Treffpunkt und Stunde und verabschiedeten sich für jetzt.

11

Nach der Aussprache, die sie am Sonntagnachmittag im Reitpark gehabt hatten, warteten die vier in ihrem Quartier auf Nachricht. Endlich, am Mittwoch, erhielten sie einen versiegelten Brief, den ein kleiner Inderjunge überbrachte. Isolde hatte herausgefunden, daß Michel, Ojo und Jardin im Residenzgefängnis saßen. Sie schrieb aber, daß sie keinen Weg sähe, wie man zu den Gefangenen vordringen könnte.

Sofort nach Erhalt dieser Zeilen machten sie sich alle vier auf den Weg, um sich das Gefängnis aus der Nähe anzusehen. An allen Eingängen standen bewaffnete Posten. Es waren keine Sipoys, sondern Engländer. Starke Gitter schlössen die kleinen Fenster der Zellen ab. Erschwerend war noch, daß Isolde nicht wußte, in welcher Zelle sich die Gefangenen befanden. Unverrichteter Dinge kehrten sie wieder in ihre Herberge zurück.

»Da ist guter Rat teuer«, meinte Ibn Kuteiba. »So ein Gefängnis nach englischem Muster hat es in sich.«

Sie ließen die Köpfe hängen.

»Wir müssen herausbekommen, wie hoch ihre Strafe ist.« »Ob man nicht die Posten bestechen könnte?« fragte Fernando.