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Als der schwarze Mann das Schiff verlassen hatte, wies Gaspar Reuter, der alles schweigend mit angehört hatte, auf den dichten Urwald rund um die stille Bucht. Schwärme roter Ibisse flogen in diesem Augenblick zu ihren Nestern auf dem Festland. Mit seinem typischen, einem fast wütend machenden Gleichmut bemerkte er:

»Langsam habe ich den Eindruck, daß wir kein Problem lösen, wenn wir Sklaven auf einem Kontinent freilassen, den sie nicht kennen. Ich habe gesehen, wie sie leben, mit ihnen gesprochen, und ich kann dir sagen, viele fragen sich, ob sie für diese Freiheit nicht einen zu hohen Preis zahlen.«

»Aber dieser Mann hat doch gesagt…!«

»Nicht alle sind wie er«, unterbrach sie der Engländer. »Moises ist stark und entschlossen, und als Häuptling hat er eine Frau, die ihm sogar einen Sohn geschenkt hat. Aber ich habe viele junge Männer gesehen, die am Rande der Verzweiflung sind und sich früher oder später irgendwo Frauen suchen werden, und das gibt einen Krieg, bei dem die Indianer stets im Vorteil sein werden. Nein, wir sollten sie nicht hierherbringen, sondern sie in Afrika lassen.«

»Auch mit dem Risiko, daß man sie wieder einfängt und verkauft?«

»Wir müssen ihnen beibringen, sich zu verteidigen. Dort sind sie wenigstens in ihrem Land.«

Celeste ließ sich mit der Antwort Zeit. Hingebungsvoll betrachtete sie den schönen Sonnenuntergang, der sie, wegen der vielen Ibisse, Tölpel und Pelikane, an die Abendstimmungen ihrer Kindheit auf Margarita erinnerte. Schließlich fragte sie flüsternd, ohne sich dabei umzudrehen:

»Sag mir, Gaspar… Glaubst du, daß ich verrückt bin?«

»Natürlich!«

»Wenn das so ist, warum hast du dich dann auf dieses Abenteuer eingelassen?«

»Weil ich ebenfalls verrückt bin«, erwiderte der andere überzeugt. »Und weil ich mir auf diese Weise vielleicht selbst verzeihen kann.«

»Was verzeihen…?«

»Meine vielen Sünden.«

Die Silberdame blickte ihn verwirrt an und schüttelte schließlich den Kopf:

»Ich glaube nicht, daß du ein Mann mit vielen Sünden bist«, sagte sie. »Ich glaube eher, daß du nur eine einzige begangen hast, und die ist so groß, daß du ein ganzes Leben damit zu tun hast, sie zu bereuen.«

»Schon möglich…«, räumte der andere ein. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Die kleinen Sünden vergißt man. Die großen nicht.«

»Und wie lautet sie?« wollte sie wissen. »Seit ich dich kenne, versprichst du mir, daß du mir eines Tages deine Geschichte erzählen wirst, aber das hast du niemals getan. Warum nicht?«

»Über sich selbst zu sprechen zeugt von sehr schlechter Erziehung. Das lernen wir Engländer schon als kleine Kinder. Vielleicht deshalb.«

»Aber ich bin keine Engländerin, und ich wüßte schon gern, warum jemand, dem ich mein volles Vertrauen schenke, sich so verhält, wie du es tust.«

»Du vertraust mir wirklich voll und ganz?«

»Mein Vater und du, ihr seid die einzigen Zeugen des Todes von Kapitän Tiradentes. Ist das nicht Beweis genug?«

»Wahrscheinlich.«

»Also…?«

Gaspar Reuter schien darüber nachzudenken, ob es gut war, Dinge zu erzählen, die schon vor vielen Jahren geschehen waren. Schließlich nickte er zustimmend, lehnte sich an die Reling und kratzte sich nachdenklich an seinem markanten Kinn, bevor er begann:

»Ich bin ein Einzelkind. Meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt gestorben. Mein Vater, Lord Robert Kindersley, war immer gut zu mir, ein aufrechter und strenger Mensch. Er hat sich um meine Erziehung gekümmert, bis ich in die Armee eintrat.« Er machte eine Pause, als müsse er Kraft oder Luft schöpfen, um seine Geschichte fortzusetzen. Im gleichen Tonfall fuhr er fort: »Jahre später, als ich schon Leutnant war, kam ich von einer Italienreise zurück, und kurz bevor ich nach London kam, lernte ich Caroline, eine faszinierende Frau, kennen. Mit ihr erlebte ich einen Monat im siebten Himmel, aber dann verschwand sie plötzlich, als hätte die Erde sie verschluckt…«

Jetzt schien ihm sein Bericht wirklich zu schaffen zu machen. Er setzte sich auf die Reling und biß sich immer wieder auf die Lippen.

»Ich war verzweifelt!« gestand er beschämt. »Einfach verzweifelt. Überall habe ich nach ihr gesucht, aber es half alles nichts, und schließlich beschloß ich, unglücklich und entmutigt nach Hause zurückzukehren, um meinen Kummer bei meinem Vater zu vergessen.« Er schnalzte mit der Zunge, als könne er diese Tatsache kaum zugeben. »Ich traf ihn glücklicher denn je an, denn er hatte wieder geheiratet…« Er sah ihr in die Augen. »Und rate mal, wer seine Frau war…«

»Caroline…?« fragte Celeste fast ängstlich.

»Genau!« schallte es zurück. »Du kannst dir vorstellen, wie entsetzt und fassungslos ich war. Sie gab vor, mich nicht zu kennen, und aus Respekt vor meinem Vater habe ich ebenfalls geschwiegen.«

»Was für ein Zufall.«

»Von wegen Zufall«, widersprach ihr der Engländer. »Mit der Zeit entdeckte ich, daß alles perfekt geplant gewesen war. Caroline war sich sehr bald klargeworden, daß mein Vater schon zu alt war, um mit ihr ein Kind zu zeugen. Doch wenn sie eine gesicherte Zukunft haben wollte, mußte sie ihm einen Sohn schenken. Also machte sie mich in London ausfindig, verführte mich und blieb so lange bei mir, bis sie sicher war, schwanger zu sein.«

»Aber warum ausgerechnet du?« Celestes Frage drängte sich geradezu auf. »Warum nicht irgendein anderer?«

Gaspar Reuter lächelte ironisch, während er sich immer wieder mit dem Finger auf sein markantes Kinn tippte.

»Deshalb! Zu den besonderen Merkmalen meiner Familie gehören schon seit über drei Jahrhunderten ein vorstehendes Kinn, himmelblaue Augen und rötliche Haut mit Sommersprossen. Mein Vater hätte ernsthaft an seiner jungen Gattin gezweifelt, wenn sie ihm einen Sohn ohne das >Markenzeichen der Kindersley< geschenkt hätte.« Er lächelte bitter. »Und das konnte nur ich ihr verschaffen.«

»So ein Luder…!«

»Du sagst es. Dieses verdammte Luder hatte die Sache mit mathematischer Präzision kalkuliert. Aber das ist noch nicht alles.«

»Was kommt denn noch?«

»Es passierte ein Jahr später. Der Sohn war schon geboren, und mein Vater hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß sein Blut in dessen Adern floß. Allerdings hätte er nicht im Traum daran gedacht, daß dieses Blut den Umweg über mich genommen hatte. Da ließ mich Caroline eines Tages rufen. Angeblich wollte sie mich um Verzeihung bitten und mit einer Art Abkommen für familiäre Harmonie sorgen. Kaum war ich aber in ihrem Zimmer, da begann sie um Hilfe zu schreien, zerriß sich das Kleid, schlug ihren Kopf gegen die Wand, und als die Diener kamen, beschuldigte sie mich, ich hätte versucht, sie zu vergewaltigen.«

»Verfluchte Hexe! Kaum zu glauben!«

»Glaub wenigstens du mir, mein Vater hat es jedenfalls nicht getan! Er glaubte ihr, ließ mich aus dem Haus werfen, enterbte mich und wollte mich niemals wiedersehen!«

»Gütiger Gott! Diese Frau ist ja ein Monstrum!«

»Du sagst es! Zwei Jahre später starb mein Vater unter seltsamen Umständen, und Caroline bemächtigte sich aller Güter der Familie Kindersley, da ihr Sohn nach dem Gesetz der einzige rechtliche Erbe war.«

»Und du, was hast du getan?«

Gaspar Reuter machte wieder eine lange Pause, bevor er antwortete, und betrachtete den Himmel, wie er immer dunkler wurde. Schließlich murmelte er, als ob er das, was er sagte, nicht wahrhaben wollte, ohne Celeste dabei anzusehen:

»Eines Nachts kehrte ich in das Schloß zurück, wo ich aufgewachsen war und daher alle verwinkelten Gänge kannte. Heimlich drang ich über die Ställe ein, erreichte ihre Gemächer, zerrte sie heraus und knüpfte sie an der alten Eiche auf, unter der mein Vater zu lesen pflegte.«